Euronext auf Brautschau
22. Mai 2006Rund zehn Milliarden Dollar schwer ist das Übernahmeangebot, das die New York Stock Exchange (NYSE) der europäischen Börse Euronext am Montag (22.5.2006) vorgelegt hat. Der Aufsichtsrat der europäischen Vierländerbörse sprach sich für einen Zusammenschluss mit der NYSE aus. Das Angebot aus New York sei "attraktiver" als das der Deutschen Börse, teilte das Kontrollgremium am Montagabend Abend in Paris mit.
Das Angebot der ebenfalls fusionswilligen Deutschen Börse AG schien bislang weniger attraktiv. In der Nacht zum Dienstag (23.5.) besserte die Deutsche Börse aber noch einmal nach, doch auch dieses Angebot wurde bereits vor dem Beginn der eigentlichen Verhandlungen abgelehnt.Der jüngste Vorschlag der Frankfurter sei praktisch der gleich wie der vorangegangene, hieß es. Die Aktionäre der Euronext sollen dem Frankfurter Angebot zufolge pro Anteilsschein rund 76,60 Euro in bar und Aktien der neuen Gesellschaft erhalten. Dagegen hatte die New Yorker Börse NYSE rund 71 Euro in bar und Aktien geboten.
Die Aktionäre der Euronext kommen am Dienstag in Amsterdam zusammen, um über eine mögliche Fusion oder Übernahme zu beraten. Zur Abstimmung steht ein Antrag, mit dem eine Fusion der Euronext mit der Deutschen Börse als beste Lösung im Interesse der Euronext-Aktionäre bezeichnet wird.
Vierländer-Börse
Bereits heute ist Euronext die größte grenzüberschreitende Handelsplattform Europas. Ihr gehören die Börse in Amsterdam, Brüssel, Lissabon, Paris und der Terminmarkt in London an.
Bei einem Zusammenschluss mit New York entstünde die erste transatlantische Börse, die rund drei Mal so groß wäre wie der nächstgrößte Handelsplatz: An den beiden Marktplätzen wären etwa 3800 Unternehmen notiert, die zusammen auf einen Börsenwert von rund 19 Billionen Euro kämen.
Die New Yorker erhoffen sich dadurch Synergieeffekte in Höhe von 293 Millionen Euro. Im Bereich der Handelssysteme und Abwicklung hält Dieter Kuckelkorn von der "Börsen-Zeitung" diese jedoch für sekundär, weil das Umfeld der Märkte in Europa und den USA einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen zu unterschiedlich seien.
Kuckelkorn hält die strategische Vorteile für wichtiger, von denen jedoch vor allem die NYSE profitieren würde: Deren Chef John Thain werde sein Haus zum weltweit führenden Börsenkonzern ausbauen und die notorische Schwäche der NYSE bei den Derivaten beseitigen, so die Prognose des Wirtschaftsexperten. Die Franzosen hingegen hätten das Nachsehen, denn dass Euronext-Chef Jean-François Théodore gemäß seinen Plänen den neuen Konzern von Paris aus führen wird, erscheint unter Federführung der Amerikaner unwahrscheinlich.
Deutschland aus dem Rennen?
Von einer Fusion der NYSE mit Euronext wäre auch die die Deutsche Börse AG betroffen. Hintergrund sind Bestrebungen der New Yorker Technologiebörse Nasdaq, die Londoner Börse LSE zu übernehmen. Die großen US-Börsenbetreiber fallen damit deutlich eher in Europa ein als erwartet, und plötzlich droht in London ein kapitalkräftiger Börsengigant heranzuwachsen, dem die Kontinentaleuropäer per Zusammenschluss entgegen wirken wollen.
"Wenn Euronext mit der NYSE fusionieren sollte, steht Deutschland alleine da", befürchtet Prof. Wolfgang Gerke, Inhaber des Lehrstuhls für Bank- und Börsenwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Das sehen offenbar auch die Anleger so: Bereits am Monatag verlor das Papier der Deutsche Börse rund fünf Prozent und war damit größter Verlierer im Deutschen Aktienindex (DAX). "Ich halte das für eine verpasste Chance", so Gerke, "Deutschland hat sich zu sehr auf London fixiert. Frankfurt hätte seinerseits schon viel früher Gespräche mit New York führen sollen."
Frankreich will keine Machteinbußen
Obwohl Euronext kein französisches Unternehmen ist, wird es de facto aus Paris gesteuert. Und dort missbilligt man die Fusionspläne mit Deutschland. Die Deutsche Börse solle ihre ertragsstarke Abwicklungsgesellschaft Clearstream bei der Fusion ausklammern, fordert Euronext-Chef Théodore, weil man selbst auch kein Geschäft mit der Übertragung von Wertpapieren betreibe. Außerdem kontrolliere Frankfurt über die Abwicklungsgesellschaft auch die nachbörslichen Geschäfte und wäre somit in der Lage, Monopolpreise zu verlangen, so die Befürchtung.
Vor allem aber besäße Deutschland ohne Berücksichtigung von Clearstream nicht mehr das Übergewicht in einem deutsch-europäischen Verbund: Das verbessert die Chance der Franzosen, die mit dem Sitz der Zentrale liebäugeln. Doch auch der Chef der Deutschen Börse Reto Francioni beansprucht den Sitz der Hauptverwaltung und Vorstandsposten.
Zwar haben die Deutschen bereits Zugeständnisse gemacht - der Aktienhandel solle künftig von Paris aus geleitet werden, das Terminbörsengeschäft soll in Frankfurt und London angesiedelt werden, der Sitz der gemeinsamen Holding soll in den Niederlanden liegen – doch das scheint Frankreich nicht zu reichen. Auch bei einer Fusion mit New York gerieten sie zum Juniorpartner, "aber dann wären die Franzosen der wichtigste europäische Partner der USA", sagt Gerke, "und das ist ihnen lieber, als in Europa die zweite Geige zu spielen."
Italien und London verhandeln mit
Mit der London Stock Exchange (LSE) hatte Euronext die Gespräche eingestellt, nachdem sich die amerikanische Nasdaq an der LSE mit inzwischen fast 25 Prozent beteiligte. Das Werben der Italiener hingegen hatte Erfolg: "Wir freuen uns darauf, baldmöglichst Fusionsgespräche mit der Borsa Italiana zu beginnen", hatte Euronext in der vergangenen Woche verkündet.
Bereits in der kommenden Woche wird der Aufsichtsrat der Borsa Italiana zusammentreten, um das Abkommen mit Euronext durchzuwinken, so der Direktoriums-Vorsitzende Angelo Tantazzi. Für Gerke ist die Bedeutung dieses Zusammenschlusses jedoch gering: "Italien wird innerhalb von Euronext kein großes Gewicht einnehmen. Wichtig ist jedoch, dass damit auch die Italiener im europäischen Boot sitzen und damit die Gefahr einer Isolation für Deutschland immer größer wird."