Ein Brexit-Gesetz soll den EU-Austritt regeln
14. November 2017"Wir wollen eine Zusatzklausel, die den Brexit auf den 29. März 2019, 23.00 GMT per Gesetz festlegen soll", fordert der Abgeordnete Frank Field. "Nach unserer Zeit, nicht deren Zeit", fügt er hinzu und meint damit den Rest Europas und die EU. Die kleine Nebenbemerkung zeigt die Tiefe der Kluft, die im Denken vieler britischer Parlamentarier während der zweiten Lesung des Brexit-Gesetzes zutage tritt.
Bündnisse über Parteigrenzen hinweg
Es ist ausgerechnet ein Labour-Rebell, der in dieser auf mindestens acht Tage angesetzten Debatte zu diesem Mammut-Gesetz als erster das Wort ergreift. Der Abgeordnete Frank Field nennt sich einen zögerlichen Brexiteer. In seinem Wahlkreis habe der Ausgang des Referendums auf Messers Schneide gestanden. Jetzt aber unterstütze er voll den Austritt und damit die Mehrheit bei den regierenden Konservativen. Er ist ein Beispiel für die wechselnden Bündnisse über Parteigrenzen hinweg, mit denen Proeuropäer, Unterstützer eines weichen Brexit und Hardliner versuchen, jeweils die zentrale Gesetzgebung zum Exit Großbritanniens aus der EU zu beeinflussen.
Wesentliche Aufgabe des Gesetzes über den EU-Austritt ist es, die in über 40 Jahren angewachsene europäische Gesetzgebung in britisches Recht zu überführen. Sonst entstünde mit dem Brexit ein juristisches Vakuum. Weil es hier um rund 12.000 Regelungen geht, handelt es sich zunächst um eine pauschale Übernahme. Danach kann die Regierung dann schrittweise einzelne Gesetze verändern oder auch abschaffen. Mit dem Beginn der zweiten Lesung aber werden die ersten Schlachtlinien für spätere Kämpfe abgesteckt.
So verlangt die Labour-Opposition zum Beispiel, dass die Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmern und Verbrauchern unantastbar sein sollen. Bei den Konservativen auf Regierungsseite dagegen gibt es Abgeordnete, die große Teile der früheren EU-Gesetzgebung ins Feuer werfen und Großbritannien zu einem deregulierten "Singapur an der Themse" machen möchten. Und es gibt wiederum eine Handvoll Rebellen unter den Tories, die Änderungsanträge der Opposition unterstützen.
Es geht um Rolle und Aufgabe des Parlaments
Bereits am Montagabend hatte Brexit-Minister David Davis einen hastigen Rückzug angetreten. In der Frage, ob das Parlament über die Brexit-Vereinbarung mit der EU abstimmen dürfe oder nicht, war eine Niederlage der Regierung abzusehen. Auch Brexit-Unterstützer waren hier nicht mit einer Entmachtung des Unterhauses einverstanden. Davis gestand also den Abgeordneten ein Votum zu.
Dabei blieb allerdings der Zeitpunkt offen und die Frage, ob die Parlamentarier den Deal nur abnicken dürften oder noch verändern könnten. Bekämen sie ihn etwa erst im März 2019 vorgelegt, wäre es ein Fall von "Friss oder stirb": Eine Ablehnung würde automatisch einen ungeregelten Brexit bedeuten. Das sei ein völlig wertloses Zugeständnis, urteilte etwa die konservative Brexit-Gegnerin Anna Soubry. Das letzte Wort in der Abstimmungsfrage ist also noch nicht gesprochen.
Gleichzeitig wird bei den bis Anfang Dezember angesetzten Debatten auch um das gestritten, was viele Abgeordnete eine "Machtergreifung" der Regierung nennen. Nach einer Regel aus dem 16. Jahrhundert will sie die sogenannten "Heinrich-VIII-Klausel" anwenden, um Einzelregelungen aus dem Paket der Brexit-Gesetze später ohne Mitwirkung des Parlamentes zu verändern. So allerdings haben sich Abgeordnete aus beiden Lagern die Umsetzung des Brexit-Schlachtrufes "Holt die Kontrolle zurück" nicht vorgestellt. Auch an diesem Punkt gibt es heftigen Widerstand.
Welchen Brexit für das Land?
Hinter dem Streit um Machtverteilung und Mitwirkung tobt darüber hinaus die Auseinandersetzung um die richtige Art von Brexit. Der Labour-Abgeordnete Chuka Umunna, eine der führenden Stimmen gegen den EU-Austritt, sagt: "Die Regierung hat kein Mandat dafür, gar keinen Deal zu machen, für einen Ausstieg ohne Vertrag über die Zukunft". Und der europafreundliche Tory Ken Clarke weist einmal mehr darauf hin, dass das Referendum zwar über den Austritt, aber nichts sonst entschieden habe. "Niemand hat darauf geachtet, was das tatsächlich für Handel, Investitionen, Arbeitsplätze bedeuten würde." Er und andere kämpfen nach wie vor darum, Großbritannien im Binnenmarkt und in der Zollunion zu halten, und stehen damit in krassem Widerspruch zur Regierung May. Clarke bekam übrigens spontanen Beifall für seine Rede gegen einen harten Brexit, in der er auch eine Übergangsperiode zu bisherigen EU-Konditionen forderte. Ein Vorschlag, bei dem sich den Verfechtern des harten Brexit um jeden Preis, je schneller, desto besser, die Nackenhaare sträuben.
Regierung steht vor Niederlagen
Die Klausel über das Brexit-Datum, erster Punkt auf einer langen Tagesordnung, wurde übrigens von Labour und aufständischen Tory-Abgeordneten als albern und kontraproduktiv verurteilt. Dominic Grieve, der frühere konservative Generalstaatsanwalt, nannte sie sinnlos und falsch, weil damit die Möglichkeit einer Verlängerung des Verhandlungszeitraums mit der EU ausgeschlossen würde.
So wird die Brexit-Gesetzgebung für die Regierung May zu einem Minenfeld, das mit Abstimmungsniederlagen durchsetzt sein könnte, wenn nicht ihre Fraktion kluge Kompromisse schmiedet und die Stimmung im Unterhaus richtig einschätzt. Am härtesten dürften dabei die Kämpfe über künftige Befugnisse für die Regierung und Mitbestimmungsrechte im Parlament werden. All das vor dem Hintergrund einer geschwächten Premierministerin, die von harten EU-Forderungen einerseits und den harten Brexiteers in ihrer eigenen Partei unter Druck gesetzt wird.
Und die Stimmung im Parlament in dieser ersten Debattenrunde spiegelt wohl die im Land wieder: Die Meinungen sind tief gespalten, Gräben schwer zu überbrücken, Zwischenrufe giftig, alte und neue Feindschaften zerreißen das politische Leben. Es ist die wichtigste Gesetzgebung seit dem Zweiten Weltkrieg, so betonen viele Redner, aber sie entsteht in einer Atmosphäre der Unversöhnlichkeit und bitterer Kämpfe.