Katar lässt die Muskeln spielen
8. Mai 2015Plötzlich stehen sie da, hinter mir: Zwei Männer in weißen Gewändern. Wir sollen die Kamera ausmachen, sagen sie, und zwar jetzt. Und dann nuschelt der eine noch etwas. Erst beim zweiten Mal verstehe ich, was er sagt: "Police." Erst auf meine mehrfache Nachfrage hin zeigen sie mir ihre Ausweise. State Security steht darauf. Sie sind also vom Geheimdienst Katars. Von jetzt an dürfen wir uns nicht mehr frei bewegen. Es kommen immer mehr offensichtliche Sicherheitspersonen an den Rand des staubigen Fußballfeldes der Industrial Area von Doha. Es dauert einige Stunden bis mein Kamerateam und ich zum Polizeirevier gebracht werden.
Warum wir festgenommen werden, sagt mir niemand so genau. Aber ein Grund ist wohl: Ich bin erstmals ohne offizielle Drehgenehmigung nach Katar eingereist. Ich war schon mehrfach im Land, hatte mehrfach über die politischen und sportpolitischen Ambitionen des pro Kopf reichsten Landes der Welt berichtet. Auch über die Vorbereitungen zur FIFA-WM 2022 und die Generalstrategie, die das Emirat weltweit bekannt machen soll, über das viele Geld, das es aus diesem Grund in den Sport steckt - und über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der über eineinhalb Millionen Gastarbeiter im Land. Immer hatte ich eine Einladung, die Voraussetzung für eine Drehgenehmigung ist. Nie hatte ich Probleme, nie wurde ich unfreundlich behandelt, ganz im Gegenteil. Bis zu diesem Moment an jenem Freitagnachmittag Ende März.
14 Stunden in Gewahrsam
Als mein Kameramann, mein Kameraassistent, mein Fahrer und ich festgenommen werden, drehe ich mit meinem Kamerateam für die ARD-Story "Der verkaufte Fußball" gerade Bilder von Gastarbeitern, die an ihrem einzigen freien Tag in der Woche Fußball spielen. Wir müssen die Dreharbeiten sofort abbrechen. Es folgt ein 14-stündiges Verfahren. Wir werden vom Staatsschutz und der Polizei verhört, bis wir dem Staatsanwalt vorgeführt werden.
Ich erzähle von meiner Berichterstattung der letzten Jahre, davon dass ich immer versucht habe, zu verstehen, wie dieses Land tickt. Ich habe viele Katarer interviewt, war sogar eingeladen zu ihnen nach Hause, habe mit ihnen zu Abend gegessen. All das ist ungewöhnlich, denn Katarer sind oft eher zurückhaltend gegenüber Ausländern. Sechs Wochen lang hatte ich recherchiert, die Reise vorbereitet, um zu überprüfen, ob sich die Situation der hunderttausenden Gastarbeiter in Katar wirklich verändert hat - so wie es die Regierung vor genau einem Jahr versprochen hatte.
Darf Katar entscheiden, worüber berichtet wird?
Ich habe also Interviews mit dem Arbeits- und dem Innenministerium angefragt, gar mit dem Emir von Katar höchstpersönlich. Ich habe Drehgenehmigungen bei mindestens fünf offiziellen Stellen angefordert, die katarische Botschaft in Berlin informiert, der für Journalisten zuständigen Qatar News Agency in Doha eine Auflistung unserer Ausrüstung und ein Drehvorhaben geschickt. Meine Schreiben blieben ohne Antwort, fünf Wochen lang. Als klar ist, dass wir diesmal nicht eingeladen werden, bleibt nur die Frage: Trotzdem hinreisen oder besser nicht?
Dahinter steckt aber noch eine andere Frage: Darf Katar darüber entscheiden, ob wir unsere Arbeit tun und für die Öffentlichkeit dokumentieren, was sich in Katar getan hat? Die Entscheidung ist klar: Ich reise. Es geht schließlich um die Einhaltung von Menschenrechten und um das größte Sportereignis der Welt. Diese Recherchereise endet leider in einem schmucklosen Polizeirevier.
Die Festnahme sei ein "Missverständnis", heißt es später
Selbst hochrangige Beamte von katarischen Behörden werden sich später bei uns entschuldigen, uns anbieten, für unsere Kosten aufzukommen. Sie werden sagen, dass man uns "nicht viel vorwerfen kann". Wir hätten uns ja um alles gekümmert, nichts verheimlicht. Die Drehgenehmigung hätte erteilt werden müssen. Es sei ein "Missverständnis" gewesen, wird ein Beamter sagen. Hinter den Kulissen hört man jetzt, dass Katar das Ganze am liebsten vergessen würde. Warum genau wir dann aber festgenommen wurden, erfährt man nicht.
Denn das internationale Echo ist schlecht für das Land. Als am vergangenen Montag unsere Festnahme öffentlich wird, beginnt eine weltweite Welle der Aufmerksamkeit. Ob die Washington Post oder die englische Tageszeitung The Telegraph, von Indien bis Kanada wird berichtet, selbst von der englischsprachigen Doha News in Katar. Reporter ohne Grenzen nennt das Vorgehen Katars "willkürlich" und gibt sich "schockiert".
Alle Datenträger sind gelöscht
Fragt man Barbara Lochbihler vom Menschenrechtsausschuss des Europäischen Parlaments, sagt diese: "Ich erwarte, dass die deutsche Botschaft in Katar vorstellig wird und Aufklärung und die Widergutmachung der zerstörten Materialien verlangt. Wir haben hierzu auch die Möglichkeit im Europäischen Parlament, da müssen wir diesen Fall ansprechen."
Nach 14 Stunden in Gewahrsam dürfen wir in jener Nacht in Doha zurück ins Hotel - das Land aber nicht verlassen. Erst nach fünf Tagen, als klar ist, dass sich diese Angelegenheit noch Wochen oder gar Monate hinziehen kann, wird der katarische Außenminister informiert. Er veranlasst unsere Freilassung. Unser beschlagnahmtes technisches Material soll vier Tage später freigegeben werden. Tatsächlich wird es ganze dreieinhalb Wochen einbehalten. Alle Datenträger sind gelöscht, Handys, mein Laptop, Festplatten. Auch alle privaten Daten wie Fotos und Kontakte von Freunden sind verloren. In diplomatischen Kreisen ist man erzürnt.
Nur wer Pressefreiheit zulässt, darf ein Mega-Sportereignis ausrichten
Bis heute versuche ich meine verlorenen privaten Daten zurückzubekommen. Selbst Verantwortliche in Katar versuchen zu unterstützen. Minky Worden, Direktorin für globale Initiativen bei der weltweit anerkannten Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, verweist auf die Olympische Charta, unter die Katar durch die Austragung der FIFA-WM 2022 falle. "Die Regeln sind dort glasklar. Du musst Pressefreiheit erlauben, sonst darfst du kein Mega-Sportereignis ausrichten. Das heißt, du darfst keine Journalisten festnehmen oder ihr Material konfiszieren."
Und Minky Worden verweist auf die Verantwortung der internationalen Sportorganisationen wie das Internationale Olympische Komitee und den Weltfußballverband FIFA: "Sie haben eine Verantwortung, die Regeln auch durchzusetzen. Und wenn ihre Partner die Regeln brechen, dann müssen IOC oder FIFA hingehen und sagen: Wir nehmen euch die Spiele weg."
Ich werde wiederkommen
So weit wird es wohl nicht kommen. Die WM wird nach allem Ermessen nach Katar kommen. Und ich auch. In ein Land, das mich trotz meiner letzten Erfahrungen immer fasziniert hat. In dem einige Großes vorhaben. Und in dem, wenn Katar die Verbesserungen für die Arbeiter oder auch für Hausangestellte wirklich umsetzt, 2022 eine beeindruckende WM stattfinden kann. Ich werde wiederkommen - und hoffen, dass mich Katar nicht wieder festnimmt.
Lesen Sie im ersten Teil der Reportage, wie Reporter Florian Bauer erneut schockierende Lebensumstände der Gastarbeiter von Katar dokumentiert.