Forza Italia: Fans träumen vom EM-Coup
20. Juni 2016Wer Andrea Conti bei der Arbeit beobachtet, fragt sich, welche Beschreibung am besten passt: Koch, Kellner, Fan oder Entertainer. Conti verkörpert all das, in einer Person. Eben noch hantiert er hinter dem Tresen an der Espresso-Maschine, wenige Momente später steht er vor dem Fernseher und animiert die Gäste in seiner Bar zu Sprechchören. "Italia, Italia", schallt es bis nach draußen auf die Straße, wo Neugierige und zu spät gekommene Fans Richtung Eingang drängeln.
Conti ist ein Unikat, ein Turiner in Paris. Seit acht Jahren betreibt er das Bambolina Caffé im 9. Arrondisement im Zentrum der französischen Hauptstadt. Und wenn die Squadra Azzura spielt, wuselt er hinter dem Tresen und erinnert dabei an einen flinken Außenstürmer, wie er Italien noch im EM-Aufgebot fehlt. "Es ist viel zu tun. Ich renne und renne, bis zu zehn Kilometer kommen da zusammen. Zwei Kilo habe ich schon abgenommen", behauptet Conti.
"Italien zu besiegen ist schwer"
Von Nationaltrainer Antonio Conte hält er nicht viel, aber bei dieser EM sind die Spiele bislang ein voller Erfolg. "Es ist unglaublich schwer für alle Gegner, Italien zu besiegen." Conti hat Recht. Zuletzt gelang das Deutschland beim 4:1-Sieg im Testspiel im März vor der Europameisterschaft. Selten hatte man eine solch indisponierte italienische Mannschaft gesehen. Nicht wenige hatten den Vize-Europameister vor dem Turnier in Frankreich deshalb schon abgeschrieben. Wenn es um den Favoritenkreis ging, war auffällig selten von Italien die Rede.
Dieselbe Mannschaft hat nun alle überrascht und steht souverän an der Spitze der mit Belgien, Irland und Schweden wohl schwierigsten EM-Vorrundengruppe E. Zwei Spiele, zwei Siege. Null Gegentore, natürlich. Italien zählt zu den ältesten Teams bei dieser EM, der Altersdurchschnitt liegt knapp über 30, im heutigen Fußball fast schon unerhört hoch. Doch Italien liefert den Beweis, dass Erfahrung und Cleverness das Fehlen von Stars und jugendlicher Frische kompensieren können. Der Abwehrverbund um die Juventus-Achse Gianluigi Buffon im Tor und Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini in der Dreierkette verrichtet höchstprofessionell seine Arbeit, eingespielt und kaum zu überwinden.
Theatralik ist immer mit dabei
Das sorgt auch in Contis Bambolina Caffé für gute Stimmung. Italienische Freundinnen, Geschäftsmänner, Familien - sie alle leiden mit, im zweiten Vorrundenspiel gegen Schweden. Sie flehen, fluchen, beleidigen den Schiedsrichter. Ein bisschen Theatralik ist immer mit dabei an diesem kleinen Flecken Heimat im Herzen von Paris. Gastgeber Conti bekommt nur wenig vom Spiel mit. Er begrüßt und umarmt neue Zuschauer, scherzt, schenkt Bier aus, trinkt selbst ein paar Kurze, zwischendurch schaut er immer wieder auf den Fernseher. "Ich liebe diesen Sport. Fußball ist meine Religion", sagt er. Und als Italien in den Schlussminuten das 1:0 erzielt, fällt er seinem Kumpel um den Hals. Die Bar tobt.
Stolz und Selbstbewusstsein schwingen mit, als die Gäste nach dem Sieg ins Reden kommen. Die meisten sind sich sicher: "Italien ist jetzt der große Favorit, diesmal packen wir es." Ein Gemisch aus Italienisch und Französisch schwirrt durchs Caffé Bambolina. Andrea Conti hat längst seine Kilometerzahl abgespult, träge und erschöpft, eine Sache aber will er noch zeigen. Er greift hinter den Tresen und holt sein Ticket vom WM-Finale 2006 hervor. "Ich war dabei in Berlin", erzählt er. "Was für ein großartige Nacht, ein verdienter Sieg."
Auch damals hatten nur die wenigsten Italien auf dem Zettel. Die Squadra Azzura ging angeschlagen ins Turnier, gebeutelt vom Wettskandal im eigenen Land. Auch damals war die Defensive der Schlüssel zum Erfolg. Im Jahr darauf hat Conti seine Bar in Paris eröffnet. Seitdem hofft er auf den großen Triumph. Es wird Zeit.