"Menschen stärken Menschen"
19. Januar 2016"Wir setzen neben staatlicher Verantwortung auf das bürgerschaftliche Engagement", sagt Manuela Schwesig. Und die Bundesfamilienministerin muss nur nach links und rechts blicken, um zu erkennen: Daran mangelt es in Deutschland trotz aller Flüchtlingsprobleme offenkundig überhaupt nicht. Neben der Sozialdemokratin haben am Dienstag in Berlin drei Frauen Platz genommen, die das Schlagwort von der "Willkommenskultur" seit langem mit Leben erfüllen. Schwesigs Gäste engagieren sich in Vereinen und Initiativen oder als Vormund.
Sie alle stehen beispielhaft für das, was das Programm "Menschen stärken Menschen" in den kommenden Monaten und Jahren für die Integration von Flüchtlingen leisten soll. Susanne Ahlers zum Beispiel kümmert sich um ein 15-jähriges Mädchen aus Ostafrika. Im Amtsdeutsch hat die Berlinerin ein "Mündel". Die beiden unternehmen viel gemeinsam - Radfahren, kochen, Ausstellungen besuchen. Und sie spielt "leidenschaftlich gern Fußball", freut sich ihr gesetzlicher Vormund. Bevor sich die beiden aufeinander eingelassen haben, gab es mehrere Treffen. Als sie das Gefühl hatten, sich gut zu verstehen, wurde beim Familiengericht die Vormundschaft beantragt.
Die "Chemie" muss stimmen
Zuvor hatte Susanne Ahlers ein Motivationsschreiben verfasst. Anschließend gab es getrennte Gespräche mit Behördenmitarbeitern. "Willst Du Frau Ahlers überhaupt als Vormund haben?" Diese Frage sollte das Mädchen alleine beantworten, um unbeeinflusst seine Entscheidung zu treffen. Für Susanne Ahlers ist es die zweite Vormundschaft. Ihr erstes Mündel ist inzwischen 23, Kontakt haben sie immer noch. Sie wolle den jungen Menschen "Bildung und Perspektiven schaffen".
Genau das soll nun im großen Stil passieren, indem sich ehrenamtliche Organisationen teilweise professionalisieren und mit finanzieller Unterstützung des Staates besser vernetzen. Aus dem Familienministerium stehen dafür zunächst zehn Millionen Euro zur Verfügung. Für Hausherrin Manuela Schwesig ist das Geld sinnvoll angelegt, damit das Land "gut zusammenhält und nicht gespalten wird".
Von rund 59.000 unbegleiteten Kindern und Jugendlichen wissen die Behörden. So viele von ihnen wie möglich sollen so schnell und unbürokratisch wie möglich in Patenschaften und Gastfamilien vermittelt werden.
Sarah Rosenthal vom Verein "Start with a friend" hat bereits mehr als 1000 Namen auf einer Warteliste stehen - wohlgemerkt von interessierten Freiwilligen. Und was sie mindestens genauso freut: Aus ganz Deutschland gibt es Anfragen nach ihrem Projekt. In etwa 20 Städten könnten über kurz oder lang Vereine nach dem Berliner Vorbild entstehen. Das Familienministerium übernimmt eine Art Maklerrolle. Informationen gibt es natürlich auf der Website. Konkrete Unterstützung leistet ein Team von 20 Leuten, das unter einem sogenannten Wegweiser-Telefon von morgens um sieben bis nachmittags um 16 Uhr erreichbar ist.
Eine "große, aber schöne Herausforderung"
Zu den Ansprechpartnern für potenzielle Flüchtlingspaten gehört der Verein "Pflegekinder in Bremen". Geschäftsführerin Monika Krumbholz registriert mit Freude großes Interesse in der Bevölkerung. Anfragen kämen aus der Hansestadt, aber auch aus dem angrenzenden Niedersachsen. Momentan betreut ihre Einrichtung 700 Pflegekinder unter 18 Jahren. Darunter sind immer häufiger "Kinder im Exil", wie es Monika Krumbholz ausdrückt. Ihre Aufgabe sieht sie vor allem darin, die oft "falschen Vorstellungen" auf allen Seiten in Einlag zu bringen. Wichtig sei eine "intensive, gute Vorbereitung".
Im Alltag gehe es um Fragen nach dem Essen, aber auch der Religion. Staatliche Jugendhilfe sei mit der Situation überfordert, lautet ihr Fazit. Und das meint Monika Krumbholz keinesfalls als Vorwurf. Die Arbeit ihres Vereins sei eine Herausforderung - "eine große, aber auch schöne".
Das kann Corinna Daum aus eigener Erfahrung bestätigen. Als Gastmutter kümmert sie sich bereits zum dritten Mal um ein ursprünglich fremdes Kind. Ihre Töchter seien erwachsen, und "für Golf oder Bridge fühle ich mich noch zu jung". Wichtig seien Empathie und "Lust auf andere Kulturen". Bei ihr zu Hause gebe es zwei Uhrzeiten, erzählt die Bremerin: eine deutsche und eine afrikanische. Die eine steht für Pünktlichkeit, die andere für Gemütlichkeit - bei der komme es nicht auf die Minute an.
Flüchtling Ramy will anderen Flüchtlingen helfen
So schön die Erfahrungen sind oder sein können, Paten und Gasteltern müssen starke Nerven haben. Die meisten Kinder und Jugendlichen sind vor Krieg und Elend geflüchtet, viele sind traumatisiert. Aber sie sind auch "stark und bringen Ressourcen mit", hat Patenmutter Susanne Ahlers in Berlin erfahren.
Als Paradebeispiel ist an diesem Tag im Bundesfamilienministerium Ramy Syriani aus Damaskus anwesend. Der junge Mann hat in seiner syrischen Heimat Jura studiert. Mit dem Flugzeug ist er nach Deutschland gekommen. Und obwohl schon eine Tante hier lebte, fiel ihm der Anfang schwer. Bis er mit Hilfe von "Start with a friend" die Juristin Antonia kennenlernte. Seitdem treffen sie sich auf einen Kaffee oder ein Glas Wein.
"Wenn ich ein Problem habe, rufe ich sie an", sagt der 24-Jährige in flüssigem Deutsch. Seine guten Erfahrungen möchte der junge Mann nun gerne an andere weitergeben - Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern. Über diese Ankündigung Ramy Syrianis dürfte sich die deutsche Familienministerin besonders freuen. Sie klingt so, wie sich Manuela Schwesig ihr Programm idealerweise vorstellt: "Menschen stärken Menschen".