Federleicht und bretthart
11. Oktober 2004Manchmal beginnen Erfolgsgeschichten mit einer Niederlage. Gerd Wagener, Mitgründer der Firma Saertex, ist eigentlich Unternehmer wider Willen. Anfang der 1970er-Jahre war er noch Entwicklungsingenieur bei den Vereinigten Seidenwebereien in Krefeld. Und das zu einer Zeit, als Entwicklung hin zu synthetischen Stoffen für die meisten Textilunternehmer undenkbar war.
Vernäht, nicht gekreuzt
Doch genau diese Kunstfasern wie Polyamid oder Polyester sollten schließlich für Wagener der Schlüssel zum Erfolg werden. Nicht alleine das Material war dabei ausschlaggebend, sondern vielmehr die Art, wie es verarbeitet wurde. "Damals kam mir ein Muster in die Hände mit einer Technologie, in der Längs- und Querfäden nicht miteinander verwirkt oder verkreuzt, sondern vernäht wurden. Mit dem Ergebnis, dass eben die Fäden, die in Längs- und Querrichtung liegen, absolut ohne jede Krümmung im fertigen Produkt vorhanden sind", erinnert sich Wagener.
Durch die Verarbeitungstechnik entsteht ein flacher und zudem deutlich strapazierfähigerer Stoff als herkömmliche Textilien. Da es sich aber immer noch um Stoff handelt, kann er in praktisch jede gewünschte Form gebracht werden. Ideale Voraussetzungen, um als Hightech-Material Karriere zu machen.
Wie ein Eierlöffel
Gerd Wagener war einer der wenigen, welche die Potenziale des Materials erkannten, und machte sich prompt selbständig. Nicht ganz ohne Bauchschmerzen. Die haben sich gelohnt. Heute, sagt Wagener, liegt sein Umsatz über 50 Millionen Euro pro Jahr.
Die Produkte von Saertex haben mit der klassischen Textilindustrie kaum mehr etwas gemein. In der Fabrik im ländlichen Saerbeck entstehen Stoffe, die in aller Welt geschätzt werden. Hersteller von Windrädern greifen auf Saertex-Materialien zurück, ebenso Bootsbauer oder die Hersteller von Sportgeräten. Bevorzugt eingesetzt wird der Stoff zur Armierung, also zur Verstärkung. "Es gibt heute, glaube ich, keinen Ski mehr, der nur noch aus Holz besteht. Das sind Kunststoff-Ski. Ohne Armierung würde der zerbrechen wie ein Eierlöffel, wenn man ihn zu stark beansprucht. Auch bei Segelyachten hat man überwiegend armierte Kunststoffe. Rotorblätter in der Windenergie sind alle mit Glasfaser-Gelegen armiert, wie wir sie produzieren", sagt Wagener.
Der Markt ruft
Die Märkte, auf denen Saertex vertreten ist, werden in Zukunft weiter stark wachsen, ist sich Wagener sicher. Sein Unternehmen ist dafür gut gerüstet. Man hat inzwischen Produktionsstätten in den USA, in Frankreich und in Südafrika. Besonders stolz ist Wagener, dass man auch im Flugzeugbau hat Fuß fassen können mit einem Flügel aus Carbon-Faser. Selbst die US-Weltraumbehörde NASA hatte Interesse bekundet und massiv in ein Projekt investiert.
Trotz der produzierten Hightech-Produkte geht es in den Produktionshallen erstaunlich unspektakulär zu. Eine große Maschine neben der anderen, nur der geübte Beobachter sieht den Unterschied beispielsweise zur Produktion normaler Kleidungsstoffe. "Wir kaufen gängige Maschinen, aber es steht keine Maschine hier, wie sie vom Maschinenhersteller angeliefert wurde. Es sind jede Menge Umbauten, Anbauten, zusätzliche Aggregate nötig, um die Produkte zu realisieren, die von unseren Kunden gewünscht werden", sagt Wagener.
Eine ganze Firma entstanden
Gut gefüllte Auftragsbücher, Expansionspläne, ein wachsender Markt - die Zukunftsaussichten für Saertex sehen blendend aus. Und obwohl man eigentlich Arbeit genug hat, steht die Erfindung und das Austüfteln neuer Produkte hoch im Kurs. In einem Fall entstand eine komplette neue Produktlinie sogar mehr oder weniger durch Zufall. Gerd Wagener erinnert sich: "Vor einigen Jahren besuchte uns jemand von der Baufirma Hochtief: 'Sie machen doch in Glas, nicht? Wir machen Kanalsanierungen und kommen mit der Festigkeit nicht aus.' Dann haben wir ihm eben was aus Glas gemacht. Und daraus ist eine ganze Firma entstanden."