Fazil Say gewinnt den Beethovenpreis
18. Dezember 2016In seinem zweiten Jahr geht der Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion an einen Pianisten, der Zuhörer von Salzburg bis New York begeistert - mit seinen Interpretationen von Mozart oder Beethoven. Als Komponist bindet er komplexe türkische Rhythmen oder gesangliche Motive aus dem Nahost in einen jazzigen Swing-Sound. Oder er verblüfft mit seltsamen nostalgischen und mystischen Effekten.
Der 46-jährige Fazil Say denkt kulturübergreifend - und hat sich so Schwierigkeiten in seiner Heimat eingehandelt. Dort kann es mitunter gefährlich sein, für westliche Werte einzustehen. Say sieht den wachsenden Nationalismus in der Türkei als Gefahr und schreibt: "Ich bin ein Brückenbauer zwischen den Kulturen. Wenn man andere Kulturen als Feinde sieht, wie es unsere Regierung oft tut, fängt da der Kulturenkrieg, der Gedankenkrieg an. Das ist das Schlimmste."
Geschichtenerzähler am Klavier
Einen solchen Künstler kann man nicht einsperren - auch nicht in der Türkei. Seine Verurteilung wegen Blasphemie wurde aufgehoben, und Say bleibt ein wortgewandter Befürworter von Glaubens- und Meinungsfreiheit.
Ein Gefühl von Freiheit durchzieht sogar seine Musik - ob er Werke aus dem Repertoire spielt oder neue Musik schöpft. Dem Publikum in der Bonner Kreuzkirche, das am Samstag (17.12.2016) gekommen war, um ihn und andere Künstler zu hören, konnte er sein Erfindungsreichtum erklären: "Mein erster Klavierlehrer hatte einen interessanten Ansatz. Zum Beginn jeder Unterrichtsstunde fragte er: 'Was hast du heute erlebt?' Dann wies er mich an, das in Musik auszudrücken. So lernte ich, Geschichten in Form von Musik wiederzugeben. Und wenn ich heute Mozart oder Beethoven spiele, denke ich darüber nach, welche Geschichten sie wiederum erzählen wollten."
Kultur in der Krise
Inklusion gehört zu den Qualitäten, die durch den Beethovenpreis gewürdigt werden. Der Preis wird von der Beethoven Academy verliehen, und der Erlös des Bonner Konzerts kommt Musikprojekten in Krisengebieten zugute. Ein solches Projekt wurde von Aeham Ahmad vorgeschlagen, dem Gewinner des ersten Beethovenpreises im Dezember 2015: Er wollte Konzerte in Flüchtlingslagern im Mittleren Osten veranstalten.
Der syrische Pianist, Sänger und Komponist wurde einst zum YouTube-Star, nachdem er sein Klavier auf die Straße im zerstörten Flüchtlingslager Jarmuk nahe Damaskus geschleppte hatte, um für die kriegsmüden Bürger dort zu spielen. Nach der gefährlichen Flucht nach Deutschland wird sein Status als Asylbewerber inzwischen anerkannt. Er ist wieder mit Frau und Kindern vereint und spielt fast täglich Konzerte.
Obwohl Ahmad inzwischen neue Musik geschrieben hat, sagt er: "Ich singe weiterhin für Jarmuk. Bei den schrecklichen Nachrichten aus Aleppo schäme ich mich, wenn ich an meine Freunde in Jarmuk zurückdenke, weil ich damals alleine geflüchtet bin. Ich möchte immer noch an meine Freunde denken und den Menschen vom Krieg in Syrien erzählen."
Fazil Say wies ebenfalls auf die Kriegskatastrophe hin und auf die drei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei. "Ich finde es gut, dass die Beethoven Academy dieses Drama wahrnimmt. Das ist nicht nur für die Menschen aus Syrien gut, sondern auch für Deutschland."
Katzensicherer Pokal
Mit der spiralförmigen Trophäe in der Hand scherzte der türkische Künstler, er habe zwar schon viele Preise gewonnen, seine Katzen hätten aber die meisten vom Regal gestoßen. Der Beethovenpreis bekäme jedoch einen Ehrenplatz und werde überleben.
Dann spielte er "Schwarze Erde" auf den Tasten des Konzertflügels - manchmal werden in Says bewegenden Stück die Klavierseiten von Hand gezupft. Weitere Künstler huldigten Say im dreistündigen Konzert, darunter Aeham Ahmad, die junge griechische Pianistin Theodosia Ntokou, das türkische Klavierduo Ferhan und Ferzan Önder und der syrische Sänger Ibrahim Keivo.
Die Beethoven Academy wurde im März 2016 von Torsten Schreiber gegründet, dem Künstlerischen Leiter der Johannes-Wasmuth Gesellschaft in Rolandseck, zusammen mit Andreas Loesch, dem Präsidenten des Festivals Jünger Künstler in Bayreuth. Zu ihren ersten Projekten gehörten musikalische Meisterkurse im besetzen Westjordanland im Oktober 2016.