Kosovo-Flüchtlinge vor Abschiebung
22. April 2010In Silvana Santamarias preisgekröntem Dokumentarfilm "Nirgendwo.Kosovo" (Max-Ophüls-Preis 2010) gibt es eine Szene, die in Erinnerung bleibt: Wenn sich der Müllwagen der Mülldeponie nähert, rennen die Menschen hinterher, schubsen einander, wühlen in dem Müll, in der Hoffnung, etwas Verwertbares zu finden. Alltag für die Bewohner der Ägypter-Siedlung Alibraj, in der Nähe der kosovarischen Stadt Gjakova. Ägypter, Roma oder Aschkali sind Minderheiten, die zwar im Kosovo dieselben Rechte wie alle anderen haben und auch im Parlament vertreten sind. De facto haben sie jedoch kaum Perspektiven. Das belegen Statistiken: 90 Prozent von ihnen sind arbeitslos.
Dennoch machte der kosovarische Innenminister Bajram Rexhepi am 14. April 2010 eine verbindliche Zusage in Berlin, weitere Angehörige der Minderheiten in Kosovo aufzunehmen. Er unterzeichnete mit seinem deutschen Amtskollegen Thomas de Maiziere ein entsprechendes Abkommen. Dieses und ein Abkommen über die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, das die Innenminister ebenfalls am selben Tag unterzeichneten, waren die ersten bilateralen Verträge zwischen Deutschland und dem jüngsten Staat Europas.
Besuch aus Berlin
Betroffen sind nun etwa 15.000 Menschen, darunter rund 10.000 Roma und Aschkali. Die bisherigen Erfahrungen mit Abschiebungen zeigen, dass 70 Prozent der Roma, die zwangsweise in das Kosovo zurückgeführt wurden, das Land innerhalb kürzester Zeit wieder verlassen. Dies kann sich der CDU-Politiker Günter Baumann nicht erklären: "Sie bekommen wirklich ein gutes Programm, sie bekommen Geld und Wohnungen angeboten, um zurückzukehren."
Gemeinsam mit einigen Kollegen des Innenausschusses war Baumann vor kurzem im Kosovo und besuchte auch eine Roma-Siedlung in Mitrovica. "Wir haben mit den Menschen gesprochen, auch mit den Roma selbst, die uns erzählten, dass alle Kinder in die Schule gingen und es keine Problem gebe", erzählt der Bundestagabgeordnete.
Rücksicht auf Einzelfälle gefordert
Bislang fehlen noch Schulangebote für Jugendliche, die aus Deutschland zurückkehren. Dies bemängelte auch der kosovarische Innenminister Bajram Rexhepi in einem Interview mit der Deutschen Welle. "Wir können Schulen in albanischer und serbischer Sprache anbieten, andere deutsch- oder englischsprachige Schulen in Kosovo sind in privater Hand. Dies erschwert die Integration der Rückkehrer aus Deutschland."
Schulen, in denen auf Romani, der Sprache der Roma und Aschkali, unterrichtet werde, gebe es jedoch nicht. Gerold Reichenbach von der SPD, der bei der Kosovo-Reise der deutschen Bundestagsabgeordneten dabei war, hat selber Jugendliche mit solchen Problemen getroffen. "Die Menschen haben uns darauf hingewiesen, dass sie in Deutschland aufgewachsen sind. Sie sprechen Deutsch und Romani und haben überhaupt keine Chance, ein adäquates Schulangebot zu finden. Für sie ist das eine fremde Gesellschaft", erzählt der SPD-Politiker und appelliert an die deutschen Behörden, bei der Umsetzung des Abkommens auf die Einzelfälle Rücksicht zu nehmen.
Historische Verantwortung und Legalität
Für Ulla Jelpke von den Linken ist das Leben der Roma in Kosovo ein "reines Dahinvegetieren". Die Bundestagsabgeordnete fordert einen generellen Abschiebestopp für Roma. Hier solle der deutsche Staat wie mit den russischen Juden verfahren, schlägt sie vor. "Bei ihnen sagt keiner, sie sollen abgeschoben werden. Wir haben eine historische Verantwortung auch gegenüber den Roma." Auch sie gehörten zu den Opfergruppen der Nazizeit. Man könne sie nicht einfach zurückschicken, egal, wie sie dort weiterleben.
Diesen Zusammenhang will der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere nicht einsehen: "Die Roma haben immer ein schweres Schicksal in der europäischen Geschichte gehabt, insbesondere in Deutschland. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie dort, wo sie leben, einen legalen Aufenthaltsstatus benötigen. Den haben viele von ihnen in Deutschland nicht", erklärte der CDU-Politiker nach der Unterzeichnung des Rückführungsabkommens.
Der Grünen-Politiker Josef Winkler hält ebenfalls die Forderung, eine historische Verantwortung für alle Roma weltweit zu übernehmen für "zu weit her geholt". Scharfe Kritik übt er aber an der Bundesregierung, dass sie Kosovo vor zusätzliche Herausforderungen stelle und ihre Hilfe an die Rückführung der Flüchtlinge koppele: "Der Druck, den die Bundesregierung ausgeübt hat, ist unverhältnismäßig groß gewesen", sagt Winkler. "Nach allem was wir gehört haben, fühlten sich die Vertreter des Kosovo dort regelrecht erpresst. Ein Land von der Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland sollte sich wirklich dafür schämen, ein so armes Land unter Druck zu setzen", so Winkler.
Autorin: Anila Shuka
Redaktion: Mirjana Dikic / Nicole Scherschun