Everest-Geschäft blüht - mit Nebenwirkungen
29. Mai 2013Die Pioniere von damals leben nicht mehr. Mit dem Neuseeländer George Lowe starb vor wenigen Wochen im Alter von 89 Jahren der letzte der Bergsteiger, die bei der erfolgreichen britischen Expedition 1953 mit dabei waren. Lowe war der erste Gefährte, der den Erstbesteigern Edmund Hillary und Tenzing Norgay nach ihrem Gipfelerfolg am 29. Mai auf dem Südsattel in 8000 Meter Höhe gratulierte. "George, we knocked the bastard off!" (George, wir haben dem Bastard eine verpasst!) waren Hillarys erste Worte an seinen neuseeländischen Freund. Eine verschlüsselte Nachricht der Erstbesteigung erreichte London am 1. Juni 1953, pünktlich zu den Krönungsfeiern von Queen Elizabeth II.. Die Briten jubelten gleich doppelt. Die Monarchin adelte später Hillary und Expeditionsleiter John Hunt. Für den Sherpa Tenzing Norgay gab es nur die "George Medal", die zweithöchste zivile Auszeichnung Großbritanniens. Tenzing Norgay starb 1986 mit 71, Sir Edmund Hillary 2008 im Alter von 88 Jahren.
Ultimatives Ziel für Abenteuer-Touristen
Der Neuseeländer erlebte noch mit, wie das kommerzielle Bergsteigen den Mount Everest eroberte. Weit über 6000 Mal wurde er inzwischen bestiegen. "Da sind Leute, die verstehen kaum etwas vom Bergsteigen, denen ist der Berg egal", sagte Hillary. "Alles was sie wollen, ist, den Fuß auf den Gipfel setzen, nach Hause zurückkehren und damit angeben." Hillary warb gemeinsam mit dem Südtiroler Reinhold Messner bei der Regierung Nepals dafür, die Zahl der Bergsteiger am höchsten Berg der Erde zu begrenzen. Doch die beiden Everest-Pioniere stießen auf taube Ohren. Der Everest-Tourismus ist schließlich die größte Einnahmequelle Nepals. Allein die Expeditionen hätten 2012 insgesamt 11,6 Millionen Dollar in die nepalesische Wirtschaft gespült, schätzt Ang Tshering Sherpa. Der langjährige Präsident des Nepalesischen Bergsteiger-Verbands ist als Expeditionsveranstalter selbst ein erfolgreicher Unternehmer. "Der Everest hat Nepal auf die Landkarte gebracht, als ultimatives Abenteuer-Touristenziel", sagt der 59-Jährige.
80-Jähriger auf dem Gipfel
Jahr für Jahr tummeln sich mehrere hundert Bergsteiger und ebenso viele Sherpas in den beiden Basislagern auf der tibetischen Nordseite und der nepalesischen Südseite des Mount Everest. Die Sherpas legen auf den beiden Normalrouten Fixseile bis hinauf zum 8850 Meter hohen Gipfel. In diese können sich dann die zahlenden Kunden mit ihren Steigklemmen einklinken. An den wenigen Schönwetter-Tagen bildet sich an den Flanken des Everest eine lange Schlange von Gipfelanwärtern. In diesem Frühjahr wurden mehr als 600 Besteigungen gemeldet. Mit dem Japaner Yuichiro Miura stand erstmals ein 80-Jähriger auf dem Dach der Welt. Aus 7800 Metern wurde ein Bergsteiger per Hubschrauber gerettet - ein Rekordflug. Neun Menschen bezahlten in diesem Frühjahr ihr Abenteuer Everest mit dem Leben. Sie starben höhenkrank, an Schwäche oder stürzten ab.
Messner: Banaler Berg
"Der Everest ist ein banaler Berg geworden", findet Reinhold Messner, der 1978 mit dem Österreicher Peter Habeler den Everest erstmals ohne Atemmaske bestieg und 1980 als Erster im Alleingang. "Das hat mit klassischem Alpinismus nichts zu tun. Die Leute besteigen auch nicht Hillarys Everest und auch nicht meinen. Sie besteigen einen anderen Berg, wenn er auch geologisch derselbe ist." Viele Spitzenbergsteiger machen inzwischen einen Bogen um den Everest. "2012 war ich gleich nebenan am Nuptse (Anm. 7861 Meter hoher Berg nahe dem Everest) unterwegs und habe gesehen, was am Everest los war", sagt die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner, die erste Frau, die alle 14 Achttausender ohne Atemmaske bestieg. "Das hat mich sehr beschäftigt, und es tat weh zu sehen, was sich dort abspielt. Das hat dieser Berg nicht verdient."
Sherpa-Angriff im Hochlager
Dem Italiener Simone Moro und dem Schweizer Ueli Steck wurde Ende April drastisch vor Augen geführt, dass Topbergsteiger am Everest fast schon unerwünscht sind. Weil sie angeblich beim Überqueren eines Seils Eisbrocken losgetreten hatten, wurden die beiden und ihr britischer Fotograf Jonathan Griffith von Sherpas wüst beschimpft. Als sie später ins darunterliegende Hochlager kamen, sahen sie sich einem wütenden Mob gegenüber. Mehrere Dutzend Sherpas schlugen und traten die Profibergsteiger aus Europa, bewarfen sie mit Steinen und bedrohten sie mit dem Tod. "Es waren die schlimmsten Minuten meines Lebens, ich hatte mit allem abgeschlossen. Es gab keinen Ausweg, ich war machtlos“, sagte Ueli Steck in einem Interview. "Viele Sherpas sehen in uns Parasiten, die an ihrem Berg sind, ohne den Profit zu steigern. Es wird in Zukunft noch mehr Bergsteiger geben, die eine Abreibung bekommen."