UN-Weltkindertag
20. November 2006Der 4. September 1994 ist ein Tag, den Evelyn wohl nie vergessen wird. Denn beinahe wäre es ihr letzter gewesen. Die damals Zwölfjährige war gerade auf dem Weg in die Schule als sie von Rebellen der nordugandischen "Lord's Resistance Army" entführt wurde. Danach musste das Mädchen um ihr Leben fürchten. Denn nur kurze Zeit später entstand ein großer Streit zwischen ihren Entführern, da keiner der Männer die Verantwortung für die Tat übernehmen wollte.
Evelyn erinnert sich heute nur ungern an diesen Tag: "Schließlich kamen sie auf die Idee, dass die einzige Lösung darin bestand, mich zu töten. Im Prinzip war bereits alles vorbereitet, als durch einen Zufall ausgerechnet der Rebellenchef Joseph Kony ihr zu Hilfe kam und sie bei sich aufnahm." Später wurde Evelyn eine von seinen zahlreichen Frauen. Als Kindersoldatin kämpfte und lebte sie dann Jahre lang mit den Rebellen im Busch.
Den Kindern normale Verhaltensweisen beibringen
Doch Evelyn hatte Glück im Unglück. Sie wurde schließlich von der ugandischen Armee gefangengenommen und in ein Auffanglager für Kindersoldaten gebracht. Insgesamt sechs Wochen blieb sie in dem sogenannten "reception centre" zusammen mit vielen anderen Kindern, die ein ähnliches Schicksal wie sie erlebt hatten.
In den "reception centres" in Norduganda werden Kindersoldaten medizinisch und psychologisch betreut, bekommen frische Kleidung, zu Essen und sogar Schulunterricht. Doch gerade der Unterricht ist für viele der Jungen und Mädchen schwierig, sagt Francis Odokorach, Sprecher der Gulu Support of Children Organization (GUSCO): "Viele Kinder können dem Unterricht nicht folgen, weil sie nicht einmal für eine halbe Stunde ruhig sitzen können. Wir lassen die Kinder daher malen, um ihnen normale Verhaltensweisen beizubringen."
GUSCO baute als erste Organisation 1994 ein Zentrum für Kindersoldaten in Norduganda. Inzwischen gibt es viele solcher Zentren dort. Sie werden meist mit internationalen Geldern finanziert. In den vergangenen Jahren wurden in Norduganda schätzungsweise 15.000 Kinder, die aus dem Busch zurückgekehrt sind, in internationalen Hilfsprojekten betreut. Die Sozialarbeiter dort wollen den Kindern vor allem helfen, in ihr Leben vor der Entführung zurück zu finden. Doch gerade das ist für viele Kinder sehr schwierig, denn sie haben meist ihre Eltern verloren, mussten Verwandte töten, um selbst zu überleben und werden deshalb von dem Rest ihrer Familie verstoßen.
Ein ganz anderer Alltag
Die meisten Probleme entwickeln sich, wenn die Kinder die "Reception Center" verlassen. Ann Lorschiedter ist Lehrerin und hat drei Jahre lang im Rahmen ihrer Promotionsarbeit über die Rehabilitation von Kindersoldaten geforscht. Sie weiß, dass der Alltag in den Hilfszentren ein ganz anderer ist, als der, den die Kinder draußen erleben: "Es gibt umsonst drei Mal am Tag etwas zu essen, gute medizinische Versorgung, Kleidung und Schulmaterialien. Wenn die Kinder nach Hause kommen, ist meist gar nichts mehr davon da."
Inzwischen kämen weniger Kinder aus dem Busch zu ihnen als noch vor einigen Jahren, berichten die Sozialarbeiter der Zentren für Kindersoldaten in Norduganda. Doch Arbeit gibt es noch genug für sie. Ein großes Problem derzeit sei, dass sie kaum wüssten, was aus den Kindern werde, nachdem sie das Hilfsprojekt verlassen hätten, sagt Francis Odokorach von der GUSCO. Um die Kinder längerfristig betreuen zu können, wolle seine Organisation deshalb jetzt ihre Arbeit in die Dörfer verlagern.
Führungsqualitäten im Haushalt
Auch für Evelyn war das "Leben danach" nicht einfach. Als sie entführt wurde, war sie noch ein Schulkind und lebte mit ihrer Familie in einem Dorf. Inzwischen wurden ihre Angehörigen aber in ein Lager umgesiedelt. Evelyn, die bereits drei eigene Kinder hat, muss jetzt auf eigenen Beinen stehen. Ann Lorschiedter hat bei ihrer Forschung über die Rehabilitation von Kindersoldaten herausgefunden, dass besonders die Mädchen auch Dinge im Busch gelernt hätten, die ihnen in ihrem Leben danach helfen könnten.
Soldatinnen, die "lange im Busch waren und in der Hierarchie relativ hoch aufgestiegen sind, zum Beispiel als Frau von einem Kommandanten oder höherstehenden Soldaten", meint sie, hätten "eine gewisse Respektsposition bekommen und darin Führungsqualitäten entwickelt, die, wenn sie hier in der Gemeinschaft zurück sind, eingebracht werden können, wie die Organisation von Haushalt oder die Beschaffung von Nahrungsmitteln."
Im Sommer hat die ugandische Regierung und die Rebellenarmee nach 20 Jahren erstmals einen Waffenstillstand geschlossen. Für die Menschen in Norduganda ist das ein Hoffnungsschimmer. Doch bis die Wunden des Krieges geheilt sind, werden wohl noch viele Jahre vergehen.