Flüchtlingselend in Ostafrika
20. Juli 2012Es waren Bilder ausgemergelter Kinder, verzweifelter Familienväter und resignierter Mütter, die vor einem Jahr um die Welt gingen: Auf der Flucht vor Krieg und Dürre hatten zehntausende Somalier ihr Land verlassen. Das ohnehin schon überlastete Flüchtlingslager Dadaab im Nordosten Kenias stand kurz vor dem Kollaps.
"Heute, ein Jahr danach, können wir davon sprechen, dass sich in einigen Teilen der Region die Lage gelindert hat. Es gab inzwischen Regenfälle, und es wurden auch wieder Ernten eingefahren", schildert Sabine Wilke von der Hilfsorganisation Care die Lage vor Ort. Das bestätigt auch die Vertreterin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Kenia, Stephanie Grutza. Gegenüber der DW betont sie jedoch, die Lage sei grundsätzlich weiterhin kritisch. "Der Konflikt in der Region hat sich in Teilen noch verstärkt, besonders in Somalia und durch die Auseinandersetzungen zwischen Sudan und Südsudan."
"Im letzten Jahr sind über 130.000 Menschen aus Somalia nach Dadaab gekommen", so Sabine Wilke von Care. Das habe die Flüchtlingslager an die Grenzen ihrer Kapazitäten gebracht. Arbeitslosigkeit und schlechte Ausbildung ließen das Camp zu einem Rekrutierungsfeld für Verbrecherbanden und Extremisten werden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von sieben internationalen Hilfsorganisationen, unter ihnen das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und Care, anlässlich des Jahrestages der Hungersnot am Horn von Afrika.
Mangel an Sicherheit und Ordnung
Drohungen, Diskriminierung und Misshandlungen seien für viele Menschen in dem Flüchtlingslager an der Tagesordnung. Frauen und Kinder riskierten sexuelle Übergriffe, wenn sie auf die Suche nach Feuerholz gingen. Die Gesundheitsposten sind den Angaben zufolge schlecht ausgestattet und drastisch überfüllt. Gerade einmal zwei Ambulanzen müssen 78.000 Menschen versorgen.
Auch die Hilfsorganisationen sind Opfer der katastrophalen Bedingungen, wie Care-Pressesprecherin Sabine Wilke berichtet: "Für Helfer bedeutet das, dass wir in Dadaab vermehrt mit Übergriffen und Entführungsfällen zu tun haben, aber auch mit kleineren Sprengsätzen." Im Juni hatten Bewaffnete vier internationale Helfer in Dadaab entführt. Inzwischen wurden sie befreit, andere Helfer werden noch immer in Somalia als Geiseln gehalten.
Das Geld wird knapp
Mit fast 500.000 Menschen ist Dadaab nicht nur das größte Flüchtlingslager der Welt, sondern längst auch am Rande seiner Kapazitäten. Hilfsorganisationen zufolgen fehlen rund 20 Millionen Euro, um in den kommenden Monaten dringend benötigte feste Zelte, Trinkwasser und Medikamente zu kaufen, sowie für den Bau von Schulen. Von den fast 170.000 Kindern in dem Lager geht nicht einmal jedes dritte zur Schule.
Dadaab im Nordosten Kenias liegt rund 100 Kilometer von der Grenze zu Somalia entfernt. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen unterhält hier seit Beginn der neunziger Jahre insgesamt drei Flüchtlingslager. Immer drängender stelle sich die Frage nach der Zukunft der Lager, so Sabine Wilke von Care: "Wir können nicht noch mal zwanzig Jahre Hilfe leisten. Dazu fehlt es an Geld und an menschlichen Ressourcen." Care habe deswegen damit begonnen, Flüchtlinge auszubilden und sie teilweise auch als Helfer in die Arbeit vor Ort einzubinden. "Das ist eine gute Möglichkeit, die Sicherheit zu garantieren und den Menschen ein eigenes Selbstwertgefühl zu geben, indem sie in ihrer eigenen Stadt ein wichtige Rolle spielen", erläutert die Care-Pressesprecherin das Konzept.
Rückkehr nach Somalia?
Eine Auflösung des Flüchtlingscamps ist auch aus Sicht von Stephanie Grutza nicht in Sicht. Das Problem sei die Lage in der gesamten Region, so die Vertreterin des DRK in Nairobi: "Die kenianische Regierung wird die Flüchtlinge nicht gewaltsam wieder zurückschicken, solange die Situation in ihren Heimatländern so ist wie sie im Moment ist. Das bezieht sich vor allem auf Somalia und den Sudan."
Drei mögliche Szenarien kämen aus der Sicht internationaler Hilfsorganisationen in Betracht, erläutert Sabine Wilke im Gespräch mit der Deutschen Welle. Eine Option für die Flüchtlinge sei ihre Aussiedlung in einem anderen Land. Bereits vor sechs Jahren waren über zehntausend Somalier nach Tansania umgesiedelt worden, wo sie Land erhielten und sich als Kleinbauern niederließen.
In Frage käme theoretisch auch die Integration in die kenianische Gesellschaft oder die Rückkehr in ein "befriedetes Somalia", so Wilke weiter. "Für diese letzte Vision, die am schönsten wäre für alle und die sich alle wünschen, sieht die Realität nicht so aus, als würde das innerhalb der nächsten Zeit passieren können", schränkt sie ein.