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"Rhetorisch brillant"

20. Februar 2012

Zwei Tage nach dem Rücktritt von Bundespräsident Wulff gab es einen designierten Nachfolger: Joachim Gauck. Über die Kandidatenfindung sprach die Deutsche Welle mit dem Politologen Jürgen Falter.

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ARCHIV - Der Parteienforscher Jürgen Falter gestikuliert am 26.03.2006 während der Livesendung der ARD-Polit-Talkrunde "Sabine Christiansen" in Berlin.Die Wutbürger von Stuttgart 21 haben nach Ansicht von Falter die Einführung von Bürgerhaushalten beschleunigt. Foto: Soeren Stache dpa/lhe (zu lhe-BLICKPUNKT vom 11.11.2011) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Jürgen FalterBild: picture-alliance/dpa

DW: Bemerkenswert an der Nominierung Gaucks war, dass er zunächst von den oppositionellen Sozialdemokraten und Grünen ins Spiel gebracht worden war. Dann schwenkte die FDP um. Und erst zum Schluss stimmten die Unionsparteien zu. Was sagt das über das Zusammenspiel der Regierungsparteien Union und FDP aus?

Falter: Dass das nicht ideal war, hat man ja gesehen. Bei der Union war es am Ende die Einsicht in den Zwang der Notwendigkeit. Denn wenn man daran festgehalten hätte, einen eigenen Kandidaten zu nominieren - auf den man sich ja mit der FDP nicht einigen konnte - dann hätte das zu einer großen Koalitionskrise geführt. Und Angela Merkel wollte natürlich alles, nur kein Platzen der Koalition zu diesem Zeitpunkt. Das hätte ja nicht nur den möglichen Untergang der FDP bedeutet, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch, dass die Unionsparteien in die Opposition gelangt wären.

Berlin/ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht am Sonntag (19.02.12) in Berlin nach einem Gespraech im Kanzleramt in Berlin auf einer Pressekonferenz neben dem Theologen und ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagenbehoerde, Joachim Gauck (l.), den sie als Kandidaten fuer das Bundespraesidentenamt vorstellen will, waehrend der SPD-Parteivorsitzende Siegmar Gabriel hinter ihnen entlang geht. Die Spitzen der Regierungsparteien und Vertreter von SPD und Gruenen einigten sich am Sonntag auf Gauck als Kandidaten fuer das Bundespraesidentenamt. (zu dapd-Text) Foto: Steffi Loos/dapd
Von der SPD gewünscht, von der CDU notgedrungen abgenickt: Joachim Gauck (li.)Bild: dapd

Heißt das also: Die FDP hat gepokert - und gewonnen?

Ja, die FDP hat versucht, Eigenständigkeit zu beweisen. Sie hat auf den populärsten Kandidaten gesetzt, einen Kandidaten, von dem schnell klar war, dass er am ehesten eine Mehrheit in der Bundesversammlung bekommen könnte. Und sie hat sich durchgesetzt. Die FDP hat einen Punktsieg erreicht, auch wenn es Unfrieden in die Koalition getragen hat.

Wie wird sich denn dieser "Unfrieden in der Koalition" ihrer Meinung nach auswirken?

Das wird sich auf die Atmosphäre innerhalb der Koalition auswirken, wie man öffentlich und intern miteinander umgeht. Aber die Regierungsarbeit dürfte es nicht wirklich lahm legen. Da existieren die alten "Baustellen" weiter, es gibt große Konflikte zwischen Ministern der Union und der FDP zum Beispiel beim Umstieg in der Energiepolitik und beim Ausbau der Energienetze. Diese Konflikte zu überwinden, wird nun natürlich nicht einfacher werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) unterhalten sich am Mittwoch (09.11.2011) zu Beginn der Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt in Berlin. Im Vordergrund sitzt Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler (FDP). Genau 22 Jahre nach dem Fall der Mauer legt die Bundesregierung am Mittwoch ihren neuen Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit vor. Foto: Rainer Jensen dpa/lbn
Neue atmosphärische Spannungen in der RegierungskoalitionBild: picture-alliance/dpa

Können sich die atmosphärischen Störungen innerhalb der Bundesregierung und das erzwungene Nachgeben der Union negativ auf das Handeln von Bundeskanzlerin Merkel im Ausland auswirken?

Ganz im Gegenteil: Es wird ihr vermutlich als ein weiteres Zeichen ihrer großen Flexibilität und Führungsstärke ausgelegt werden, dass sie in der Lage ist, so zu reagieren, dass sie am Ende nicht als die Blamierte dasteht.

Ist Joachim Gauck - nachdem er bei der letzten Präsidentenwahl gegen Christian Wulff unterlag - ein "Second-Hand-Kandidat"?

Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass das eine dominierende Interpretation werden wird. Schon allein deshalb, weil Wulff ja damals gewählt wurde, um die Handlungsfähigkeit der Koalition zu beweisen. Das wird Gauck nicht negativ anhaften. Es kommt ja hinzu: Gauck ist eine Persönlichkeit, die mit der Macht des Wortes punkten kann. Er ist zu rhetorischer Brillanz fähig und hat eine sehr eindrucksvolle Biographie, die er mit seiner Themenwahl "Freiheit" zusammen bringt. Ich glaube es daher nicht, dass man ihn als "zweitrangigen Kandidaten" oder als "Verlierer, der es dann doch noch geschafft hat" ansehen wird.

Joachim Gauck, candidate of the Germany's Social Democratic Partc (SPD) and the Green Party for the presidential elections attends a news conference Berlin, on Friday, June 4, 2010. The 70-year-old Joachim Gauck will face government candidate Christian Wulff when a special parliamentary assembly meets June 30 to elect a new head of state. (AP Photo/dapd/Berthold Stadler)
Gauck soll "dem Präsidentenamt die Würde zurückgeben"Bild: AP

Gauck ist also Ihrer Meinung nach ein Kandidat, der, wie seine Unterstützer sagen, nach Christian Wulff "dem Bundespräsidentenamt die Würde zurückgeben" kann?

Ja, ich glaube, dass er das im öffentlichen Auftreten auf jeden Fall kann. Auch Wulff hat Würde gezeigt - das darf man trotz seiner vielen Fehler aus der Zeit, bevor er Bundespräsident wurde, nicht vergessen. Er war ein würdevoller Präsident, der zurückhaltend und mit Distanz auftrat. Und ich glaube, dass Gauck mindestens in gleichem Maße dazu in der Lage ist, ohne dass er vermutlich die Mängel hat, die man leider Wulff vorhalten konnte.

Autor: Klaus Dahmann
Redaktion: Sonila Sand