Die rote Nelke, sie welkt und blüht
11. Juni 2019Dänemark
Jüngstes Erfolgsbeispiel von Europas Sozialdemokraten ist Dänemark. Bei der Parlamentswahl am 5. Juni wurden sie stärkste Kraft. Die junge Parteichefin Mette Frederiksen hatte auf eine Mischung aus hartem Kurs gegen Einwanderung und klassisch linker Wohlfahrtspolitik gesetzt. Das kam vor allem bei der traditionellen sozialdemokratischen Wählerschaft an. Denn viele Dänen aus der Arbeiterschaft und der unteren Mittelschicht, die jahrelang die rechtspopulistische Dänische Volkspartei gewählt haben, sind zu den Sozialdemokraten zurückgekehrt.
Frankreich
Kaum ein Land steht so für den Niedergang europäischer Sozialdemokratie wie Frankreich. Noch 2012 hatte die PS in der Nationalversammlung die absolute Mehrheit und stellte mit François Hollande den Staatspräsidenten. Dann der Absturz: Bei der Präsidentschaftswahl 2017 bekam ihr Kandidat gerade mal gut sechs Prozent der Stimmen und lag an fünfter Stelle. Bei der Europawahl rutschte sie sogar auf den sechsten Platz ab. Ihr Problem, so der Trierer Politologe Uwe Jun: "Die PS ist besonders in den Sog des Misstrauens gegenüber der politischen Klasse in den Mittelpunkt gerückt, da sie vor den letzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen die führende Regierungspartei war."
Niederlande
Ähnlich erging es der niederländischen Partei der Arbeit (PvdA) bei der jüngsten Parlamentswahl 2017. Die einst stolze Partei, die in der Nachkriegszeit dreimal den Ministerpräsidenten gestellt hatte, fiel auf das mit Abstand schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte: 5,7 Prozent, ein Verlust von nicht weniger als 19 Prozentpunkten gegenüber der Wahl davor. Doch so dramatisch die Verluste 2017, so steil war das Comeback dieses Jahr bei der Europawahl: Die PvdA wurde überraschend stärkste Kraft. Politologe Jun hält den Erfolg eher für einen Ausreißer, den er wesentlich auf die Person des aus den Niederlanden stammenden europäischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans zurückführt.
Großbritannien
Gerade unter der Jugend war der inzwischen 70-jährige Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn ein Hoffnungsträger, als er die Partei 2015 übernahm. Er beflügelte auch die Sozialdemokraten in anderen Ländern. Nach Jahren in der Opposition schien Corbyn der Traditionspartei neues Leben einzuhauchen. Er steht für eine altlinke Umverteilungs- und Verstaatlichungspolitik, anfangs sogar für einen Austritt aus der NATO.
Doch der Traum von einer Rückkehr an die Regierung ist mit dem Brexit-Streit geplatzt, in dem Labour ebenso gespalten ist wie das Land insgesamt. Bei der Europawahl kam die Partei auf nur noch 14 Prozent der Stimmen. Es wachsen die Zweifel, ob Corbyn als Regierungschef geeignet wäre. Wofür steht Labour? Diese Frage stellen sich inzwischen viele Wähler und wenden sich ab.
Schweden
Schweden gilt als DAS Musterland der Sozialdemokratie. In wohl keinem anderen europäischen Land hatten Sozialdemokraten auf Dauer solche Erfolge. Bei sämtlichen Reichstagswahlen seit 1917 wurden sie stärkste Kraft, auch wenn sie nicht immer den Ministerpräsidenten stellten. Bei der jüngsten Reichstagswahl 2018 sackte die Partei auf 28 Prozent ab, ihr schlechtestes Ergebnis seit 110 Jahren.
Trotzdem blieb sie obenauf. Das galt auch für die Europawahl. Allerdings machen den Sozialdemokraten wie in vielen europäischen Ländern zunehmend die Rechtspopulisten, hier die Schwedendemokraten, zu schaffen. Dennoch behaupten sich die Sozialdemokraten weiterhin als große integrierende Kraft in Schweden.
Österreich
Die österreichischen Sozialdemokraten (SPÖ) haben schon bessere Zeiten gesehen, sehr viel bessere sogar. Seit 1945 stellte die SPÖ in 15 der 28 Regierungen den Bundeskanzler. Bis 1990 bekam sie bei Nationalratswahlen mehr als 40, in den für sie goldenen 70-er Jahren dreimal sogar knapp über 50 Prozent der Stimmen. Davon ist die SPÖ heute weit entfernt. Ein Absturz wie der SPD in Deutschland ist der SPÖ aber bisher erspart geblieben.
Das Besondere an der Situation in Österreich sind die häufigen großen Koalitionen mit der konservativen Österreichischen Volkspartei, ÖVP. Diese haben allerdings mit zum Aufstieg der rechtspopulistischen FPÖ geführt. Erstaunlicherweise konnte die SPÖ bisher nicht von der Affäre um die Videos des vormaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache und dem Bruch der ÖVP-FPÖ-Koalition profitieren.
Osteuropäische Länder
In mehreren östlichen EU-Ländern kann man bei den Sozialdemokraten schon nicht mehr von Volksparteien sprechen. Die ungarische MSZDP etwa ist schon seit dem Ende des Kommunismus vor 30 Jahren bedeutungslos, während der rechtspopulistische Bürgerbund Fidesz von Viktor Orban den politischen Raum inzwischen fast vollkommen beherrscht. In Polen trat die ehemalige sozialdemokratische Regierungspartei SLD bei der Europawahl nur als Teil eines pro-europäischen Oppositionsbündnis an.
Allerdings gibt es auch neue Parteien mit sozialdemokratischer Grundausrichtung in beiden Ländern, die seit der Europawahl von sich reden machen, in Polen die Partei Wiosna, in Ungarn die Demokratische Koalition. In der Slowakei vertritt die offiziell sozialdemokratische Smer zum Teil nationalpopulistische Positionen (etwa beim Thema Migration). In Rumänien regieren die Sozialdemokraten weiterhin. Aber ihnen wird vorgeworfen, die Justiz so umzubauen, dass unter Korruptionsverdacht stehende Parteimitglieder geschützt werden. Bei der Europawahl erlitt die Partei mit rund 23 Prozent eine schwere Schlappe.
Spanien und Portugal
Die größte Hoffnung für Europas Sozialdemokratie kommt von der Iberischen Halbinsel. Nach Jahren der Agonie regiert in Portugal seit 2015 der Sozialist Antonio Costa recht erfolgreich, wenn auch ohne eigene Mehrheit. Die Europawahl hat die Sozialisten noch einmal bestätigt, sie wurden dabei stärkste Kraft.
Noch mehr freuen kann sich in Spanien der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez. Seine Partei, die PSOE, hatte die Parlamentswahl im April deutlich gewonnen. Und nach der Europawahl stellen die 20 spanischen Europaabgeordneten künftig das größte Kontingent der sozialdemokratischen Fraktion in Straßburg.