Europa schaut genau
22. September 2007England, Frankreich und Deutschland haben jeder sein eigenes Überwachungssteckenpferd: England eine fast flächendeckend zu nennende Kameraüberwachung, Deutschland wohl bald die Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung, Frankreich die Drohnen. Der französische Staat werde "in absehbarer Zukunft" Drohnen zur Überwachung von Demonstrationen und Vorstadtunruhen einsetzen, hieß es aus dem französischen Innenministerium am 19. September 2007.
Die Drohnen sollen vor allem die Polizei bei Vorstadtunruhen unterstützen, während die in Deutschland geplante Online-Durchsuchung ebenso wie der englische Zugriff auf die Kameradaten der Terrorismusbekämpfung dienen soll.
Europäische Vorschläge
Der Europäische Union reichen diese Maßnahmen nicht aus. Nach dem bereits im Jahr 2006 die Vorratsdatenspeicherung als verpflichtende Richtlinie vom Europäischen Rat beschlossen wurde, stellte EU-Justizkommissar Franco Frattini Anfang September 2007 neue Pläne zur Abwehr von Terroristen vor.
So sollen Fluggastdaten nicht wie bisher nur auf Transatlantikflügen gespeichert werden, sondern auch im innereuropäischen Flugverkehr. Schließlich sei Europa wie die USA ein potenzielles Ziel für Anschläge, begründete Frattini seinen Vorschlag.
Bereits Ende Juni 2007, nach der Einigung im Fluggastdatenstreit mit den USA, hatte sich auch der deutsche Innenminister Schäuble für die Nutzung der Fluggastdaten innereuropäischer Flüge ausgesprochen. Justiz-Kommissar Frattini forderte außerdem die stärkere Überwachung des Internets.
Ein neuer Think Tank
Kurz nachdem Frattini die genannten Vorschläge vorstellte, nahm ein neu geschaffenes Forum im Auftrag der EU seine Arbeit auf. Es soll an innovativen Techniken zur Informationsbeschaffung sowie Strategien, diese Techniken später in die Gesellschaft einzuführen, arbeiten. Das ESRIF (European Security Research and Innovation Forum) tagte am 11. September 2007 erstmalig und soll eine Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Bürgerrechtsgruppen sein.
Die linke deutsche Zeitung "Junge Welt" sieht den Think Tank als Teil eines "massiven Ausbaus einer EU-weiten Überwachungsinfrastruktur, da die in den Projekten untersuchte Technik zur Anwendung auf EU-Ebene vorgesehen ist". Dem Blatt zufolge sollen durch das ESRIF der Ausbau der biometrischen Sicherheitsmöglichkeiten, zum Beispiel die Ausstattung der EU-Pässe mit Fingerabdrücken, sowie Verbesserungsmöglichkeiten bei der Anwendung von Überwachungskameras etwa durch Gesichtserkennung erforscht werden.
Begrenzte Kontrolle
Die Rechte des Europäischen Beauftragten für Datenschutz, Peter Hustinx, dagegen zu steuern sind beschränkt. So heißt es aus seiner Pressestelle, man vertrete hauptsächlich die Rechte der Mitarbeiter der Institutionen der Europäischen Union. Wird allerdings ein Gesetz erlassen, dass den Datenschutz betreffe, sei der Europäische Datenschutzbeauftragte befähigt, Stellungnahmen zu dem betreffenden Gesetz zu veröffentlichen, mehr nicht.
Sein Kollege aus England hat unterdessen viel zu tun. 4,2 Millionen Kameras sind im ganzen Land installiert, in Geschäften, an und in Bussen, auf Bahnhöfen, Privathäusern und öffentlichen Gebäuden. Im Schnitt kommt eine Kamera auf 14 Einwohner, das ist Weltrekord.
Doch auch diese Kameras scheinen die britischen Überwachungsphantasien nicht zu befriedigen. So waren in der englischen Kleinstadt Middlesbrough erste Kameras mit Lautsprechern ausgestattet worden, um Leute, die beim achtlosen Wegwerfen ihres Kaugummipapieres erwischt wurden, aufzufordern, dies bitte zu entsorgen.
Nun denken die Verantwortlichen in der englischen Provinz bereits darüber nach, das Experiment auf die nächste Stufe zu heben. Angedacht sei die Anwendung von Richtmikrofonen, die Gespräche belauschen können, berichtete die "Süddeutsche Zeitung." Außerdem testen auch die Briten derzeit den Einsatz von Drohnen.
Deutschland - digitaler Vorreiter
Zwar ist in Deutschland die Kameraüberwachung noch nicht so weit fortgeschritten wie auf den britischen Inseln, aber die deutschen Datenschützern haben trotzdem genug Sorgen. Der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung, der vom Bundestag noch in diesem Herbst beschlossen werden soll, bereitet ihnen ebenso Kopfzerbrechen, wie die vom Bundesinnenminister Schäuble vorgeschlagene Online-Durchsuchung. Sollte sie in Deutschland gesetzlich geregelt werden, wäre Deutschland das erste Land der Europäischen Union, wo das Ausspionieren privater Festplatten erlaubt ist.
Die Mehrheit der Bevölkerung sieht darin keine Nachteile. Einer Umfrage von Infratest dimap zufolge seien 58 Prozent der Deutschen für die Einführung der Online-Untersuchung, nur 36 Prozent lehnten die heimliche Durchsuchung privater Rechner ab.
Europäische Protestbewegung?
Im europäischen Kontext ist bisher noch keine Protestbewegung zu beobachten. Dies liegt wohl auch an der fehlenden europäischen Öffentlichkeit, die Adam Krzeminski in der "Frankfurter Rundschau" beklagte. So lange ein europäisches Bewusstsein fehle, wie von Krzeminski aufgrund fehlender transnationaler Medien moniert wird, gäbe es auch keine europäische Bürgerrechtsbewegung.
Ob in einem zunehmend generalisierten Rechtsraum Überwachungsmaßnahmen, die einmal von den nationalen Regierungen gesetzlich verankert wurden, auch auf europäischer Ebene implementiert werden, oder ob sich vorher Widerstand regt, bleibt abzuwarten. (mho)