Die EU empfängt ihre Gegner
8. Januar 2018Der ehemalige Parteiführer Nigel Farage kam in Schlapphut und Mantel. Er selbst sieht sich als Agent der 17,4 Millionen Briten, die 2016 für den Brexit gestimmt haben. Deren Stimme, 52 Prozent der Wählerinnen und Wähler, werde von niemandem vertreten, behauptete Farage nach einem Gespräch mit dem EU-Chefunterhändler Michel Barnier vor der EU-Kommission in Brüssel. Barnier habe überhaupt nicht verstanden, worum es den Brexit-Wählern gegangen sei, schimpfte Farage, der Europaabgeordneter der "United Kingdom Independence Party" (UKIP) ist.
Farage bekleidet kein Amt
"Ich habe Barnier gefragt, wen er denn eigentlich vertritt? Vertreten Sie Brüssel? Die Glas- und Stahlburgen hier mit all den zehntausenden von Beamten, die mehr verdienen als jeder britische Premierminister", sagte Farage nach dem rund 30 Minuten dauernden Gespräch. Farage bekleidet kein Amt in Großbritannien, sondern ist lediglich einfacher Abgeordneter im Europäischen Parlament. Den Vorsitz seiner Partei gab er unmittelbar nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 ab. Auf die Frage der Deutschen Welle, für wen er spreche, sagte Nigel Farage: "Ich versuche hier für die zu sprechen, die für den Brexit gestimmt haben und die bisher nicht gehört wurden." Seine Kritik richtete der nationalkonservative Farage, der sein ganzes politisches Leben für den EU-Austritt gefochten hat, auch an die britische Regierung. Premierministerin Theresa May habe bis heute noch nicht einmal über die wichtigste Frage, die zum Brexit geführt habe, verhandelt, und das sei die Migration. "Millionen Menschen haben für bessere Grenzkontrollen gestimmt. Passiert ist bisher gar nichts."
Keine Angst vor hartem Brexit
Er warf den Verhandlungsparteien vor, auf Zeit zu spielen. Es könne nicht sein, dass es bis zu sechs Jahre dauern werde, bis ein Handelsabkommen fertig sei. "Wir haben nicht für eine Übergangsperiode gestimmt. Wir haben nicht dafür gestimmt, das alles ewig hinaus zu zögern." Die EU werde ein Handelsabkommen schließen, sagte Farage voraus, weil das Vereinigte Königreich der wichtigste Markt für die restliche Europäische Union sei. Der britische Politiker meinte, er sei für eine gütliche Regelung mit der EU und ein Brexitabkommen. "Wenn es aber keines gibt, ängstigt mich das auch nicht."
Nigel Farage sagte voraus, dass die Zahl derjenigen Briten, die einen harten Brexit ohne Abkommen mit der EU wollten, steigen werde. "Viele werden sagen, wir wollen nicht diese jahrelange Agonie. Lasst uns keine Zeit verschwenden. Wir machen das einfach unter den Regeln der Welthandelsorganisation", sagte Farage und bezog sich auf Gespräche mit Unternehmern. Allerdings müsste Großbritannien zuvor der Welthandelsorganisation noch beitreten, weil seine Mitgliedschaft derzeit an die Europäische Union geknüpft ist. Die vielen düsteren Szenarien der Brexit-Gegner über einen wirtschaftlichen Niedergang Großbritanniens hätten sich nicht erfüllt, erklärte Farage weiter.
Barnier empfängt Brexit-Gegner und Befürworter
Die EU-Kommission nahm nur mit einem einzigen Satz zu dem Gespräch zwischen ihrem Brexit-Unterhändler und dem Brexit-Vorkämpfer Stellung. "Die beiden Herren haben über den Fortgang der Artikel 50-Verhandlungen gesprochen", sagte der Sprecher der EU-Kommission, Magaritis Schinas in Brüssel. EU-Diplomaten wiesen daraufhin, dass es nicht die Aufgabe Michel Barniers sei, die Meinung der 17,4 Millionen Brexit-Befürworter in Großbritannien zu verstehen oder zu berücksichtigen. "Er ist dazu da, die Interessen der übrigen 450 Millionen EU-Bürger beim Austritt zu vertreten", hieß es dazu. Barnier hatte bereits mit britischen Politikern gesprochen, die sich wie der ehemalige Premierminister Tony Blair für einen Verbleib Großbritanniens in der EU einsetzen. Im Laufe dieser Woche wird der Brexit-Unterhändler noch weitere Brexit-Befürworter und Nationalisten aus dem Europäischen Parlament treffen.
Kameras und Pressevertreter waren während des Gesprächs von Barnier und Farage in den Büros der EU-Kommission nicht zugelassen. Draußen vor der Tür war die Aufmerksamkeit für Nigel Farage umso größer. Zwölf Kamerateams und 30 Korrespondenten warteten auf den Brexit-Vorkämpfer. Ein Aufgebot fast so groß wie beim Besuch eines Regierungschefs eines kleineren EU-Landes. Nach dem Treffen lud Farage die Pressevertreter stilecht in einen Pub, eine Kneipe direkt gegenüber der EU-Kommission zu weiteren Gesprächen ein. Allerdings ist das "Old Hack" ein irisches, kein britisches Pub. Der Wirt allerdings, ein Ire, tritt für den Brexit ein.