"Freedom of Speech Award" für Kremlgegnerin Julia Nawalnaja
5. Juni 2024"Mit der Tötung von Alexej hat Putin die Hälfte von mir, die Hälfte meines Herzens und die Hälfte meiner Seele getötet", sagte Julia Nawalnaja, kurz nachdem sie die Nachricht vom Tod ihres Mannes, des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny erhalten hatte. Die verbleibende Hälfte sei nun voller "Wut, Zorn und Hass". Diese, kündigte Nawalnaja an, werde sie nutzen, um das Werk ihres Mannes und seiner Antikorruptionsstiftung zu verwirklichen: den Aufbau eines Russlands "voller Würde, Gerechtigkeit und Liebe".
Nun sind Julia Nawalnaja und die "Stiftung gegen Korruption" in Berlin mit dem "Freedom of Speech Award 2024", dem diesjährigen Preis für Presse- und Meinungsfreiheit der Deutschen Welle, ausgezeichnet worden. "Die Anti-Korruptions-Stiftung und Julia Nawalnaja haben es sich zur Aufgabe gemacht, Licht in die Dunkelheit des korrupten und mörderischen Systems der russischen Regierung zu bringen", begründete DW-Intendant Peter Limbourg die Entscheidung bei der Preisverleihung. "Ich danke Ihnen für Ihre wichtige Arbeit."
Dank für millionenfache Unterstützung
In ihrer Dankesrede sagte Nawalnaja: "Diktatoren betrachten die Redefreiheit als Schwäche. Sie betrachten es als Freiheit, Fehlinformationen zu verbreiten und zu lügen." Der russische Staatspräsident Wladimir Putin werde es immer leicht haben, angebliche Experten zu finden, die gegen Geld für ihn lügen würden. Alexej Nawalny und seine Stiftung hätten dagegen durch ihren Kampf gezeigt, wie selbst allmächtige Diktatoren im Angesicht der Wahrheit zitterten, sagte Nawalnaja und versprach: "Wir werden diesen Kampf fortsetzen. Wir glauben, dass die Meinungsfreiheit über das Gift der Propaganda siegen wird."
Stiftungsdirektor Iwan Schdanow gab in seiner Rede Einblicke in die Arbeit der Organisation und schilderte seine Bewunderung für ihren Gründer Nawalny: "Alexej ist der mutigste Mann, die intelligenteste Führungspersönlichkeit und der herausragendste Politiker, den ich je gekannt habe." Der Preis für seine Stiftung aber sei auch eine Auszeichnung "für die Millionen von Menschen, die Alexej Nawalny und die Stiftung gegen Korruption unterstützt haben".
Lindner: "Uns allen den Mut zurück gegeben"
In seiner Laudatio auf die Preisträger betonte Bundesfinanzminister Christian Lindner, dass man Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht als Selbstverständlichkeit ansehen könne. Nawalnys Fall zeige, dass man in Russland sein Leben riskiere, wenn man für diese Grundwerte kämpfe. Julia Nawalnaja zollte er Respekt dafür, dass ausgerechnet sie es nach dem Tod ihres Ehemannes gewesen sei, die "uns den Mut zurückgegeben hat. Sie erinnerte uns mit Nachdruck daran, dass es unser aller Aufgabe ist, für Freiheit und Gerechtigkeit in Russland zu kämpfen."
Genau dies hätten Nawalny, Nawalnaja und ihre Mitstreiter auch getan, so Lindner: "Die 'Stiftung gegen Korruption' hat allen Beschränkungen getrotzt und ist zu einem starken Symbol für den unerbittlichen Kampf gegen die Korruption in Russland geworden." Gleichzeitig warnte der Minister vor pauschalen Urteilen über das Heimatland der Preisträger: "Wie Alexej sind wir nach wie vor davon überzeugt, dass Russland eine Chance hat und dass Demokratie sich auf lange Zeit durchsetzen wird."
Mit Enthüllungen gegen Autoritarismus
Alexej Nawalny hatte die Antikorruptionsstiftung 2011 gegründet. 2021 wurde sie von den russischen Behörden verboten. Ein Jahr später gründete das Team sie als internationale Organisation neu, um den Kampf für Transparenz und gegen Korruption in Russland weiterzuführen.
Ihre Enthüllungen über Machenschaften in der russischen Regierung erreichen Menschen auf der ganzen Welt. Die Organisation teilt die Ergebnisse ihrer Arbeit öffentlich auf Nawalnys Youtube-Kanal, wo sie eine Liste von mutmaßlichen "Bestechern und Kriegstreibern" führt. Auch mit Video-Dokumentationen hat die Stiftung ihre Recherchen über finanzielle Machenschaften der russischen Machtelite dokumentiert. Der von der Stiftung produzierte und von Alexej Nawalny moderierte Film "Ein Palast für Putin" wurde mehr als 130 Millionen Mal abgerufen.
Im Gespräch mit der DW nach der Preisverleihung erklärte Julia Nawalnaja, wie wichtig für sie das Team der Stiftung ist. "Das Team, das Alexej aufgebaut hat, unterstützt mich sehr in meiner Arbeit." Mit vielen aus dem Team hätten Alexej Nawalny und sie mehr als zehn Jahre zusammengearbeitet. "Sie waren bei mir in so schweren Momenten meines Lebens, sodass sie mittlerweile nicht nur Kollegen sind, sondern Freunde." Julia Nawalnaja arbeitet außerdem mit internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammen, um politische Gefangene zu schützen.
Heftige Vorwürfe nach Nawalnys Tod
Nawalny starb im Februar 2024 in einem russischen Gefangenenlager unter ungeklärten Umständen. Sowohl westliche Regierungen als auch internationale Organisationen erhoben damals Vorwürfe gegen die russischen Behörden. Seine Angehörigen und Unterstützer sprechen von Mord - auch, weil Nawalny erst wenige Jahre zuvor im Sommer 2020 einen Nervengiftanschlag nur knapp überlebt hatte und dadurch gesundheitlich geschwächt war. Finanzminister Lindner wiederholte in seiner Laudatio, was er bereits kurz nach Nawalnys Tod gesagt hatte: dass Putin seinen Kritiker habe umbringen lassen.
Einige sehen Nawalnaja als neues Gesicht der russischen Opposition, dabei wollte sie ursprünglich nicht in die Politik. 1976 geboren, studierte Nawalnaja Ökonomie in Moskau. Ihren Mann lernte sie 1998 während eines Türkei-Urlaubs kennen, 2000 heirateten sie und bekamen später zwei Kinder. Die politische Bühne betrat Julia Nawalnaja erstmals 2013 im Wahlkampf ihres Mannes um das Bürgermeisteramt von Moskau. Nawalny erreichte Platz zwei hinter Wahlsieger Sergej Sobjanin - und Julia Nawalnaja wurde zur "First Lady" des neuen russischen Oppositionsführers.
Nach dem Giftanschlag auf ihren Mann im August 2020 setzte sie sich vehement für eine Behandlung an der Berliner Klinik Charité ein. Der Arzt Aleksandr Polupan sagte der DW, dass ihre Beharrlichkeit maßgeblich dazu beitrug, dass Nawalny nach Deutschlandtransportiert wurde und der Fall große öffentliche Aufmerksamkeit erhielt.