Ukraine-Krieg spaltet Rechtsextreme
3. April 2022Rechtsextremen Organisationen in Deutschland gelingt es nicht, eine einheitliche Haltung zu Russlands Einmarsch in die Ukraine zu finden. Das beobachten Kenner der deutschen Neonazi-Szene. Während einige Gruppen den autoritären russischen Staatsführer und seine Ablehnung der NATO unterstützen, erklären sich andere mit dem rechtsextremen Asow-Bataillon in der Ukraine solidarisch.
Eine knappe Mehrheit der deutschen Neonazis neigt der ukrainischen Seite zu, sagt Nicholas Potter, Journalist und Forscher bei der Amadeu Antonio Stiftung, einer der führenden deutschen Organisationen, die die rechtsextreme Szene untersucht. Zwischen ihnen und den kämpfenden Ukrainern bestehen jedoch entscheidende Unterschiede.
"Diese Parteien, Einzelpersonen, Bewegungen, das sind keine eingefleischten Demokraten, die an die Unabhängigkeit der Ukraine glauben und die Regierung des jüdischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unterstützen", betont Potter im Gespräch mit der DW. "Es wäre falsch, zu behaupten, dass sie für dieselben Ideale kämpfen wie die meisten Ukrainer."
Wenn deutsche Neonazis die Ukraine unterstützen, dann liegt das vor allem an den Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen in der Ukraine, erklärt Johannes Kiess, Experte für Rechtsextremismus am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig: "In der Kampfsport- und Hooligan-Szene, in der Neonazi-Szene, da gibt es auch europaweit Verbindungen. Auch nach Polen. Das ist nicht nur ein deutsch-ukrainisches Ding."
Pro-ukrainische Nazis
Zu den relativ offen pro-ukrainischen rechtsextremen Parteien zählt Der III. Weg, eine 2013 von militanten Neonazis gegründete Kleinpartei, die nur einige hundert Mitglieder zählt. Insgesamt bezeichnet der deutsche Verfassungsschutz etwa 13.000 Neonazis in Deutschland als gewaltorientiert. Im Oktober 2021 geriet die Partei kurzzeitig in die Schlagzeilen, als sie zu "Grenzgängen" an der deutsch-polnischen Grenze aufrief, um Migranten aufzugreifen. Die Polizei setzte der Aktion schnell ein Ende.
Die Gruppe hat nicht nur Redner des paramilitärischen Asow-Batallions aus der Ukraine eingeladen, sondern auch an gemeinsamen Übungen teilgenommen. Auf der Website der Partei steht zu lesen, dass sie "den russischen Imperialismus mit dem Ziel der Wiederherstellung einer Sowjetunion" ablehne und Unterkünfte für ukrainische Nationalisten und deren Familien suche.
Laut Potter betrachten Rechtsextremisten wie Der III. Weg Europa als ein Bündnis weißer Nationen. Die Ukraine hat demzufolge als eine Nation weißer Menschen das Recht auf Selbstbestimmung. Deutsche Rechtsextreme blicken zudem häufig mit Neid auf die Stärke der ukrainischen rechtsextremen Bewegung und ihre paramilitärischen Verbände.
Dazu kommen die historischen Vorurteile der extremen Rechten in Deutschland gegen Russland. Auch wenn Russland offensichtlich kein kommunistisches Land mehr ist, sei es doch interessant, welche Rolle der Antikommunismus spiele, hebt Potter hervor: "Es ist geradezu bizarr. Als würden sie Putins Propaganda wörtlich nehmen. Er sagt, er wolle die Ukraine entnazifizieren, und sie sehen ihn als eine Art linke, antifaschistische Bedrohung."
Experten fällt auch auf, wie häufig in rechtsextremen sozialen Netzwerken über die Option gesprochen wird, in die Ukraine zu reisen und dort an den Kämpfen teilzunehmen, möglicherweise in den Reihen der Asow-Miliz.
Das Asow-Bataillon wurde 2014 als Freiwilligenmiliz gegründet, die in der Ostukraine gegen prorussische Separatisten kämpft. Trotz der bekannten Sympathien für neonazistisches Gedankengut und Vorwürfen, an Folter und Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein, wurde das Bataillon im November 2014, nach der russischen Annexion der Halbinsel Krim, in die ukrainische Nationalgarde aufgenommen. In den darauffolgenden Jahren bildete sich die politische Bewegung Asow, die jedoch kaum Wahlerfolge verzeichnen konnte.
Es gibt allerdings fast keine Beweise dafür, dass deutsche Neonazis tatsächlich dem Asow-Bataillon beigetreten sind. Die Nachrichtenplattform Belltower.News der Amadeu Antonio Stiftung bat das deutsche Innenministerium Ende März um offizielle Zahlen und erfuhr, dass von den bekannten Neonazis, die vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet werden, nur 27 die Absicht erkennen ließen, zum Kämpfen in die Ukraine zu reisen.
Vermutungen zufolge sind weniger als fünf Personen bisher in der Ukraine - und selbst von diesen ist nicht bekannt, ob sie an Kämpfen teilgenommen haben, oder welchen Gruppierungen sie beigetreten sind.
Die Pro-Putin-Allianz
Doch auch der russische Präsident Wladimir Putin kann mit Unterstützung durch den extrem rechten Rand in Deutschland rechnen. Unter dem Machthaber im Kreml seien Männer wieder Männer, die Energiekosten sänken, die "Islamisierung" höre auf und Linke würden eingesperrt, schreibt ein Teilnehmer in der Telegram-Chatgruppe der rechtsextremen Splittergruppe Freie Thüringer.
Am deutlichsten spricht sich die rechtsextreme Gruppierung Freie Sachsen für Putin aus. Sie wurde erst 2021 gegründet und bezeichnet sich selbst als Dachverband, der die Mitgliedschaft in anderen Organisationen gestattet. Die Freien Sachsen haben Überschneidungen mit Verschwörungsideologen der Querdenker-Bewegung, die die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 ablehnt. Der Gruppe gilt die NATO als Teil einer globalen Verschwörung, die dabei mitgeholfen habe, den Krieg anzuzetteln.
"Bei den Freien Sachsen ist es ganz klar, dass sie sich ideologisch sozusagen als Partner von Putin verstehen", sagt Kiess. "Das würde ich auch für die verschwörungsideologische Szene im Großen und Ganzen so sagen."
Rechtsextremer Mainstream im Dilemma
Die etablierteren rechtsextremen Parteien in Deutschland stehen jedoch vor einem politischen Dilemma. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat Schwierigkeiten, sich auf eine gemeinsame Position zu einigen. Während sich führende Köpfe der Partei, wie zum Beispiel der Vorsitzende Tino Chrupalla, zu Beginn der Verurteilung des russischen Einmarsches anschlossen, zeigten sich einflussreiche regionale Persönlichkeiten deutlich unentschlossener. Björn Höcke, Vorsitzender der Partei in Thüringen, beschrieb die Ukrainer als "Opfer einer geopolitischen Auseinandersetzung auf globaler Ebene zwischen der NATO (Westen) und Russland (Osten)".
"Sie stehen Putin auch ideologisch sehr nah. Sie wollen ja einen starken Mann, sie sind gegen die moderne Demokratie und die Geschlechtergerechtigkeit", erläutert Kiess. "Aber das ist natürlich extrem schwierig, wenn die öffentliche Meinung und die meisten Menschen in Deutschland sehr klar sehen, von wem der Krieg ausging und dass dieser Krieg sehr schrecklich ist."
Traditionell unterstützt die AfD Putin. Ihre Spitzenpolitiker haben - wie die meisten europäischen rechtsextremen Parteien - enge Beziehungen zum Kreml unterhalten und wurden aktiv von ihm unterstützt. Putins Ablehnung westlicher Organisationen wie der NATO und der EU passt hervorragend zu den Ansichten der großen Wählerbasis im Osten der Republik. Sie steht der EU-Mitgliedschaft skeptisch gegenüber, und zu ihren historischen Bindungen gehört auch ein Rest kulturelle Empathie für Russland.
Kiess geht davon aus, dass die AfD die Krise vor allem für ihre Anti-Regierungs-Rhetorik nutzen wird: "Ich denke, dass die AfD früher oder später versuchen wird, diesen Krieg kleinzureden und ihn zu verdrängen, sobald sich die Debatte in Deutschland auf die Energiesicherheit und die Kraftstoffpreise verlagert."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.