Mehr Rechte für Wanderarbeiter
1. Juli 2014Daniela Reim betritt die Beratungsstelle für mobile Beschäftigte. Direkt am Oldenburger Bahnhof liegt ihr Büro - in einer kleinen Seitenstraße im Hochparterre. Das Bundesland Niedersachsen hat die Stelle im vergangenen Herbst eingerichtet. Ihre Aufgabe - Wanderarbeitern aus Bulgarien und Rumänien zu ihrem Recht zu verhelfen.
Ein Rumäne, erzählt die zierliche, mittelgroße Frau, habe sie auf dem Weg zur Arbeit angerufen: Er sei bei der Polizei gewesen, eine Anzeige wolle er erstatten - und so schnell wie möglich nach Rumänien zurückkehren. Ihm fehle aber das Geld für das Busticket, um heim fahren zu können.
Sie packt ihre Sachen. Dann geht es los. Auf dem Parkplatz steht ein schwarzer Bulli - ihr Arbeitsplatz für unterwegs. Vor 14 Jahren kam sie nach Deutschland - der Liebe wegen, erzählt sie, was auch ihren deutschen Nachnamen erklärt.
10.000 Werksvertragsarbeiter allein in Niedersachsen
In Niedersachsen arbeiten circa 10.000 Werkvertragsarbeiter aus Südosteuropa. Allein 6000 davon im südoldenburger Land, der Hochburg der deutschen Schlachtindustrie. Zu etwa 200 steht Daniela Reim bislang in Kontakt. Jetzt geht es nach Vechta. Die Caritas, die Wohlfahrtorganisation der katholischen Kirche, will dem Rumänen das Busticket zahlen. Reim soll ihm das Geld dafür überbringen.
Kurz hinter der Ortsausfahrt von Vechta steht direkt an der vielbefahrenen Bundesstraße 69 ein kleines Haus. Der Putz bröckelt, in die braune Haustür sind kleine Milchglasfenster eingelassen, die Jalousien sind heruntergelassen - die Notunterkunft der Stadt Vechta. Daniela Reim klopft an und öffnet die Tür. Im Zimmer rechts der Treppe hat der Rumäne letzte Nacht Unterschlupf gefunden. Sie überreicht ihm das Geld für das Busticket. Er bedankt sich. Sichtlich unwohl fühlt er sich in seiner Situation als Bittsteller. 40 Jahre alt ist der Rumäne, im blauen Trainingsanzug steht er im Zimmer, die schwarzen Haare fettig und ungekämmt. Er musste für einen Schlachthof Euro-Paletten reparieren. 35 Cent bekam er pro Stück. Er schaffte 200 am Tag. Knapp 60 Euro verdiente er in zehn Stunden Arbeit. Abgezogen wurden ihm neben den 150 Euro für den Schlafplatz noch 110 Euro für den Transport von Rumänien nach Deutschland.
"Eigentlich hat er keine Ansprüche mehr", sagt Daniela Reim, "wenn die Miete und der Transport abgezogen werden, dann bleibt nicht mehr viel übrig." Die, die nach Deutschland kommen und hier weder ein Wort verstehen noch sprechen, bleiben bei der Jobsuche weiterhin dubiosen Lohnunternehmern ausgeliefert. Dabei wäre das ganze Problem mit einem Schlag gelöst, würden sich die Arbeitsuchende direkt an die Schlachtbetriebe wenden und sich dort um Arbeit bewerben. Seit Beginn des Jahres ist es ihnen im Zuge der Freizügigkeit möglich. Freiwillig werden die Schlachthöfe kaum auf Werkvertragsarbeiter verzichten wollen, sind sie doch deutlich billiger als festangestelltes Stammpersonal.
Mindestlohn in der Fleischindustrie
Möglicherweise werde sich dennoch bald Grundlegendes ändern, sagt Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten für die Region Oldenburg-Ostfriesland. "Nach fast zehnjährigen Auseinandersetzungen haben wir einen Tarifvertrag mit Mindestlohn." Dieser beträgt 7,75 Euro und wird bis Ende 2016 auf 8,75 Euro erhöht. Ursprünglich sollte der neue Mindestlohn am 1. Juli in Kraft treten, doch aufgrund verfahrenstechnischer Gründe wird sich dies um voraussichtlich einen Monat verschieben. Dann beginne Brümmers Arbeit erst so richtig - denn dann würden sie genau kontrollieren.
Haben sich die Tarifparteien einer Branche auf einen Mindestlohn geeinigt, greift hier das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Und mit ihm Mindestarbeitsbedingungen - eine korrekte Lohnabrechnung gehört zwingend dazu, zudem Krankenversicherung, Meldepflicht aller Beschäftigten, bezahlter Urlaub, Mindestruhezeiten. Für Missstände haftet der Auftraggeber, also der Schlachthof, soweit man ihm nachweisen kann, davon gewusst zu haben. Gewerkschaftsfunktionär Brümmer gibt sich optimistisch: "Die Branche hat ihren Ruf total versaut - durch Lebensmittelskandale, aber auch dadurch dass die soziale Frage überhaupt nicht beantwortet wird."
Kurz vor 18 Uhr. Ein langer Arbeitstag geht für Daniela Reim zu Ende. Sie ist auf dem Weg nach Oldenburg. "Es ist nicht einfach, mit dem ganzen Leid umzugehen. Aber ich weiß, dass es in Zukunft besser um diese Menschen stehen wird." Auf drei Jahre hat die niedersächsische Landesregierung zugesagt, die Beratungsstelle für mobile Beschäftige zu finanzieren. Am Büro stellt Daniela Reim den Bulli ab. Morgen geht es wieder raus ins südoldenburger Land - zu den ausgebeuteten und verunsicherten Menschen aus Südosteuropa, die im Glauben nach Deutschland gekommen sind, um hier mit ehrlicher Arbeit gutes Geld zu verdienen.