"Ein überfälliger Schritt"
23. April 2018Viele Enthüllungen wären ohne mutige Hinweisgeber nicht bekannt; oft müssen sie jedoch schwere Sanktionen fürchten. Die EU-Kommission will das nun ändern und plant ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern. Der Verein "Whistleblower-Netzwerk e.V." fordert schon lange, Hinweisgeber vor Sanktionen zu schützen. Vor allem in Deutschland sei die Situation für Whistleblower besonders schwierig, kritisiert Annegret Falter, Vorsitzende des Netzwerks.
DW: Frau Falter, die rechtliche Situation für Whistleblower soll sich verbessern. Wie stellt sich die Lage momentan dar, welchen Gefahren setzt sich ein Whistleblower derzeit aus?
Annegret Falter, Whistleblower-Netzwerk: Whistleblowern drohen alle möglichen Sanktionen. Das sind zum einen arbeitsrechtliche Sanktionen bis hin zur Kündigung, im öffentlichen Dienst sind es Versetzungen oder Disziplinarverfahren. Dann kommen die strafrechtlichen Bedrohungen mit Verfahren wegen Beleidigung oder Verrat von Geschäftsgeheimnissen hinzu. Und außerdem drohen ihnen Schadenersatzforderungen - also alles wirklich einschneidende Dinge. Dann kommen natürlich noch die inoffiziellen Sanktionen dazu, dass jemand gemobbt und schikaniert wird, etwa dass er drei Wochen lang im Keller Akten kopieren muss, oder von den Kollegen geschnitten. Jeder Whistleblower weiß, dass er sich bei den Kollegen nicht beliebt macht, wenn er einen Missstand anzeigt. Und wenn er sich gegen eine Kündigung wehrt, dann können jahrelange Rechtsstreitigkeiten folgen.
Wie ist es derzeit um den Whistleblower-Schutz Deutschland bestellt?
Es sah bislang in Deutschland nicht so aus, als wäre man aktuell überhaupt bereit, etwas für mehr Schutz zu unternehmen. Im Koalitionsvertrag kommt noch nicht einmal das Wort "Whistleblower" vor. Hierzulande haben wir zwar in verschiedenen Bereichen einen existierenden Informanten-Schutz. Seit zehn Jahren ist zum Beispiel die Amtsverschwiegenheitspflicht im Fall von Korruption aufgehoben. Auch im Finanzbereich ist ein Whistleblower-Schutz explizit vorgesehen. Es kommt jetzt ein Gesetz im Bereich der Lebensmittelsicherheit, dort soll sogar anonymen Hinweisen nachgegangen werden. Aber jetzt stellen Sie den Arbeitnehmer vor, der sich ganz genau anschauen muss, in welchen Bereichen er etwas sagen kann und an wen er sich dann überhaupt wenden darf, ohne seine Karriere aufs Spiel zu setzen.
In bestimmten Fällen darf er etwa auch die Medien informieren - aber nur wenn er im öffentlichen Interesse oder im Sinne des Gemeinwohl handelt. Woher soll er aber wissen, wie das öffentliche Interesse definiert ist? Über diesen Punkt streiten sich auch Juristen trefflich. Das heißt, Gerichte müssen so etwas in jedem Einzelfall klären, und das stellt natürlich eine ungemein große Rechtsunsicherheit für einen Informanten dar.
Das heißt, die EU-Regeln bringen deutlich mehr Schutz für Whistleblower?
Dort steht viel Positives. Zum einen, dass die Motivation des Whistleblowers in den Hintergrund tritt. Im EU-Entwurf zählt nur der Wert der Information. Die schwierige Suche nach möglichen "edlen Motiven" entfällt, das ist begrüßenswert. Behörden und Unternehmen müssen Hinweisgebersysteme einrichten, über die Missstände gemeldet werden können und den Hinweisen muss nachgegangen werden. Und ganz wichtig: Es gilt eine umgekehrte Beweislast. Das heißt, ein Arbeitgeber muss im Streitfall z.B. nachweisen, dass eine Kündigung nicht mit Enthüllungen des Angestellten in Verbindung steht.
In welchen Bereichen der Schutz gelten soll, hat die EU-Kommission in einem langen Anhang detailliert aufgeführt. Da stehen etwa der Finanzsektor, Terrorismus, öffentliches Beschaffungswesen, Umweltschutz, nukleare Sicherheit und noch viel mehr.
Aber es gibt eben auch viele Bereiche, die dort nicht gelistet sind. Dazu gehören Themen wie Arbeiterrechte, Migration, Außenpolitik oder Polizeizusammenarbeit, auch Wissenschaft und Forschung. Gerade aber dort gibt es viele denkbare Konstellationen, in denen sich ein Whistleblower melden können muss. Ob die EU-Richtline zum einem echten Erfolg für den Informanten-Schutz wird, hängt davon ab, ob sie bei der Umsetzung in deutsches Recht eine umfassende Schutz-Regelung zur Folge hat oder die Regelungen als Stückwerk daherkommen werden.
Sie fordern also, deutlich mehr Bereiche aufzulisten, in denen die Weitergabe von Informationen geschützt wird?
Wir als Whistleblower-Netzwerk fordern seit Jahren ein umfassendes, eigenständiges Schutzgesetz für Deutschland. Wo die berufliche und private Zukunft auf dem Spiel steht, da muss Rechtssicherheit geschaffen werden und da kann man nicht erwarten, dass erst unzählige Vorschriften gelesen werden. Dafür braucht es klare Vorgaben und keinen Flickenteppich rechtlicher Regelungen. Gravierende Rechtsbrüche dürfen nicht dem Geheimschutz unterliegen, egal in welchem Bereich. Die EU gibt mit der geplanten Richtlinie nur den Mindeststandard vor, die Nationalstaaten dürfen diesen durchaus ausweiten.
Wie lange wird es dauern, bis Whistleblower überhaupt von den geplanten Regelungen profitieren können?
Das muss sich erst zeigen. Die Richtlinie muss erst noch vom EU-Ministerrat und dann vom Parlament genehmigt werden, das kann schon mal zwei Jahre dauern. Dann muss sie in nationales Recht umgesetzt werden, was aller Erfahrung nach auch noch einmal zwei Jahre in Anspruch nimmt. Es kann gut sein, dass dies in der jetzigen Legislaturperiode gar nicht mehr umgesetzt wird.
Und wenn wir dann irgendwann mal ein Gesetz haben, wird dieses aller Voraussicht nach immer noch einige unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, die dann erst in jedem Einzelfall durch die Rechtsprechung der Gerichte ausgelegt werden müssen. Das heißt: Ob das wirklich ein gutes Gesetz wird, muss sich erst zeigen.
Ihr Fazit?
Positiv ist auf jeden Fall zu sehen, dass sich die EU-Kommission nach jahrelangem Drängen des Europäischen Parlaments und des Europarats das Thema nun auf die Fahnen geschrieben hat. Das heißt, dass auch die Politik nun eingesehen hat, dass sie ohne Insider nicht auskommt - und auch die Wirtschaft, denn ohne die läuft ja selten etwas in der Politik. Dadurch kann sich auch die Stimmung gegenüber Whistleblowern ändern.
Whistleblower gelten ja häufig immer noch als Denunzianten. Gerade in Deutschland wird die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber als ganz hohes Gut angesehen. Und dagegen zu verstoßen, ist immer ein immens hohes Risiko. Deswegen muss man Whistleblower darin gesellschaftlich bestätigen, dass sie das Richtige tun, und sie nicht als Nestbeschmutzer darstellen. Und in diesem Sinne ist der Vorstoß der EU-Kommission ein guter, wenn er zu einem Einstellungswandel in der Gesellschaft führt.
Die Diplom-Politologin Annegret Falter ist freie Wissenschafts-Journalistin und Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks e.V.
Das Gespräch führte Jeannette Cwienk.