EU: Zehn Tage mehr Zeit für die Briten
24. November 2017Eineinhalb Stunden dauerte das Treffen zwischen EU-Ratspräsident Donald Tusk und der britischen Premierministerin Theresa May, und am Ende gab es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen. Tusk zeigte sich weiterhin skeptisch, ob die britische Seite die richtigen Angebote machen werde, um Phase II der Brexit-Verhandlungen einzuleiten. Hinreichender Fortschritt beim Dezember Gipfel sei noch möglich, aber eine "riesige Herausforderung", sagte der Ratspräsident hinterher. Das klingt weder begeistert noch nach Durchbruch. Die Briten hätten jetzt noch zehn Tage Zeit, um Zusagen auf den Tisch zu legen. Am 4. Dezember sollen sie endlich konkretisieren, womit sie der EU-27 entgegen kommen wollen. Danach müssen die Mitgliedsländer ihre Parlamente informieren und der Gipfelzug fährt am 14. Dezember ab.
May betont Optimismus
Sie habe das "echte Gefühl", dass beide Seiten bis dahin Fortschritte machen würden, sagte wiederum Theresa May nach dem Gespräch. Es gebe in verschiedenen Bereichen immer noch Probleme, aber die Gespräche hätten in einer "positiven Atmosphäre" stattgefunden und sie glaube, dass man "gemeinsam voran kommen wolle".
Offen ist nach wie vor eine konkrete Zusage der Briten zur Brexit-Rechnung. London sei bereit, der EU mit weiteren Milliardenzahlungen entgegenzukommen. Aber die Einzelheiten bleiben offen, ebenso wie ungeklärte Fragen bei den Rechten von EU-Bürgern. Zum Hauptknackpunkt aber entwickelte sich zuletzt die Zukunft Irlands. Die Regierung in Dublin hatte in den vergangenen Tagen ihren Ton deutlich verschärft und verlangt belastbare Lösungsvorschläge von Großbritannien, wie eine harte Grenze auf der irischen Insel vermieden werden könne. "Darüber sind sich beide Seiten einig", betonte Theresa May.. Die Regierungen in London und Dublin seien in ständigem Kontakt, fügte sie hinzu, blieb aber im Detail ebenso wolkig wie in den letzten Monaten ihr Brexit-Minister David Davis.
Irland droht mit Blockade
Die Regierung in Dublin befindet sich gerade in einer schweren Krise und ist wegen eines Polizeiskandals vom Sturz bedroht. Das könnte ihre Verhandlungsmacht in Brüssel verringern, obwohl die Opposition betont, in der Brexit-Frage sei man völlig einer Meinung.
Es geht Dublin um die größtmöglich Nähe Nordirlands zu den Regulierungen der EU - auch nach dem Brexit. Im Prinzip müsste die Region in der Zollunion bleiben, um einen reibungslosen Waren- und Personenverkehr zwischen beiden Teilen der Insel weiter zu gewährleisten. Sie sind sowieso wirtschaftlich extrem eng verflochten, etwa bei den Elektrizitätsnetzen und anderen Wirtschaftsbereichen. Die Regierung in London hat das Ansinnen, wonach die EU-Außengrenze quasi in die irische See verlegt und Nordirland eine Art Sonderwirtschaftszone würde, bisher empört abgelehnt. Allerdings kommt London auch nicht mit einem alternativen Lösungsansatz. Das Irland-Problem könnte sich beim Dezember-Gipfel noch als politischer Sprengstoff erweisen.
Keine deutsche Schwäche in Europa
Angela Merkel führte bei diesem östlichen Partnerschaftsgipfel betont "business as usual" vor. Vom lauten "Guten Morgen" bei der Ankunft bis zur kurzen Stellungnahme über die Bedeutung des Dialogs mit der Ukraine und den anderen Nachbarländern im Osten – alles wirkte wie immer. Und die Bundeskanzlerin fand am Rande noch Zeit für ein kurzes Treffen mit ihrer britischen Kollegin. Vor allem wohl, um Theresa May zu demonstrieren, dass sie auch als amtierende Bundeskanzlerin "handlungsfähig" sei. Es würden in Europa weiter Entscheidungen getroffen, betonte die Kanzlerin vor der Presse. Ein Versuch, die Unruhe bei einigen EU-Partnern angesichts des Regierungsbildungs-Chaos in Berlin zu zerstreuen.
Tatsächlich braucht May sich keine Hoffnungen darauf zu machen, sie könne eine Schwäche der deutschen Regierung in der EU beim Brexit zu eigenen Gunsten nutzen. Mehrere ihrer Kabinettsmitglieder hatten sie in London angestachelt, das mutmaßliche Machtvakuum in Berlin als politisches Brecheisen einzusetzen.
Aber diese Idee wurde auch von denen belächelt, die angesichts der deutschen Probleme beunruhigt sind - wie etwa die Niederlande, Spanien oder einige Skandinavier. Beim Brexit ist die EU-27 so einig, da könne eine amtierende Kanzlerin die gemeinsamen Entscheidungen ohne Probleme mittragen, erklären EU-Diplomaten. In Berlin sieht man das ähnlich: Ideen der Brexiteers, man könne von einer Schwäche der Regierung profitieren seien "absurd", sagt etwa Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer. Bei der Frage nach den Bedingungen für "hinreichenden Fortschritt" bei den Brexit-Gesprächen sei man sich quer über die Fraktionen einig.
Stichtag 4. Dezember
Von deutscher Seite war vor dem Treffen Tusk - May einiger Optimismus verbreitet worden, dass man die Probleme rechtzeitig bis zum Dezember-Gipfel bewältigen könne. "Man weiß in London, was wir erwarten, und wenn diese Erwartungen erfüllt werden, dann wird es voran gehen", erklärten Diplomaten. Allerdings scheint London weiter auf Zeit zu spielen. Nach dem wohl zäh verlaufenen Gespräch mit Ratspräsident Tusk bleiben der britischen Seite noch zehn Tage. Am vierten Dezember soll sie bei einem Treffen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ihre Angebote auf den Tisch legen. Danach wird die Zeit knapp, um noch im Kreis der 27 den Beschluss zu fassen, dass "hinreichender Fortschritt" bei den Scheidungsgesprächen erreicht ist.
Und sollte May dann mit einem konditionierten Angebot kommen, wonach man nur zahlen werde, wenn London am Ende das Handelsabkommen gefällt, wird die britische Premierministerin auf Granit beißen. Wie es weiter geht, darüber aber gehen auch unter EU-Spitzenpolitikern die Meinungen auseinander. Nach einem Vier-Augen-Gespräch mit dem dänischen Ministerpräsidenten äußerte er sich hinterher etwas optimistischer über die Erfolgschancen der Brexit-Gespräche. Sein bulgarischer Kollege wiederum erwartet weiter einen harten Brexit. Die Uhr tickt und wichtige Fragen sind weiterhin offen.