"90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden"
4. Juni 2016Die Idee ist so absurd wie verrückt: Ein Fußballspiel entscheidet über einen hartnäckigen, bisher unlösbaren politischen Konflikt. Die israelische Nationalmannschaft tritt gegen eine Auswahl aus den Palästinensergebieten an. Nur der Sieger darf in der Region bleiben. Wer verliert, der muss sich einen anderen Platz auf der Welt suchen. Einer der weltweit langlebigsten Konflikte - gelöst durch einen sportlichen Wettstreit?
"Die Leute haben diesen Konflikt satt. Und sie haben definitiv auch Filme darüber satt", sagt der israelische Regisseur Eyal Halfon, der "90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden" inszeniert hat. Er persönlich könne sich auch keinen Film mehr anschauen, in dem es um die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Arabern geht, meint Halfon. Deswegen sei "90 Minuten" auch "der absolut letzte" Film zum Thema, so der 1958 in Israel geborene Filmemacher augenzwinkernd.
"90 Minuten": Das Lachen bleibt dem Zuschauer im Halse stecken
Für ihn habe dieser "letzte Film über den Nahostkonflikt" deshalb nur so aussehen können: "Er sollte anders sein. Und lustig." Und das ist "90 Minuten" auch geworden. Anders - und lustig. Allerdings ist es ein Witz, der einem im Halse stecken bleibt, bei dem der Zuschauer lachen muss und sich gleichzeitig immer wieder bei der Feststellung ertappt, dass man ja leider nur im Kino sitzt und die Realität sich eben doch nicht ausblenden lässt - und sei es durch einen noch so witzigen und findungsreichen Kinofilm.
Auf was sich das Publikum denn freuen könne, wenn es den Film sehe, wurde Regisseur Halfon gefragt. "Auf ein bisschen Spaß und etwas Verständnis für die Komplexität unseres furchtbaren Konflikts", lautete seine Antwort. Das ist durchaus gelungen. Spaß hat man im Kino. Und ein wenig ist der Zuschauer vielleicht auch schlauer, wenn er aus dem Kino kommt. Natürlich dürften die meisten Menschen Bescheid wissen über die vertrackte Lage in Nahost. Doch ist es immer etwas anderes, wenn ein solch komplexer Konflikt in Spielhandlung aufgelöst wird - und zudem noch so unterhaltsam und witzig serviert wird.
Streit um Schiedsrichter, Aufstellung und Training
Die Filmhandlung setzt in Portugal ein. Dort macht man sich im Fußballstadion der Stadt Leiria Gedanken, wie das Spiel organisiert werden kann. Denn in Portugal soll der Wettkampf um die politische Zukunft der beiden Nationen ausgetragen werden - auf neutralem Gebiet. Darauf zumindest haben sich die zerstrittenen Parteien einigen können. Auf alles andere bisher nicht. Und darum geht es fortan in dem Film. Um den Streit, wie die Dinge geregelt werden, wer Schiedsrichter sein wird, welche Fußballer in den Teams der beiden Nationen stehen dürfen und andere Regeln mehr.
Wo zum Beispiel, und das wird zu einem Hauptkonflikt der Filmhandlung, der Spieler Iyad Zuamut eingesetzt wird. Zuamut ist nämlich Israeli, hat aber palästinensische Wurzeln. Auch darüber geraten die beiden Protagonisten des Films, die Teammanager Israels und der palästinensischen Gebiete, ständig in Streit. Da wird gerungen um Trainingsplätze und Ausstattung der Teams, um Aufstellungen und Schiedsrichter. Und genau dieses Ringen im Film wird zum Spiegelbild der bitteren Realität.
Sobald ein kleiner Fortschritt erreicht ist, türmen sich die nächsten Probleme auf. Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück. Das zeigt "90 Minuten" detailliert - und kommt der Realität in Nahost damit wohl ziemlich nah. Filmproduzent Steve Hudson: "Ich fand die Geschichte einfach genial, weil sie so bestechend einfach ist. Es ist wie diese Idee von zwei Anführern einer Armee, die nach vorne kommen, gegeneinander kämpfen und einer gewinnt. Danach gehen alle nach Hause und keiner muss sterben."
Der deutsche Trainer zeigt sich überfordert…
Hudson hatte 2008 mit seiner Frau Sonja Ewers eine Produktionsfirma in Deutschland gegründet. So ist "90 Minuten" eine israelisch-deutsche Co-Produktion. Nicht zuletzt deshalb wurde noch ein Nebenstrang in die an sich schon komplexe Ausgangsgeschichte gewoben. Die israelische Nationalmannschaft wird von einem Deutschen (gespielt von Detlev Buck) trainiert. Das verkompliziert die Dinge zusätzlich. Vor dem Hintergrund der NS-Historie ist ein deutscher Trainer in Israel nur schwer vermittelbar. Zumal sich der auch noch als völlig überfordert von der historisch-politisch sensiblen Situation zeigt. Der Film gewinnt dadurch zusätzlich an Reiz.
Szenen, die den deutschen Trainer an der Klagemauer in Jerusalem zeigen, wurden an Originalschauplätzen aufgenommen - ohne Absperrungen. "90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden" wirkt so über weite Strecken wie eine Dokumentation. Vor allem auch, weil die Dreharbeiten in Israel immer wieder mit der Realität aneinandergerieten: Das Film-Team wurde während der Aufnahmen vor Ort in kleinere Scharmützel mit israelischen Soldaten oder protestierenden Palästinensern hineingezogen. Diesen Effekt haben Hudson und Regisseur Halfon bewusst in Kauf genommen. So ist "90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden" ein absurdes Stück (Film-)Realität geworden.
Die deutsch-israelische Co-Produktion "90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden" entstand an Schauplätzen in Israel und Deutschland. Die Szenen, die bei der eigentlich in Zürich beheimateten FIFA spielen, wurden im Gebäude der Deutschen Welle in Bonn gedreht. "90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden" hat das 22. Jüdische Filmfest in Berlin/Brandenburg (4. bis 19. Juni) eröffnet und feierte am Samstag (4.6.) dort Weltpremiere. Mehr zum Film auch in der neuen Ausgabe von KINO.