"Ich mache Musik wie ein Türke"
18. Dezember 2016Der weltweit gefeierte und vielfach ausgezeichnete Musiker Fazil Say erhielt jetzt eine weitere Anerkennung: den diesjährigen Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion. Bei der Preisverleihung am Samstagabend (17.12.2016) in der Kreuzkirche in Bonn erinnerte Say an die Opfer des weltweiten Terrorismus und an den Bürgerkrieg in Syrien. Zuvor sprach er mit der DW.
DW: Dieser Preis steht nicht nur für künstlerische Leistungen sondern hat auch eine gesellschaftliche Dimension. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Fazil Say: Der Preis ehrt mich sehr. Ich mache westliche Musik in der Türkei oder stelle Stücke im Westen vor, die ich komponiert habe und die von türkischer Musik beeinflusst wurden. So gelte ich als einer der Musiker, der Brücken baut - und denke, dass ich deshalb diesen Preis für interkulturellen Dialog erhalten habe.
Wenn Sie türkische Themen oder Rhythmen in Ihren eigenen Kompositionen verwenden, wie kommt das beim Publikum an?
In meinen Werken werde ich häufig durch Städte beeinflusst, etwa in der "Istanbul Sinfonie" oder in der "Sonate der Vier Städte", die auf die Städte Sivas, Bodrum, Hopa und Ankara Bezug nimmt. Oder etwa in der "Mesopotamien Sinfonie". Aber auch Dichter sind für mich Quelle der Inspiration: Ich habe ein Oratorium über den Dichter Nazim Hikmet geschrieben, und im Werk "Erste Lieder" geht es über Dichter wie Metin Altıok, Cemal Süreyya und andere. Solche Werke sind überall erfolgreich. Es wäre falsch, wenn ich versuchen würde, wie ein Mitteleuropäer, ein Holländer oder ein Österreicher Musik zu machen. Ich bin Türke und mache Musik wie ein Türke.
Wird die musikalische Kultur der Türkei, die jetzt schon sehr vielseitig ist, zusätzlich bereichert durch die vielen Migranten und Flüchtlinge, die dort jetzt ankommen - vielleicht irgendwann in der Zukunft?
Was wird aus den Flüchtlingen in Deutschland und den über drei Millionen Flüchtlingen in der Türkei? Es ist nahezu unmöglich, hier eine Prognose zu erstellen. Unter diesen Millionen von Menschen gibt es sicherlich einige, die musikalisch begabt sind und hart für die Musik arbeiten. Es ist vielmehr unmöglich, dass es sie nicht gibt. Der Mensch ist ein Wesen, das nur mit der Musik vollkommen ist.
Ist es möglich, Kunst und Politik voneinander zu trennen?
Diese Frage ist heute sehr schwer zu beantworten.
Kann Musik zur Verständigung zwischen den Kulturen beitragen?
Natürlich. Das ist die Grundlage meines Lebens. In der Türkei habe ich in vielen Städten Mozart, Beethoven und Chopin gespielt. In manchen Städten war ich der erste, der dort jemals klassische Musik gespielt hat. Auch in manchen Dörfern. Und im Ausland war ich einer der wenigen Türken, der als klassischer Musiker bekannt ist. Deshalb ist das alles gleichzeitig eine Verantwortung in meinem Leben. Es gilt, Jugendlichen den Weg zu weisen, ihnen einen Tunnel zu graben.
Beim Konzert in der Bonner Kreuzkirche wird unter anderem Ihr Stück "Istanbul'da Bir Kış Sabahı" (Wintermorgen in Istanbul) gespielt. Der Titel klingt sehr bildhaft. Soll die Komposition ein bestimmtes Bild erzeugen?
Das Istanbul der vergangenen Jahrhunderte, das bis vor einigen Jahrzehnten romantisch und nostalgisch war, gibt es nicht mehr. Mit seiner Einwohnerzahl von über 16 Millionen und vielen Wohnsiedlungen und Apartments ist es zu einer hässlichen Stadt aus Beton geworden. Wir Künstler sind neidisch, wenn wir alte Bilder, Bootshäuer, Küstenvillen und kleine Paläste sehen. Daher wollen wir in die Vergangenheit fliehen, weg von dem stressigen, betonbebauten, schlechten Istanbul. Eigentlich ist der einzige Ort, an den wir fliehen können, unsere Fantasie. "Wintermorgen in Istanbul" ist ein vollständig in der musikalischen "Hicaz"-Tonart geschriebenes Werk. Es ist schwer, diesen Modus auf dem Klavier zu spielen, aber es ist der Versuch, ihn mit dem Klavier zu bewältigen.
Woran arbeiten Sie derzeit?
Ich komponiere gerade eine Oper, sie wird 2019 fertig sein. Daneben arbeite ich gerade auch an sinfonischen Werken.
Das Interview führte Hülya Schenk.