Europa hat gewählt - und nun?
10. Juni 2024Seit Donnerstag wählten die Europäerinnen und Europäer ein neues EU-Parlament - und das bereits zum zehnten Mal. Rund 360 Millionen Wahlberechtigte konnten 720 Abgeordnete aus 27 EU-Staaten bestimmen. Einige Staaten machten den Anfang, wie etwa die Niederlande und Irland, aber Sonntag war der entscheidende Wahltag. Nach Angaben des Europäischen Parlaments wurden am Sonntag in rund 20 Staaten die Kreuzchen für die EU-Politik der nächsten fünf Jahre gesetzt.
Jedem Land der Europäischen Union steht - entsprechend der Größe, jedoch nicht streng proportional zu den Einwohnern - ein gewisses Kontingent an Abgeordneten zu. Deutschland wird als bevölkerungsstärkstes Mitgliedsland durch 96 Abgeordnete vertreten. Die kleinsten Mitgliedstaaten wie Malta, Luxemburg und Zypern schicken jeweils sechs. Dazwischen bewegen sich die anderen Mitgliedstaaten.
Welche Themen beschäftigen die Europäer?
Friedenssicherung, Soziale Sicherheit und Zuwanderung waren laut ARD-Deutschlandtrend von Ende Mai die drei wichtigsten Aspekte für die Deutschen bei diesen Europawahlen. Auf EU-Ebene hielten die Europäer demnach Armutsbekämpfung und das Gesundheitswesen für die wichtigsten Wahlkampfthemen. Danach folgten gemäß einem Eurobarometer aus dem April die Förderung der Wirtschaft, die Schaffung neuer Jobs sowie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU.
Die wichtigsten Aufgaben des EU-Parlaments
In vielen Bereichen wie etwa Umweltschutz, Migrationspolitik und Wirtschaftspolitik ist das EU-Parlament einer von zwei Gesetzgebern. Die Abgeordneten müssen neue EU-Gesetze immer gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union - der Vertretung der 27 Mitgliedstaaten - beschließen. In anderen Bereichen, wie etwa der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wird das EU-Parlament lediglich informiert und angehört. Gesetze vorschlagen kann es in der Regel nicht, das ist Aufgabe der EU-Kommission.
Mehr als 70 Prozent der Europäer sagten in der Eurobarometer-Umfrage, die EU beeinflusse ihr tägliches Leben. Dennoch ist die Beteiligung bei EU-Wahlen traditionell niedrig. Die Wahlbeteiligung lag EU-weit nach ersten Schätzungen mit rund 51 Prozent etwa auf dem Niveau von 2019. Bei dieser Wahl lag sie in Deutschland laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis bei 64,8 Prozent - nach 61,4 Prozent bei der EU-Wahl 2019. Erstmals duften in Deutschland auch Jugendliche ab 16 Jahren wählen.
Nach der Wahl geht es um die Top-Jobs
Eine Woche nach der Wahl, am 17. Juni, werden die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem informellen Treffen des Europäischen Rats in Brüssel zusammenkommen. Ihr Ziel: Die EU-Spitzenpositionen neu zu besetzen, darunter auch den EU-Kommissionspräsidenten oder die -präsidentin. Die EU-Verträge sehen vor, dass die Staats- und Regierungschefs die Kandidaten nominieren. Der nächste reguläre Europäische Rat soll Ende Juni tagen.
Dabei kann das "Spitzenkandidatenprinzip" zum Einsatz kommen, wonach die stimmenstärkste Parteienfamilie den Chefsessel der EU-Kommission übernimmt. Sollten die Staats-und Regierungschefs dem System folgen, hätte Ursula von der Leyen, die derzeitige Amtsinhaberin und Kandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP), nach jüngsten Umfragewerten gute Karten. Ins Amt gewählt wird der oder die künftige Kommissionspräsident/-in dann durch das EU-Parlament mit einfacher Mehrheit.
Das Feilschen hat schon begonnen
Und das Feilschen um diese Mehrheit hatte in Brüssel schon längst vor Bekanntwerden der Wahlergebnisse begonnen. So erklärte Ursula von der Leyen in einer TV-Debatte, sie werde mit Abgeordneten zusammenarbeiten, die sich klar für Europa und die Rechtsstaatlichkeit positionieren - und die die Ukraine unterstützen. Die rechtspopulistische italienische Regierungschefin Giorgia Meloni zählte sie dazu. Eine Zusammenarbeit mit dem französischen "Rassemblement National", der rechtsnationalen Partei Marine Le Pens, schloss sie hingegen, zumindest im Vorfeld, aus.
Die Parteien dieser beiden Frauen gehörten bislang unterschiedlichen Parteienfamilien an. Melonis ultrarechte "Brüder Italiens" sitzen in der EKR-Gruppe (Europäische Konservative und Reformer) und Le Pens Partei in der rechten ID-Gruppe (Identität und Demokratie).
Die Annäherung an das rechte Lager ist nicht ohne Gefahr für von der Leyen. Andere Parteigruppen, wie etwa die Sozialdemokraten, könnten der Politikerin deshalb ihre Stimmen verweigern.
Wie sich der viel diskutierte Rechtsruck in der EU gestaltet, dürfte auch mit der Frage zusammenhängen, ob sich die rechtspopulistischen, rechtsnationalen und ultrarechten Parteien Europas zusammenschließen. Dieses Ziel verfolgt Marine Le Pen.
Am 16. Juli wird das neu gewählte Parlament das erste Mal in Straßburg zusammenkommen. Bis dahin dürfte sich herausgestellt haben, wie und in welchen Fraktionen sich die neuen Abgeordneten zusammenfinden.