Faktencheck: Angebliches AfD-Video zu Ukraine-Krieg ist Fake
27. Juli 2023Eine deutsche Familie sitzt in ihrem idyllischen Zuhause und sieht eine Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Ukraine-Krieg im Fernsehen. Da klingeln Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und konfiszieren nach dem Eintreten alle möglichen Wertgegenstände sowie Erspartes. Auf dem Klemmbrett einer Soldatin steht "Hilfe für Selenskij" (ja, falsche Schreibweise des Namen des ukrainischen Präsidenten), ein Bild mit dessen Konterfei kommt dann sogleich auch an die Wand, die Soldatin sagt "Heil, Selenkyj".
Die Familie bleibt in ihrem leergeräumten Haus zurück, der Schriftzug "Ist dein Haus in der NATO? Akzeptiere die NATO in deinem Haus" erscheint. Darauf folgt die Information, dass bereits "mehr als 22 Milliarden Euro" seit Anfang 2022 von Deutschland an die Ukraine gegangen seien.
Deutsche Ukraine-Hilfe in der Kritik
Die Schriftzüge und Scholz' Aussagen sind auch auf Russisch untertitelt, nur weniges wie "Guten Tag" oder "Heil, Selenskyj" in dem ohnehin sprecharmen einminütigen Video ist nur auf Deutsch und bleibt unübersetzt. Somit ist es sowohl für Deutsch- als auch Russischsprechende verständlich. Verbreitet hat sich der Satire-Clip aber vor allem unter letzteren.
Der russische Journalist OstashkoNews erhielt auf Telegram etwa über 118.000 Views für das Video, welches er (auf Russisch) unter anderem mit folgenden Informationen versehen hat: "Sie sagen, dass die Autoren des Videos Mitglieder der Partei Alternative für Deutschland sind. In dem Video nehmen die NATO-Soldaten den Deutschen alles weg, um der Ukraine zu helfen. Sie lassen sie auch den Führer der Ukraine in der Art von Nazideutschland grüßen."
Die satirische Kritik an hohen Geldbeträgen, die der deutsche Staat seinen Bürgern abknöpfe, um die Ukraine im Krieg gegen Russland zu unterstützen, mag tatsächlich als eine der AfD nicht unähnliche Stoßrichtung erscheinen. Die rechtspopulistische Partei hat in den vergangenen eineinhalb Jahren immer wieder durch eine eher russlandfreundliche Sichtweise auf den Krieg von sich Reden gemacht. Doch die Pressestelle der "Alternative für Deutschland" erklärt auf DW-Anfrage: "Die Alternative für Deutschland ist nicht die Urheberin des Videos und hat erst durch Sie Kenntnis von diesem Video erhalten."
Russische Schauspieler involviert?
Was allerdings stimmt, ist die Information, dass "Deutschland der Ukraine bereits Hilfen im Gesamtwert von knapp 22 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt" habe. Das ist auch auf der Website der Bundesregierung nachlesbar.
Die Frage, wer wirklich hinter dem Video steckt, kann das DW-Faktencheckteam nicht abschließend klären. Die meisten Bilderrückwärtssuchen liefern keine hilfreichen Ergebnisse. Eines der wenigen brauchbaren Resultate: Die Häuserzeile aus der Einstiegsszene, die mit "Deutschland 2023" betitelt ist, entstammt wohl in Wirklichkeit einem Foto von 2017, das in der pfälzischen Gemeinde Rhodt unter Rietburg aufgenommen wurde.
Die DW hat auch Einschätzungen von Fachleuten eingeholt. Der Historiker und Propaganda-Experte Christian Hardinghaus erklärt, er schließe "zu 99 Prozent aus, dass es von der AfD kommt. Ich glaube nicht mal, dass dort Deutsche im Video zu sehen sind."
Damit scheint Hardinghaus richtig zu liegen. Laut verschiedener Medien handelt es sich bei den im Video vorkommenden Menschen um russische Schauspieler. Das legt auch der untenstehende Tweet des Radio-Liberty-Journalisten Mark Krutov nahe.
Typische russische Propaganda-Motive
Lea Frühwirt von CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) erklärt im Gespräch mit der DW: "Das Video stimmt mit zwei typischen russischen Propaganda-Motiven überein. Erstens, dass die Ukraine von Nazis regiert wird. Und zweitens, dass Deutschland mit der Unterstützung der Ukraine die eigene Bevölkerung gefährdet."
Bezogen auf deutsche Rezipienten sei es somit geeignet, die Solidarität mit der Ukraine zu verringern. Aber hauptsächlich sei das Video, so glaubt die Desinformationsforscherin, eine Message an die russische Bevölkerung. Gerade der Verweis auf die AfD als Urheberin solle zeigen: In Deutschland gibt es auch viele prorussische Stimmen, nicht alle sind für die Ukraine.
Frühwirt verweist unter anderem auf ein gefälschtes Titanic-Cover vom Dezember vergangenen Jahres, das strategisch ähnlich gelagert gewesen sei. Damals kursierte ein angebliches Titelbild des deutschen Satiremagazins im Internet, das die Karikatur eines geldschluckenden Selenskyjs mit weit geöffnetem Mund zeigt.
Auch hinter dieser Desinformationskampagne vermuteten damals viele Russland. Titanic-Chefredakteurin Julia Mateus erklärt gegenüber der DW, sie halte es nicht für unwahrscheinlich, "dass es sich um die gleichen Auftraggeber handelt wie bei den Titanic-Fake-Titeln".