Menschenrechtler: Tunesien misshandelt Migranten aus Afrika
19. Juli 2023Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) spricht von "schweren Misshandlungen" durch Sicherheitskräfte in Tunesien. Sie habe habe entsprechende Berichte von Migrantinnen und Migranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern aus Ländern südlich der Sahara dokumentiert. Darin sei von "Schlägen, übermäßiger Gewaltanwendung, einigen Fällen von Folter, willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen, Massenvertreibungen, gefährlichen Aktionen auf See, Zwangsräumungen und Diebstahl von Geld und persönlichen Gegenständen" die Rede, teilte HRW mit.
HRW sammelte nach eigenen Angaben seit März Zeugenaussagen von mehr als 20 Menschen, die Opfer von "Menschenrechtsverletzungen durch die tunesischen Behörden" geworden waren. Von den Befragten zählten demnach sieben zu einer Gruppe von 1200 Migrantinnen und Migranten, "die Anfang Juli von tunesischen Sicherheitskräften ausgewiesen und gewaltsam an die Grenzen zu Libyen und Algerien" in Wüstenregionen gebracht worden seien, erläuterten die Menschenrechtler.
Nach Angaben von HRW traten die meisten der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen nach Äußerungen des tunesischen Präsidenten Kais Saied auf, der im Februar "Horden" von Migranten einer "kriminellen Verschwörung" beschuldigt hatte.
Libysche Grenzer retten Migranten
Libysche Grenzschützer hatten nach Angaben von Journalisten der Nachrichtenagentur AFP am Sonntag zahlreiche erschöpfte und dehydrierte Migranten aus dem Wüsten-Grenzgebiet gerettet. Sie seien dort ohne Nahrung, Wasser oder Unterkunft zurückgelassen worden. Laut den Grenzbeamten wurden die Menschen von der tunesischen Polizei ausgesetzt.
Das libysche Innenministerium erklärte, es könne die "Vertreibungen durch die tunesischen Behörden in Richtung der libyschen Grenze" belegen. Im Onlinedienst Facebook veröffentlichte das Ministerium ein Video, in dem Flüchtlinge ihre Geschichte erzählen.
Nach Auseinandersetzungen mit Bewohnern der tunesischen Hafenstadt Sfax waren in jüngster Zeit hunderte afrikanische Migranten und Flüchtlinge in die Wüste und andere unwirtliche Gegenden vertrieben worden. Sfax gilt als einer der Starthäfen für Menschen aus afrikanischen Ländern, die von dort in Booten in Richtung Europa aufbrechen. Die zweitgrößte Stadt Tunesiens liegt rund 130 Kilometer von der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa entfernt.
EU soll Finanzhilfen stoppen
Angesichts des aggressiven Verhaltens der tunesischen Behörden rief Human Rights Watch die Europäische Union (EU) dazu auf, ihre Unterstützung für Migration und Grenzmanagement in Tunesien zurückzuhalten, bis die Menschenrechtslage in dem nordafrikanischen Land gründlich beleuchtet worden sei. "Durch die Finanzierung von Sicherheitskräften, die bei der Migrationskontrolle Übergriffe begehen, ist die EU mitverantwortlich für das Leid von Migranten, Flüchtlingen und Asylsuchenden in Tunesien", sagte Lauren Seibert, Forscherin für Flüchtlings- und Migrantenrechte bei Human Rights Watch.
Die EU hatte am Sonntag ein umfassendes Migrationsabkommen mit Tunesien geschlossen. Es sieht massive EU-Finanzhilfen vor, im Gegenzug soll Tunesien stärker gegen irreguläre Migration vorgehen.
Auch UN ermahnen Tunis
Experten der Vereinten Nationen (UN) forderten die Regierung in Tunis auf, umgehend Schritte zu unternehmen, "um rassistische Hassreden im Land zu beenden" und Migranten aus Ländern südlich der Sahara vor Gewalt zu schützen, gemeldete Gewalttaten zu untersuchen und den Zugang der Opfer zur Justiz zu gewährleisten. Die tunesischen Behörden sollten außerdem den humanitären Zugang zum "gefährlichen tunesisch-libyschen Grenzgebiet fortsetzen und ausweiten", in das bereits viele Menschen, darunter schwangere Frauen und Kinder, abgeschoben worden seien, heißt es in einer Erklärung.
Zu deren Unterzeichnern gehören Mitarbeiter des UN-Ausschusses für die Beseitigung von Rassendiskriminierung, der Arbeitsgruppe für Menschen aus Afrika sowie drei Sonderberichterstatter, darunter der Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten, Felipe González Morales.
se/kle (afp, hrw.org, epd)