Ewig Erster: Juri Gagarin
12. April 2021Kosmonauten, Astronauten, Taikonauten - seit dem Flug Juri Gagarins am 12. April 1961 waren mehr als 500 Menschen aus verschiedenen Ländern im Weltraum. Flüge in die Erdumlaufbahn sind in 60 Jahren Routine geworden, der Ruhm des sowjetischen Pioniers scheint zu verblassen. Oder doch nicht? Die DW sprach mit deutschen Astronauten über den Pionier, den Kosmonauten Juri Gagarin, der 1968 bei einem Übungsflug im Alter von nur 34 Jahren ums Leben kam.
Im Schatten Neil Armstrongs
"Dass Juri Gagarin in den Weltraum geflogen ist, habe ich überhaupt nicht mitbekommen", erinnert sich Gerhard Thiele, einer der rund ein Dutzend deutscher Astronauten.
"Das wurde geheim gehalten. Erst als der Flug erfolgreich beendet war, ging man mit der großen Nachricht an die Öffentlichkeit." Er habe nur vage Erinnerungen daran, wie seine Eltern darüber gesprochen haben.
Thiele wuchs in Westdeutschland auf. Sein Interesse für die Raumfahrt habe Mitte der 1960er-Jahre mit den US-Flügen ins All begonnen, so der 67-Jährige. Die USA seien damals "sehr viel offener" als die Sowjetunion gewesen.
Gerhard Thiele flog im Jahr 2000 mit dem US-Spaceshuttle "Endeavour" in den Weltraum. "Was in der damaligen Sowjetunion geschah, hat man immer erst hinterher erfahren. Die Informationen in der Bundesrepublik waren sehr viel spärlicher," erinnert er sich.
Irgendwann sei der Russe Gagarin in sein Blickfeld gerückt, aber dieser sei nie so präsent gewesen wie Neil Armstrong, der als erster Mensch am 21. Juli 1969 den Mond betrat.
Spaziergang im Weltraum
Ähnliche Erfahrungen machte auch Reinhold Ewald. Als Gagarin am 12. April 1961 mit dem Raumschiff "Wostok 1" seinen spektakulären Raumflug machte, war er noch ein Kleinkind und verfügt deshalb kaum über Erinnerungen an den historischen Moment.
Im Gedächtnis haften geblieben ist ihm hingegen der erste Spaziergang im Weltraum, den 1965 der Russe Alexej Leonow unternahm. "Das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal begriff, dass da zwei Strömungen waren: die Amerikaner, die sich mit dem Apollo-Programm dem Mond nähern wollten, und die Erfolge der russischen Raumfahrt."
In der damaligen DDR war der russische Pionier Juri Gagarin bekannter. In den neuen Bundesländern erinnern bis heute viele Straßen an den ersten Menschen im All.
Das galt auch für den ersten ostdeutschen Kosmonauten Sigmund Jähn, der 1978 ins All flog. Anfang der 1990er-Jahre war es Sigmund Jähn, der Astronaut Reinhold Ewald in Russland auf Gagarins Spuren begleitete. Ewald bereitetet sich dort auf seinen Flug zur russischen Weltraumstation "Mir" vor, der dann 1997 mit dem russischen Raumschiff "Sojus" erfolgte.
"Kosmisch und komisch"
Der mittlerweile 64-jährige Ewald erinnert sich an die damalige Krisenstimmung kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion. So hätten die Mitarbeiter des Kontrollzentrums wochenlang kein Geld bekommen und hatten daraufhin ein vielsagendes Plakat aufgehängt: "Unsere Aufgabe ist kosmisch, unsere Bezahlung komisch." Ewald: "Das war sehr beeindruckend."
Auch der Astronaut Gerhard Thiele bereitete sich in Russland als Ersatzmann für einen niederländischen Astronauten auf einen Flug ins All vor, allerdings erst im Jahr 2003. Dort sah er, wie das Vermächtnis von Juri Gagarin gepflegt wurde.
Thiele erinnert sich: "Im Umkleideraum schaute ich direkt auf den Umkleidespind von Juri Gagarin." Dort seien Tennisschläger und Sportsachen des ersten Kosmonauten hinter einer Tür aus Plexiglas ausgestellt gewesen.
"Immer, wenn ich mich hingesetzt habe, habe ich auf Gagarins Spind geguckt. Das ist schon ein besonderes Gefühl zu wissen, dass man im selben Raum ist und die gleichen Fußbodenkacheln betritt, wie Juri Gagarin, der erste Mensch im All."
"Pojechali!", los geht's!
Und was denkt die heutige Generation über Gagarin? Matthias Maurer, einer von zwei aktiven deutschen Astronauten, bereitet sich gerade auf seinen ersten Flug ins All vor. Wenn alles nach Plan läuft, fliegt der 51-Jährige im Herbst mit dem Dragon-Raumschiff des US-Unternehmens SpaceX zur ISS.
"Wenn ich mich vorbereite, kann ich zum Glück auf die Erfahrung der über 500 Menschen, die vor mir im Weltraum waren, zurückgreifen", sagt Maurer. "Gagarin konnte das nicht." Je näher sein Start heranrücke, desto mehr Respekt verspüre er deshalb für Gagarins Leistung.
Maurer lernte Gagarins historisches Vermächtnis während seines Russisch-Unterrichts kennen, den er zur Vorbereitung auf den Einsatz auf der ISS absolvierte. Legendär sei nicht nur der Spruch "Pojechali!" (Los geht's!), sondern auch die Landung mit einem Fallschirm mitten im Feld gewesen.
Für deutsche Astronauten ist Gagarins Ruhm auch nach 60 Jahren nicht verblasst. "Er ist absolut ein Held", sagt Matthias Maurer, insbesondere aufgrund der Umstände, unter denen er als erster Mensch ins All flog.
"Fast leichtsinnig"
"Bei Gagarin musste ich an Christoph Kolumbus denken", sagt Gerhard Thiele. Er sei "mutig" und "fast leichtsinnig" gewesen. "Die Technik war damals so einfach gewesen, es hätte auch schiefgehen können."
Zum Beispiel bei Gagarins Rückflug zur Erde: "Das Aggregat-Modul hatte sich nicht von der Landekapsel getrennt, die Kapsel zog das Modul hinterher, das Gleichgewicht stimmte nicht, und erst als die Kabel durchgeschmolzen waren, konnte die Kapsel am schwierigsten Teil die richtige Lage einnehmen", beschreibt Thiele die Schwierigkeiten bei der Landung.
"Neil Armstrong und Juri Gagarin sind zwei Größen aus der Raumfahrt, die immer präsent sein werden", sagt er. Im Europäischen Astronautenzentrum in Köln erinnert eine Büste an den ersten Kosmonauten. "Damit wollen wir immer wieder diese Leistung würdigen. Der erste Mensch im All, das war Juri Gagarin", sagt Matthias Maurer. "Das bleibt für immer."