"Grenzkorrekturen sind ein Spiel mit dem Feuer"
1. März 2019DW: Die Konrad-Adenauer-Stiftung berät regelmäßig die albanische Demokratische Partei (PD). Nun haben sich die Abgeordneten dieser Partei dafür entschieden, ihre Mandate abzugeben. Sind Sie mit diesem Schritt einverstanden?
Florian Feyerabend: Albanien hat in den vergangenen Jahren bereits viele Reformen angestoßen. Aber die vielen Missstände und Versäumnisse, auf welche die Opposition in den vergangenen Monaten hingewiesen hat - sei es das Problem der organisierten Kriminalität, zahlreiche Korruptionsskandale, politischer Stimmenkauf, Einschränkung der Medienfreiheit, Versäumnisse bei der Bildungspolitik und die Missachtung der Rechte der parlamentarischen Opposition - dürfen nicht ignoriert werden. Die Unzufriedenheit und Enttäuschung in der Bevölkerung und insbesondere unter den jungen Menschen ist sehr groß. Dies haben auch zuletzt die Studentenproteste verdeutlicht. Die Opposition versteht sich auch als Sprachrohr dieser allgemeinen Unzufriedenheit, was sich auch an dem großen Zulauf für die Demonstrationen am 16. und 21. Februar zeigte.
Der politische Wettbewerb sollte allerdings in erster Linie ein Wettbewerb der besten Ideen zur Lösung der Herausforderungen und Probleme sein. In einer parlamentarischen Demokratie sollte der Ort für diese Auseinandersetzung primär das Parlament sein. Daran darf es keinen Zweifel geben. Gerade angesichts der großen Herausforderungen vor denen Albanien steht und eingedenk der möglichen Eröffnung von EU Beitrittsverhandlungen - voraussichtlich im September - ist es unerlässlich, dass es ein handlungsfähiges Parlament und eine parlamentarische Kontrolle der Regierung gibt.
Nicht nur die Regierung, auch die Opposition muss Verantwortung für die Zukunft Albaniens übernehmen. Für die Demokratische Partei und die anderen Oppositionsparteien stellte sich jedoch die Frage, inwieweit sie Ihrer Verantwortung innerhalb des Parlaments überhaupt noch nachkommen konnten, ohne als demokratisches Feigenblatt für eine Regierung zu dienen, der sie Wahlmanipulation und Verbindungen zur Organisierten Kriminalität vorwerfen.
Glauben Sie, dass angesichts der derzeitigen Lage die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag grünes Licht für die Eröffnung der Verhandlungen im Juni 2019 geben wird?
Weder können wir der Entscheidung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgreifen, noch können wir für die Fraktion sprechen. Klar ist aber, dass die Fraktion auf Grundlage der erzielten Reformfortschritte entscheiden wird. Erst kürzlich hat die Fraktion - die über eine eigene Westbalkan-Arbeitsgruppe verfügt - vor diesem Hintergrund eine "fact finding mission" in Albanien durchgeführt. Auch hier war das Ergebnis nicht Schwarz oder Weiß, sondern Dunkelgrau: Außer bei der Überprüfung der obersten Richter und Staatsanwälte hat es bisher keine wesentlichen Fortschritte gegeben im Vergleich zu Juni 2018.
Im Interesse der albanischen Bevölkerung bleibt also noch viel zu tun! Nicht nur, damit es am Ende eine Eröffnung der so wichtigen EU-Beitrittsverhandlungen gibt - die im Übrigen nur einen ersten Meilenstein im anspruchsvollen Beitrittsprozess darstellen - sondern zum großen Teil auch weil die Reformen in erster Linie der albanischen Bevölkerung zugute kommen.
Es geht nicht um Reformen der Reformen willen! Auch wenn der Deutsche Bundestag - im Juni oder gar erst im September - grünes Licht gibt, so gibt es noch 26 weitere EU-Mitgliedsstaaten, die überzeugt sein wollen. Die jetzige Regierung muss also unter Beweis stellen, dass sie es ernst meint mit den Reformbemühungen. Es gilt also im Interesse der albanischen Bevölkerung, keine Zeit zu verlieren.
Insbesondere der albanische Premierminister Rama spricht in der letzten Zeit immer mehr über die Schaffung einer Albanischen Union. Was verstehen Sie darunter und mit welchen Gefühlen sehen Sie diese Entwicklung?
Das Träumen von ethnischen Großreichen - Großalbanien oder Großserbien oder Großkroatien - sollte im 21. Jahrhundert der Vergangenheit angehören. Zu welchem Unheil und Übel solche Träumereien führen können, haben gerade auf dem Westbalkan über hunderttausend Menschen in den 1990er Jahren mit dem Leben bezahlen müssen. Wenn nun aber nicht nur von solchen Chimären geträumt, sondern auch ernsthaft darüber gesprochen wird, dann erfüllt uns dies mit großer Besorgnis. Das Gemeinschaftsprojekt der Europäischen Einigung ist das Gegenmodell zu ethno-nationalistischer Politik!
Wie ich die derzeitige albanische Diskussion verstehe, so geht es hier aber nicht um die Erfüllung eines nationalistischen Traums, um andere Völker in der Region zu verdrängen, sondern um etwas zusammenzuführen, was - laut den Albanern - zusammengehöre, so ähnlich wie die Vereinigung von BRD und DDR von 1990. In diesem Fall wäre die Föderation zwischen Kosovo und Albanien, die auf jeden Fall eine EU-Mitgliedschaft anstreben würde, mit rund fünf oder sechs Millionen Einwohnern noch nicht mal das bevölkerungsreichste Land in der Region. Was würde dagegen sprechen?
Der Vergleich mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 hinkt in vielerlei Hinsicht. Ich möchte hier auch aufgrund des spezifischen historischen, regionalen und politischen Kontext keine weiteren Analogien bemühen. Klar ist: Gedankenspiele über neue Grenzziehungen auf dem Balkan sind ein Spiel mit dem Feuer, insbesondere wenn diese auf Grundlage der ethnischen Zugehörigkeit erfolgen sollen.
Die Implikationen für die regionale Machtbalance, die Auswirkungen auf die Staatlichkeit von und das gesellschaftliche Zusammenleben in Drittstaaten - was wäre beispielsweise mit der albanischen Volksgruppe in Mazedonien? - sind unkalkulierbar und zwangsläufig würden (historische) Ängste einerseits und ethno-nationalistische Bestrebungen in den Nachbarländern andererseits verstärkt werden - mit ungewissem Ausgang. Man würde die Büchse der Pandora öffnen und eine Politik im Geiste der 1990er Jahre betreiben. Die Folgen dieser Politik sind ja tragischerweise bekannt.
Ich kenne auch keine Umfrage, aus der hervorgehen würde, dass der Schaffung von ethnischen Großreichen von den Bevölkerungen besondere Wichtigkeit zugemessen wird. Was die Menschen wirklich von der Politik erwarten, ist nicht das zynische Spiele mit nationalistischen Trugbildern, sondern die Lösung der konkreten Probleme vor Ort - Bekämpfung der Korruption und Kriminalität, Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Perspektiven; eine europäische Perspektive. Ist man nicht fähig oder willens, diese Herausforderungen ernsthaft anzugehen, dann werden die Menschen mit den Füßen abstimmen. Die Chimären der ethnischen Großreiche wären dann Länder ohne Bevölkerung.
Wie beurteilen Sie die derzeitige Rolle Albaniens in der Lösung der Kosovo-Frage? Was würden sie von Albanien erwarten, jetzt wo der Dialog in der letzten Phase ist?
Es kursieren viele Gerüchte, manche davon sind vielleicht wahr, die dem albanischen Premierminister Edi Rama eine wichtige Rolle bei der aktuell viel diskutierten Diskussion über Grenzkorrekturen oder einem Gebietstausch zwischen Kosovo und Serbien zuschreiben. Der EU-geführte Dialog zwischen den souveränen Staaten Kosovo und Serbien hat die Normalisierung der Beziehungen zum Ziel. Zu viele Köche aber verderben den Brei. Manchmal muss ein Teig auch ziehen. Zurückhaltung wäre also wünschenswert und unnötige Eile in der finalen Phase ist gegebenenfalls kontraproduktiv.
Kosovo möchte die Zollgebühren gegen serbische Produkte erst dann zurücknehmen, wenn es eine Garantie für die Anerkennung seitens Serbiens bekommt. Serbien hingegen möchte in die Verhandlung erst dann eintreten, wenn die Zollgebühren abgeschafft sind. Welchen Ansatz könnte man hier benutzen, um aus dieser Patt-Situation herauszukommen?
Auch wenn der Frust und die Verärgerung der kosovarischen Regierung über Praktiken der serbischen Außenpolitik - Verhinderung der Interpol-Mitgliedschaft, Forcierung der Rücknahme der Anerkennung des Kosovos durch Drittstaaten - nachvollziehbar ist, so ist die Einführung der Zölle doch eine Entscheidung gewesen, die den Prinzipien des Berlin-Prozesses, den Vereinbarungen des Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen und dem Geist des Normalisierungsprozesses zuwider laufen. Vieles, was in den letzten Jahren auf wirtschaftlicher Ebene an Austausch und Kooperation zwischen Serbien und Kosovo erreicht worden ist, ist nun beschädigt. Und betroffen von dem Handelsembargo - das im Übrigen auch den Warenverkehr mit Bosnien und Herzegowina betrifft - ist am Ende in erster Linie die kosovarische Bevölkerung und die Privatwirtschaft.
Mehrere albanische Politiker haben in letzter Zeit eine direktere Rolle Deutschlands in der Lösung des Konflikts zwischen Serbien und dem Kosovo gefordert. Unterstützen Sie auch diese Forderung?
Deutsche Außenpolitik ist stets eingebettet in einen europäischen Rahmen. Der Dialog über die Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien wird durch die EU geführt. Man kann sich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass dem Dialog mehr Orientierung nicht schaden würde, damit man nicht in einer Sackgasse oder am Abhang endet. Bereits 2011 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Führungsrolle in dem Statuskonflikt eingenommen. Sie verfügt weiterhin über ein sehr hohes Ansehen und Bewunderung auf dem Westbalkan. Deutsche Positionierungen wie die Absage an Grenzveränderungen werden also gehört und haben Gewicht.
Auch die politischen Stiftungen können in diesem Prozess eine Rolle spielen und tun dies auch bereits, indem wir den inoffiziellen politischen Austausch fördern und auch in Serbien den von Präsident Aleksandar Vucic angestoßenen, so wichtigen "inneren Dialog" begleiten. Denn am Ende muss eine Lösung stehen, die auch in beiden Bevölkerungen Akzeptanz findet. Und die Bevölkerungen in Serbien und dem Kosovo müssen darauf vorbereitet werden. Dazu gehört auch, manch schmerzhafte Tatsache als solche anzuerkennen.
Florian Feyerabend ist Länderreferent für die Region Südosteuropa/Westlicher Balkan bei der Zentrale der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.
Das Gespräch führte Anila Shuka