ILO rügt raschen Sozialabbau in der EU
3. Juni 2014Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat die Kürzungen staatlicher Sozialleistungen im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa scharf kritisiert. Zusammen mit Arbeitslosigkeit, niedrigeren Löhnen und höheren Steuern hätten diese Maßnahmen zu "mehr Armut und sozialer Ausgrenzung" geführt, erklärte die ILO in ihrem Weltbericht zur sozialen Sicherung. Davon seien in der EU mittlerweile 123 Millionen Menschen betroffen, das sind 24 Prozent der Bevölkerung. Die ILO verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass mehrere europäische Gerichte Sozialkürzungen als nicht verfassungsgemäß eingestuft hätten.
Im schweizerischen Genf kritisierten die ILO-Experten zugleich, dass die Errungenschaften des europäischen Sozialmodells, das in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Armut drastisch verringert und den Wohlstand gefördert habe, durch "kurzfristige Anpassungsreformen untergraben" worden seien.
Verfrühter Kürzungskurs
In der ersten Krisenphase der Jahre 2008 und 2009 gab es laut dem Bericht weltweit noch in 48 Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen Konjunkturpakete mit einem Gesamtvolumen von 2,4 Billionen Dollar (knapp 1,8 Billionen Euro). Davon sei ungefähr ein Viertel in soziale Sicherungsmaßnahmen investiert worden. Ab dem Jahr 2010 seien die meisten Regierungen dann aber zur "Haushaltskonsolidierung und zu verfrühten Ausgabenkürzungen" übergegangen, moniert sie ILO. Die Wirksamkeit der sozialen Sicherungssysteme sei wegen dieser Einsparungen gefährdet.
Die Arbeitsorganisation rechnet damit, dass in diesem Jahr immer noch 122 Länder, davon 82 Entwicklungsländer, ihre Staatsausgaben senken werden. Nach Einschätzung der Experten trägt soziale Sicherung jedoch auch zu wirtschaftlichem Wachstum bei, weil sie die Haushaltseinkommen und damit den Inlandskonsum stütze.
Als "Lehrstück in puncto Entwicklung" lobt die ILO China. Während es in vielen Industrieländern Kürzungen gab, haben zahlreiche Länder mit mittleren Einkommen ihre sozialen Sicherungssysteme zuletzt sogar deutlich ausgeweitet, darunter China. Dort seien etwa die Löhne erhöht worden, außerdem erhielten dort immer mehr Menschen eine Rente. Auch in Brasilien hätten seit dem Jahr 2009 mehr Menschen von Sozialleistungen und dem Mindestlohn profitiert.
Unverwirklichtes Menschenrecht
Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung bleibe das "grundlegende Menschenrecht auf soziale Sicherheit" aber noch immer kaum mehr als ein Traum, heißt es in dem Bericht weiter. Nur 27 Prozent der Menschen weltweit haben demnach Zugang zu umfassenden sozialen Sicherungssystemen. 73 Prozent sind nur teilweise oder gar nicht abgesichert. Nur zwölf Prozent der Arbeitslosen weltweit erhalten Arbeitslosengeld und 48 Prozent der Menschen im Rentenalter erhalten keine Rente. 39 Prozent der Menschen haben keine Absicherung im Krankheitsfall - in armen Ländern sind dies sogar mehr als 90 Prozent. Die 1919 gegründete Internationale Arbeitsorganisation setzt sich im Auftrag der Vereinten Nationen für soziale Gerechtigkeit und Arbeitnehmerrechte ein.
kle/as (afp, dpa, epd)