Filmkünstler Michael Ballhaus gestorben
12. April 2017Unsicher eilt Bibliothekarin Martha auf den Geschäftsmann Helmut zu. Als sie vor ihm zum Stehen kommt, beginnt sich die Perspektive des Zuschauers um das ungleiche Paar zu drehen, die Bewegung wird schneller, erzeugt einen visuellen Strudel. Es ist der erste "Ballhaus-Kreisel", eine 360-Grad-Bewegung der Kamera, die den deutschen Kameramann weltweit berühmt machte und seitdem unzählige Male kopiert wurde. Erstmals 1974 in Rainer Werner Fassbinders "Martha" im Einsatz, wurde Michael Ballhaus durch seine legendären Kamerafahrten auch in Hollywood bekannt. Als "Das fliegende Auge" schätzten Regisseure wie Francis Ford Coppola, Robert Redford und vor allem Martin Scorsese, sein "Lieblingsregisseur", die Experimentierfreude des gebürtigen Berliners.
"Mit Ballhaus zu arbeiten, ist, als sei man im Himmel, nur dass man dafür nicht sterben muss", soll Scorsese in einem Interview über die deutsche Kameralegende gesagt haben. Gemeinsam drehten sie sieben Filme, unter anderem "Gangs of New York" im Jahr 2002 und "Departed - Unter Feinden" 2006 - Ballhaus letzter Kinofilm in Hollywood.
Mit dem Film aufgewachsen
Den Startschuss für seine Karriere machte 1955 ein erster Besuch auf einem Filmset. Gedreht wurde gerade "Lola Montez" unter der Regie von Max Ophüls. Der Regisseur war mit Ballhaus Eltern befreundet, die beide Schauspieler sind. Der damals 18-jährige Michael, fasziniert von der Welt des Films, machte daraufhin eine Ausbildung zum Fotografen und arbeitet später als Kameraassistent.
Ballhaus startete mit einigen Fernsehfilmen für den Südwestrundfunk (SWR), wo er innerhalb von sechs Jahren zum Chefkameramann aufstieg. Trotz der Arbeit fürs Fernsehen fanden er und Rainer Werner Fassbinder 1970 zusammen und sollten sich fortan gegenseitig bei insgesamt 15 Filmen einander inspirieren. Mit "Die Ehe der Maria Braun" gelang ihnen 1979 ein Welterfolg. Zugleich war das die letzte Zusammenarbeit zwischen Michael Ballhaus und Rainer Werner Fassbinder. Wenige Jahre später wurde Ballhaus von der US-amerikanischen Filmindustrie entdeckt.
Die Familie ist mit dabei
Immer mit dabei bei den Dreharbeiten war seine Frau Helga, selbst Schauspielerin und Filmausstatterin, sowie die beiden Söhne des Paares. Der jüngere, Florian Ballhaus, erinnert sich noch gut: "Wir sind eigentlich an Filmsets aufgewachsen. Mein Bruder und ich, wir waren beide eigentlich immer an Filmsets. Wir haben sehr viel Zeit an Fassbinder-Sets zugebracht. Und wir hatten sogar einen Film bei uns im Haus gedreht. Da habe ich meine Osterferien zugebracht, in 'Chinesisches Roulette'. Und das war eine sehr interessante Erfahrung für einen neunjährigen Jungen."
Auch nach Amerika nahm Michael Ballhaus seine Söhne mit zu seinen Dreharbeiten - allerdings nicht ohne Konsequenzen: Beide arbeiten heute beim Film. Sebastian in der Produktion, Florian, der jüngere, ist, wie sein Vater, ein erfolgreicher Kameramann in Hollywood geworden: "Das Lustige ist: Man glaubt anfangs immer nicht, dass man so viel von seinem eigenen Vater lernen kann. Ich habe das erst sehr viel später gemerkt, nachdem ich selber angefangen habe, zu drehen."
Rückkehr nach Deutschland2006 verstarb Ehefrau Helga in Los Angeles und Michael Ballhaus kehrte in seine Geburtsstadt Berlin zurück. Er hat sein Wissen und seine Erfahrung seitdem an zahlreiche Studenten an den Filmhochschulen in Deutschland weitergegeben. Seit 2011 war Michael Ballhaus in zweiter Ehe mit der Regisseurin Sherry Hormann verheiratet. Mit ihr realisierte er 2013 seinen letzten Film "3096 Tage" über die Entführung der Österreicherin Natascha Kampusch. Kurz darauf gab er bekannt, dass er an der Augenkrankheit "Grüner Star" leide und langsam erblinde.
"Die Geschichte mit seinem Augenlicht ist natürlich sehr tragisch für jemanden, der so visuell ist und so viel seine Augen genutzt hat und damit so viel angestellt hat und so viel erreicht hat. Es ist aber auch beeindruckend, wie gut er damit umgeht", sagte sein Sohn Florian Ballhaus.
Am 12. April ist Michael Ballhaus nach kurzer Krankheit im Alter von 81 Jahren friedlich in seiner Berliner Wohnung gestorben. Er hinterlässt ein beachtliches Werk von rund 80 Kinofilmen.
Einen Überblick über Ballhaus' Schaffen und ein Interview mit dem legendären Kameramann aus dem vergangenen Jahr sehen Sie in unserer KINO-Spezial-Ausgabe.