Fischer auf Lampedusa in Bedrängnis
15. April 2015Der Schiffbruch eines Flüchtlingsbootes forderte gestern auf dem Mittelmeer vermutlich 400 Menschenleben. Laut der Nachrichtenagentur Ansa handelt es sich um die schlimmste Flüchtlingskatastrophe, seit im Oktober 2013 mehr als 360 Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa umgekommen waren.
Die Bewohner Lampedusas erinnern sich an den leidvollen Tag vor eineinhalb Jahren. Solche Katastrophen prägen sich in das kollektive Gedächtnis ein. Vor einigen Wochen beschrieb die Bürgermeisterin von Lampedusa Giusi Nicolini die Stimmung auf der Insel: "Jedes neue Schiffswrack ist eine Tragödie für uns. Wir trauern mit."
Traumatische Erlebnisse
Auch der Inselbewohner Costantino Baratta erinnert sich noch genau an jenen Oktobertag im Jahr 2013, an dem ein Segeltörn sein Leben verändern sollte. "Wir sahen viele Menschen im Wasser. Sie schrien um Hilfe. Einen nach dem anderen zogen wir an Bord. Sie waren jung, nackt und von oben bis unten mit Diesel verschmiert." Dann entdeckte Baratta ein Mädchen, das er zuerst für tot hielt. Sie streckte plötzlich den Arm in die Luft und sagte "Hilf mir, hilf mir".
Baratta zeigt Bilder von seinen Erlebnissen am Unglückstag. Darunter ist auch ein Bild von einer ertrunkenen Frau. Sie liegt drei Meter tief unten auf dem Meeresgrund. Er zeigt auf ein anderes Foto: "Das ist Lwam, sie ist die letzte, die wir gerettet haben."
Lwam kommt aus Eritrea und ist eine der wenigen Überlebenden des Schiffbruchs von 2013. Italien stand am Tag der Katastrophe an einem Wendepunkt. Das italienische Rettungsprogramm 'Mare Nostrum' wurde ins Leben gerufen. Es sollte so viele Menschen wie möglich retten. Die italienische Marine und die Küstenwache starteten Kontrollfahrten bis vor die libysche Küste. Aber 'Mare Nostrum' wurde den Italienern zu teuer und deshalb an die EU-Grenzschutzagentur Frontex übergeben. Das Nachfolgeprogramm heißt Operation 'Triton'. Daran beteiligen sich europäische Länder im Wechsel.
Die italienische Küstenwache ist überfordert
Salvatore di Grande ist Chef der Küstenwache von Lampedusa. Er koordiniert fünf Rettungsschiffe für Triton, die vor der Küste Italiens Patrouille fahren. Die Anzahl der Schiffe sei aber nicht genug, so Salvatore di Grande: "Es gibt einfach zu viele Schmuggler, die Flüchtlinge zwingen, auch bei schlechten Bedingungen in See zu stechen." Er räumt ein, dass seine Küstenwache neue Katastrophen nicht verhindern könne.
Die ständige Konfrontation mit den Flüchtlingsschicksalen und die vermehrte Anwesenheit der Schmuggler traumatisieren auch die Fischer von Lampedusa. Beispielswese fürchten sie sich vor den Schmugglern, die mittlerweile bewaffnet sind. Ein Fischer erzählt: "Die Schmuggler haben eine Küstenwache auf Patrouille mit Schusswaffen bedroht, weil sie ihre Schlepperboote zurück haben wollten“.
Lampedusas Bürgermeisterin Nicolini meint, eine Küstenwache sei nicht dafür da, Krieg zu führen. Aber die Menschenschmuggler werden laut Nicolini auch immer aggressiver. Das eigentliche Problem sei aber die instabile Lage in den Herkunftsländern der Migranten, die immer neue Flüchtlingswellen auslösten.
Kurz nach der Katastrophe vom 3. Oktober 2013 besuchte Costantino Baratta das Mädchen Lwam und die anderen, die er gerettet hatte im örtlichen Flüchtlingslager. Baratta hat zwölf jungen Menschen das Leben gerettet. Die meisten von ihnen bekamen politisches Asyl in Schweden, Norwegen und Deutschland. Er und seine Frau haben noch täglich über Telefon oder E-Mail Kontakt zu ihnen.
Zu wenig Mittel für Operation Triton
Im italienischen Parlament erntete die Operation 'Mare Nostrum' heftige Kritik von Seiten der rechtskonservativen Opposition. Die Maßnahme sei "ein Taxiservice nach Europa". Die Operation 'Triton' hat nur begrenzte Mittel. Das monatliche Budget beträgt 2,9 Millionen Euro, ein Drittel dessen, was Italien in 'Mare Nostrum' investiert hatte.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) geht von mehr als 3000 Toten im Mittelmeer im vergangenen Jahr aus. In den vergangenen Wochen starben erneut hunderte Flüchtlinge. Italien rief dazu auf, Triton in eine humanitäre Mission umzuwandeln.
Bürgermeisterin Nicolini argumentiert, dass es nicht helfe, Mauern zu errichten und Grenzen zu schließen. Migranten ließen sich nicht davon abhalten, einzuwandern. Und das hat schlimme Folgen: Mehr Tote.
Dem Fischer Aurelio Palmesano zufolge müssten die Flüchtlinge direkt auf das italienische Festland gebracht werden. Das würde der Tragödie ein Ende setzen - für die Einwohner Lampedusa und für den Rest der Welt.