Flüchtlinge in Deutschland: Wo sollen sie wohnen?
21. Juli 2023Es reißt nicht ab. Immer wieder rufen Kommunen um Hilfe, die keinen oder kaum noch Platz haben, um weitere Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine unterzubringen. Jüngstes Beispiel: der Kreis Fulda im Bundesland Hessen. Städte und Gemeinden seien "absolut an der Kapazitätsgrenze", um die Menschen "wenigstens halbwegs menschenwürdig" unterzubringen, heißt es in einem Schreiben an die Landes- und die Bundesregierung, das der Kreistag, also das kommunale Parlament, Mitte Juli mit großer Mehrheit verabschiedet hat.
"Wir brauchen eine Begrenzung des Zuzugs", sagte Landrat Bernd Woide (CDU). "Es gibt nicht nur einen Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten, die darüber hinaus bestehenden Kapazitäten wie bei der Kinderbetreuung, in Schulen, bei der ärztlichen Versorgung und vielen weiteren Bereichen sind auch begrenzt."
2023 ist mit 300.000 Asylbewerbern zu rechnen
Während inzwischen nur noch wenige Ukrainer nach Deutschlandkommen, nimmt die Zahl der Asylbewerber zu. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zählte von Januar bis Juni 2023 mehr als 162.000 Asylanträge. Die meisten Menschen kamen aus Syrien (rund 44.000), gefolgt von Afghanistan (rund 28.000) und der Türkei (rund 19.000). Aus afrikanischen Staaten beantragten rund 20.000 Flüchtlinge Asyl in Deutschland.
Für 2023 müsse man mit rund 300.000 Asylbewerbern rechnen, sagt Boris Kühn von der Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim. Sie werden nach einem bestimmten Schlüssel auf Deutschland verteilt, bekommen dort eine Unterkunft zugewiesen und müssen an dem Ort bleiben. Das Problem: Die meisten Unterkünfte sind durchgehend stark belegt, oft gibt es einfach keine Plätze mehr.
Es gibt eine "Auszugskrise"
Warum das so ist, erklären Migrationsforscher Boris Kühn und Julian Schlicht, Koordinator "Hilfen für Geflüchtete" in Tübingen, in einer Untersuchung zur Wohnsituation von Flüchtlingen. Es gebe eine "Auszugskrise". Aktuell würden immer noch 25 Prozent der Menschen, die 2015/2016 nach Deutschland kamen, in Flüchtlingsunterkünften leben.
Es herrscht so etwas wie ein Stau im Aufnahmesystem. Vor allem in Gegenden mit angespanntem Wohnungsmarkt ist es sehr schwierig für anerkannte Flüchtlinge, eine eigene Wohnung zu finden. Für die neu ankommenden Asylbewerber bedeutet das, dass sie statt ein paar Tagen oft Wochen in den Erstaufnahmelagern bleiben müssen. Und auch die haben Kapazitätsgrenzen.
Wer vorbereitet war, hat es leichter
Doch es gibt durchaus regionale Unterschiede. Kühn und Schlicht stellen fest, dass besonders Städte und Gemeinden unter Druck stehen, in denen nach dem Zuzug der Jahre 2015/16 Personalstellen in der Integrations- oder Flüchtlingssozialarbeit, aber auch Strukturen wie Netzwerke und Runde Tische abgebaut wurden. Wo sie stattdessen weiterentwickelt wurden, sei man 2022 besser auf die erneute Herausforderung eingestellt gewesen.
Vieles sei eine Frage des politischen Willens beziehungsweise der politischen Prioritätensetzung. "Die Unterbringung Geflüchteter ist zwar eine Pflichtaufgabe, die Umsetzung lässt jedoch Spielräume im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung", heißt es in der Studie.
Gefordert, aber nicht überfordert
"Es mutet tatsächlich etwas ernüchternd an", schreiben die Autoren: "Einer Phase der Ruhe folgt - nun zum zweiten Mal in wenigen Jahren - ein hektischer Aufbau von Notunterkünften, dringende Appelle der Verwaltungen und schließlich ein Diskurs der Überlastung."
Zu den Städten, in denen es anders läuft, gehört Düsseldorf. 10.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge kamen 2022 innerhalb kurzer Zeit in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt an. "Das waren so viele Flüchtlinge wie in den Jahren 2015/2016 zusammen", sagt Miriam Koch, Beigeordnete für Kultur und Integration. "Wir waren trotzdem nicht überfordert, sondern nur gefordert."
Es habe zwar nicht alles reibungslos funktioniert. "Es ist aber gelungen, die Strukturen, die wir seit 2015 eingeübt hatten, wieder hochzufahren." Dazu habe die Zusammenarbeit verschiedener Stellen gehört "und die Erfahrung, wie die Stadt an Wohnungen kommen kann".
Mehr Flexibilität bei der Unterbringung
In Düsseldorf wird Auszugsmanagement betrieben, das heißt, die Stadt sucht proaktiv nach Mietwohnungen für anerkannte Flüchtlinge. Dazu gehört auch, private Vermieter davon zu überzeugen, einen Geflüchteten als Mieter zu akzeptieren. Das ist oft schwierig. Koch erzählt von Vermietern, die ausschließlich ukrainische Frauen und Kinder aufnehmen wollten. Vielfach müsse Überzeugungsarbeit geleistet werden, um den Vermietern "Ängste und Sorgen zu nehmen", wie Koch sagt, und es müssten Konzepte wie "Wohnen-auf-Probe" angeboten werden.
So macht es auch ein Netzwerk in Baden-Württemberg, in dem sich mehrere Städte zusammengeschlossen haben, um Wohnraum zu finden. Einige Kommunen zahlen dort sogar Renovierungszuschüsse, um Leerstand nutzbar zu machen, andere bieten den Vermietern Mietausfallgarantien an oder schließen für die ersten Jahre den Mietvertrag. Ziel ist, dass die Bewohner nach ein paar Jahren selbst in den Mietvertrag eintreten.
Allerdings hilft selbst das Auszugsmanagement in Städten mit akutem Wohnraummangel nur bedingt. Die Düsseldorferin Koch fände es daher gut, wenn alle Flüchtlinge - und nicht nur Ukrainer - auch privat unterkommen könnten. Es gebe viele Migranten in Deutschland, die bereit wären, Angehörige, Freunde und Bekannte aufzunehmen, die auf der Flucht sind.
Jeder zweite Asylantrag wird abgelehnt
Immer mehr Kommunen fordern inzwischen, dass ihnen nur noch Flüchtlinge zugewiesen werden, die eine Bleibeperspektive haben. Auch im Kreis Fulda möchte man das erreichen. In der vom Kreistag verabschiedeten Resolution heißt es: "Neu ankommende Asylsuchende und Flüchtlinge aus Drittstaaten sollen bis zum Abschluss der ersten Prüfungen grundsätzlich in den zentralen Aufnahmestellen des Landes verbleiben." Landrat Woide fügt hinzu: "Ansonsten funktioniere erfahrungsgemäß die Abschiebung später nicht mehr."
Laut Asyl-Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurden im ersten Halbjahr 2023 rund 133.000 Asylanträge bearbeitet und entschieden. 48 Prozent wurden aus inhaltlichen oder formalen Gründen abgelehnt. Nur jeder zweite Antragsteller bekam eine Bleibeperspektive in Deutschland.