Frauenfußball vor leeren Tribünen
22. März 201960.000 Zuschauer beim Spiel der spanischen Fußball-Topklubs Atletico Madrid gegen FC Barcelona - das war auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Bis dann aber die Vornamen der Akteure auf dem Spielfeld laut verlesen wurden: Vicky, Silvia, Carmen, Marta…? Die Partie am vergangenen Sonntag war das am besten besuchte Frauenfußballspiel aller Zeiten in Europa.
In dieser Woche verkündete die britische Investmentbank Barclays, dass sie als Sponsor der englischen Frauenliga, der Women's Super League (WSL), einsteigen werde: mit 10 Millionen Pfund (11,5 Millionen Euro) für die nächsten drei Jahre. In diesem Sommer wird Frankreich eine Frauen-Weltmeisterschaft ausrichten, von der ebenfalls neue Zuschauer-Rekordzahlen erwartet werden.
Das Interesse am Frauenfußball scheint noch nie so groß gewesen zu sein wie heute, Barrieren fallen. Doch wie ist dann zu erklären, dass die Zuschauerzahlen bei Frauenspielen in Deutschland und auch in den meisten anderen Staaten Europas insgesamt sinken?
"Realität sieht ganz anders aus"
"Mehr als 60.000 Zuschauer bei einem Frauenspiel in Spanien sind eindeutig ein positiver Schritt, aber das war nur ein Einzelfall", sagt Stephan Schmidt, Sprecher von Turbine Potsdam, einem der erfolgreichsten Vereine im deutschen Frauenfußball, gegenüber der DW. "Die tägliche Realität sieht ganz anders aus. Tatsächlich sehen wir einen dramatischen Rückgang der Zahl der Fans, die sich die Spiele ansehen." Dabei ist Turbine der Verein, der in der vergangenen Saison hinter Meister VfL Wolfsburg mit knapp 1400 Zuschauern pro Spiel den zweitbesten Schnitt der Liga hatte. Insgesamt erzielten nur vier von zwölf Bundesligisten vierstellige Durchschnittszahlen.
Schmidt glaubt auch nicht daran, dass die anstehende WM in Frankreich die Besucherzahlen bei Ligaspielen in Deutschland langfristig beeinflussen wird, unabhängig davon, wie gut die DFB-Frauen abschneiden. "Vor fünf Jahren haben wir bei Heimspielen noch mit jeweils rund 2000 Zuschauern kalkuliert. In dieser Saison ist die Zahl auf etwa 1.500 pro Spiel gesunken", sagt Schmidt. "Wenn Deutschland bei der Frauen-Weltmeisterschaft weit vorne landet, werden die Zahlen möglicherweise steigen. Aber ein kurzfristiger Schub hilft niemandem wirklich. Der Trend muss über einen längeren Zeitraum anhalten, um der Liga zu helfen."
Meister Wolfsburg: Nur 1300 Zuschauer im Schnitt
Selbst dem Frauenteam des VfL Wolfsburg - deutscher Meister und Pokalsieger der vergangenen Saison, Champions-League-Gewinner 2013 und 2014 - laufen die Zuschauer in Scharen davon. Vor fünf Jahren lockten die "Wölfinnen" im Schnitt noch rund 2400 Zuschauer pro Ligaspiel ins Stadion. Aktuell liegt die Zahl bei etwa 1300, das entspricht einem Rückgang von mehr als 40 Prozent.
Lediglich das Frauen-Team des FC Bayern, im vergangenen Jahr Vizemeister, hat seinen Zuschauerschnitt in den vergangenen fünf Jahren relativ konstant halten können. "Die Bayern profitieren von der großen Beliebtheit ihrer Herrenmannschaft", sagte Turbine-Potsdam-Sprecher Schmidt. "Wenn die Fans aus irgendeinem Grund nicht bei einem Spiel der Bayern-Männer dabei sein können, sehen sie sich eben eine Partie der Frauen an."
Dramatischer Zuschauerschwund selbst bei Europas Topteam
Auch in anderen Staaten Europas lässt sich der Trend sinkender Zuschauerzahlen bei den Liga-Spielen beobachten. In Frankreich stürzte bei Olympique Lyon, zuletzt dreimal Champions-League-Sieger in Serie und damit aktuell die beste Frauenmannschaft Europas, die Zuschauerzahl in den vergangenen fünf Jahren von im Schnitt mehr als 4500 pro Spiel auf weniger als 1000 in dieser Saison. HSC Montpellier büßte fast 50 Prozent der Besucher ein, EA Guingamp etwa 35 Prozent. Einzig Paris St. Germain verbucht Zuwächse.
In Italien gehen die Zuschauerzahlen an den Spieltagen ebenfalls zurück, auch in Spanien, wo das Duell zwischen Atletico und Barcelona am vergangenen Wochenende wie ein einmaliger extremer Ausreißer nach oben wirkt.
England gegen den Trend
Die englische WSL ist eine der wenigen großen europäischen Frauen-Ligen, deren Zuschauerzahlen steigen, wenn auch auf bescheidenem Niveau. Die Frauen des FC Chelsea, der aktuelle Meister, für den auch die deutsche Torfrau Ann-Kathrin Berger spielt, verzeichneten in den letzten fünf Jahren einen Anstieg von rund 500 Besuchern pro Spiel auf knapp 2000. Manchester City steigerte sich um knapp 40 Prozent auf im Schnitt über 1600 Zuschauer.
"Der Frauenfußball macht in diesem Land wirklich Fortschritte", sagt Daniel Ferguson, Marketing-Manager der WSL, der DW. "Immer mehr Spiele werden im Fernsehen gezeigt, und wir verzeichnen große Investitionen, sowohl von Sponsoren als auch von den Männer-Klubs."
Ferguson ist weniger pessimistisch, was die Auswirkungen der Weltmeisterschaft in diesem Sommer auf die Besucherzahlen betrifft. "Wir hoffen, dass dieses Turnier den Frauenfußball in den Mainstream bringt", sagte der WSL-Funktionär. "Wir registrierten unmittelbar nach der WM 2015 einen Anstieg der Besucherzahlen um 33 Prozent. Wenn England in diesem Sommer weit kommt, könnte der Effekt in diesem Jahr noch größer werden.Wir wollen auf diesem Erfolg aufbauen und die nächste Generation von Mädchen inspirieren, für die Euro 2021, die auf heimischem Boden gespielt wird."