Extremismus in der Bundeswehr
19. Juli 2013
Die drei deutschen Geheimdienste haben derzeit keinen leichten Stand. Der BND soll vom US-Ausspähprogramm "Prism" gewusst haben, und mehr noch: Er soll die Daten selbst genutzt haben. Dem Verfassungsschutz wiederum wird mangelnde Transparenz bei der Aufklärung der NSU-Mordserie vorgeworfen. Und der Militärische Abhördienst (MAD), der Geheimdienst der Bundeswehr, soll gar versucht haben, den Rechtsterroristen Uwe Mundlos als Spitzel anzuwerben - so schrieben es deutsche Tageszeitungen. Die Bundeswehr dementiert. Doch bleibt die Frage: Wie viele Extremisten gibt es in der Truppe tatsächlich?
"Umgang mit der Waffe" interessant für Rechtsextreme
In einem Interview mit dem "Deutschlandfunk" ist MAD-Chef Ulrich Birkenheier in die Offensive gegangen: Rund 400 extremistische Sachverhalte habe der Militärische Abschirmdienst im Jahr 2012 in den Reihen der Bundeswehr geprüft, davon 300 mit rechtsextremem und 50 mit islamistischem Hintergrund.
"Der Schwerpunkt liegt im rechten Bereich, weil wir immer wieder feststellen, dass die Bundeswehr für junge Männer im Altersbereich 18 bis 25 sehr attraktiv ist: Der Umgang mit Waffen ist für einige sehr interessant", so Birkenheier. Linksextreme seien in der Bundeswehr so gut wie gar nicht zu finden.
Auch Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Deutscher Bundeswehrverbandes, also der Gewerkschaft der Soldaten, bestätigt extremistische Übergriffe: "Ja, ich habe schon schlechte Erfahrungen gemacht. Ich bin persönlich bedroht worden", sagte er dem Westdeutschen Rundfunk. Details will Kirsch nicht nennen, "sonst wecke ich nur die auf, die sich so etwas wieder vorstellen könnten".
Nach Ansicht von Rainer Arnold, dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, hat die Bundeswehr tatsächlich eine "bestimmte Ausstrahlungskraft“ auf junge Rechte. Jeder Einzelne davon sei einer zu viel: "Wir wollen Staatsbürger in Uniform, die unsere Demokratie verstehen und verteidigen. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass der MAD solchen Männern nachgeht."
400 Vorfälle durch 40 aufgespürte Extremisten pro Jahr?
Die hohe Zahl an rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr im Jahr 2012 ist umso bemerkenswerter, da in den vergangenen fünf Jahren die durchschnittliche Zahl aufgedeckter Extremisten bei nur 40 Personen lag, wie die Bundeswehr auf Anfrage der Deutschen Welle mitteilte. Nach Angaben von Bundeswehrsprecher Ludger Terbrüggen sei eine Aussage über die vergangenen zehn Jahre nicht möglich, da nach Ablauf von fünf Jahren alle gespeicherten Daten gelöscht werden müssten. Zur genauen Aufschlüsselung der Vorfälle nach Jahren verweigert die Bundeswehr aus Sicherheitsgründen Angaben.
Auf Rückfrage hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme: Die "Vermutung, dass aufgrund eines möglicherweise geänderten Überprüfungsverfahrens die Zahl erkannter Extremisten in die Höhe geschnellt ist", sei falsch. Zwischen festgehaltenen Sachverhalten und tatsächlich enttarnten Extremisten müsse unterschieden werden. "Das Aufkommen hat sich somit in den vergangenen Jahren nicht signifikant verändert."
Auch eine eindeutige Zuweisung in bestimmte soziale Milieus sei nicht möglich: "Die als rechtsextrem identifizierten Soldaten entstammen der gesamten Bandbreite unterschiedlicher Schichten unserer Gesellschaft", so Bundeswehr-Sprecher Terbrüggen im Interview mit der Deutschen Welle.
Der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Helmut Königshaus (FDP), war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen - die Vorfälle blieben vorerst auf Ebene der Bundeswehr zu klären, teilte seine Pressestelle mit.
MAD will mehr Mitsprache bei Auswahlverfahren
Da der Bundeswehr-Geheimdienst erst aktiv werden kann, wenn der Betreffende bereits Mitarbeiter der Bundeswehr ist, also Soldat, Angestellter oder Beamter, wünscht sich MAD-Chef Birkenheier eine Zuständigkeit seiner Organisation schon im Bewerbungsprozess, um die Soldatenlaufbahn einzubeziehen.
Der Sicherheitsexperte der SPD, Rainer Arnold, hält davon wenig. Er warnt vor doppelten Strukturen: "Ich glaube nicht, dass es richtig wäre, wenn der MAD im Vorfeld - also bei Menschen, die sich nur bewerben - Ermittlungsrechte hätte. Dafür haben wir den Verfassungsschutz."
Die Streitkräfte in demokratischen Staaten sind seit jeher ein "Spiegel der Gesellschaft, sie rekrutieren in dieser und weisen die gleichen gesellschaftlichen Problemfelder wie diese auf", sagt Stefan Hansen, Geschäftsführer des Instituts für Sicherheitspolitik in Kiel. Laut einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung haben im Jahr 2012 immerhin neun Prozent der Bundesbürger ein rechtsextremes Weltbild. Die Bundeswehr prüfe ihre Bewerber in einem mehrstufigen Auswahlverfahren, so Hansen. Nach dem vorgeschalteten Filter, dem gezielten Abfragen von rechtsextremen Gesinnungen im Auswahlverfahren, würden Soldaten doppelt kontrolliert: innerhalb der Bundeswehr durch den Militärischen Abschirmdienst, außerhalb der Institution durch den Verfassungsschutz.
Bei einer späteren Verwendung in sicherheitsempfindlichen Bereichen erfolge zudem stets eine Sicherheitsüberprüfung, bei der extremistische Tendenzen bemerkt werden würden, so Forscher Hansen. Von der Gefahr einer extremistischen Unterwanderung der Bundeswehr sei derzeit nicht auszugehen.