"Prohibition ist keine Lösung"
13. April 2016Deutsche Welle: Als Präsident von Kolumbien (1990 bis 1994) haben Sie den "Krieg gegen Drogen" unterstützt. Haben Sie damals daran geglaubt, diesen Krieg gewinnen zu können?
César Gaviria: Wir mussten gegen die Kartelle kämpfen, weil sie zu mächtig wurden. Sie haben demokratische Institutionen bedroht, politische Kandidaten ermordet und in jeder kolumbianischen Stadt Bomben gezündet. Aber trotz der außerordentlichen Anstrengungen im Kampf gegen die Kartelle: Die Drogengeschäfte laufen weiter! Wenn wir schauen, wo wir jetzt stehen, müssen wir uns eingestehen, dass Prohibition keine Lösung ist. Wir können Jahrzehnte lang gegen Drogen kämpfen und treten dennoch auf der Stelle.
Warum sind die Drogenkartelle so mächtig geworden?
Solange der Konsum von Drogen als Straftat gilt, werden Drogenhandel und ausufernde Gewalt zunehmen und die Strukturen ganzer Staaten erschüttern. In der Vergangenheit hat sich das in Kolumbien abgespielt, heute wiederholt sich das in Mexiko. Alle lateinamerikanischen Städte leiden unter großer Unsicherheit; Gewalt und Morde nehmen zu. Die meisten Straftaten hängen mit dem lokalen Drogenkonsum zusammen oder mit dem internationalen Drogenhandel - wie im Fall von Kolumbien, Mexiko oder einigen mittelamerikanischen Ländern. Es ist unübersehbar: Die Menschheit und die internationale Gemeinschaft können im Kampf gegen Drogen keine Erfolge vorweisen!
Wurde die Macht des Medellin-Kartells durch die Festnahme von Pablo Escobar gebrochen?
Escobar wurde nicht verhaftet. Er hat sich 1991 der kolumbianischen Justiz gestellt. Er hat die gesetzlichen Regeln akzeptiert und wurde in einem Gefängnis in Medellin inhaftiert. Er hielt sich jedoch nicht an die Abmachungen mit der kolumbianischen Justiz. Nach seiner Flucht wurde er vom Militär und von der Polizei solange verfolgt, bis das Medellin-Kartel komplett zerschlagen war.
Kolumbien hat in den vergangenen 20 Jahren Polizei, Militär und Justiz gestärkt. Das Land verfügt über die größte Armee in Lateinamerika und das größte Budget für Sicherheit, gemessen am Anteil des Bruttoinlandsproduktes. Doch trotz alledem ist Kolumbien immer noch ein Drogenumschlagplatz! Wir können sagen: Wir haben alles versucht. Gebracht hat es nichts. Jett muss die Welt die Kriminalisierung des Drogenkonsums ändern!
Für die Bevölkerung in Lateinamerika gehört Drogengewalt zum Alltag. Warum ist es trotzdem so schwer, ihre Zustimmung zu einer neuen Drogenpolitik zu bekommen?
Die öffentliche Meinung kann sich ändern, wenn bei den jeweiligen Regierungen der politische Wille vorhanden ist. Es gibt in Lateinamerika ein echtes Interesse an Veränderungen. Europa hat seine Drogenpolitik schon vor langer Zeit neu ausgerichtet. In den USA werden diese Veränderungen gerade umgesetzt. Die Einstellung der Bürger gegenüber dem Konsum von Marihuana hat sich dort zum Beispiel in den vergangenen fünf bis zehn Jahren komplett gewandelt. Die Leute hatten die bisherige Politik satt. Aber es gibt auch Regionen, die kein Interesse an einer Änderung haben, zum Beispiel Asien oder Afrika.
Wie würde sich eine Legalisierung des Drogenkonsums auf die Kartelle auswirken? Weichen diese dann auf andere Geschäftsbereiche aus?
Das mag sein. Es darf aber nicht als Entschuldigung dafür missbraucht werden, nichts ändern zu wollen. Drogenhandel ist mit Abstand das profitabelste unter den illegalen Geschäften.
Welchen Einfluss hat der zwischen der kolumbianischen Regierung und den Farc-Rebellen angestrebte Friedensschluss auf den Drogenhandel?
Ein Friedensschluss wäre hilfreich, aber er würde das Problem nicht gänzlich beheben. Denn es geht nicht nur um die Produktion und den Handel von Drogen, sondern auch um die Nachfrage.
Drogenhandel ist eine der finanziellen Säulen der Farc-Rebellen...
Ja, das stimmt. Doch auch wenn die Farc nicht mehr mit Drogen handelt, bedeutet dies nicht, dass es in Kolumbien keinen Drogenhandel mehr gibt. Es ist der gleiche Effekt, der beim Zerschlagen eines Kartells eintritt: Es gibt positive Effekte, manches bessert sich. Aber das Problem in seiner Gesamtheit wird nicht gelöst.
Wie könnte sich die Nachfrage nach Drogen verringern? Wäre die Anti-Tabak-Kampagne ein Modell für Drogenprävention?
Es ist sicher notwendig, die Leute und insbesondere junge Leute, davon zu überzeugen, dass Drogen schlecht und schädlich sind. Wie bei der Anti-Tabak-Kampagne kann man sie davon überzeugen, dass sie ihr Verhalten verändern können.
Portugal und Uruguay gelten als Vorreiter für eine neue Drogenpolitik. Sollte die internationale Gemeinschaft ihrem Beispiel folgen?
Portugal hat sich von der Kriminalisierung verabschiedet und verfolgt eine Regulierung des Konsums. Es hat ein sehr viel besseres System als viele andere Länder Europas oder der Welt. Viele Leute haben vorausgesagt, die Legalisierung des Drogenkonsums würde in einer Tragödie enden, würde zu exzessivem Konsum und Gewalt führen würde. Das Gegenteil ist passiert. Die Drogengewalt in Europa ist gering. In den USA, wo Konsum als Straftat gilt, hingegen schon. Es gibt keine allgemeingültige Lösung beim Kampf gegen Drogen, jedes Land muss seinen eigenen Weg finden. Klar ist aber: Die Politik der Prohibition und Kriminalisierung muss durch etwas Vernünftigeres ersetzt werden, dass bessere Ergebnisse bringt.
Was erhoffen Sie sich von der UN-Generalversammlung zum Thema Drogen vom 19. bis 21. April in New York?
Ich habe keine großen Erwartungen. Was die Weltkommission für Drogenpolitik erwartet, ist: Lasst jedes Land Pilotprogramme testen und unterschiedliche Herangehensweisen ausprobieren – so wie Uruguay, Portugal und Holland das gemacht haben. Die schlimmste Vorstellung wäre für mich, wenn wir genauso weiter machen wie in den vergangenen 50 Jahren!
Das Gespräch führte Astrid Prange
César Augusto Gaviria Trujillo überlebte als Präsidentschaftskandidat und Staatsoberhaupt von Kolumbien (1990 - 1994) mehrere Anschläge des Medellin-Kartells. Von 1994 bis 2004 war er Generalsekretär der Organisation amerikanischer Staaten (OAS).Gaviria gehört neben zahlreichen anderen ehemaligen Staatschefs und Politikern der Global Commission on Drug Policy an, die sich für eine neue Drogenpolitik einsetzt.