Fremdenfeindlichkeit in Griechenland
27. April 2013"In den vergangenen Jahren hat sich zwar die Zahl rassistisch motivierter Gewalthandlungen nicht wesentlich erhöht, wirklich beunruhigend ist jedoch ihre steigende Intensität", mahnt Kostis Papaioannou, Vorsitzender der Griechischen Kommission für Menschen- und Bürgerrechte. Und er fügt hinzu: Immer häufiger komme es vor, dass die Täter Waffen zum Einsatz bringen, den Opfern absichtlich schwere Verletzungen zufügen wollen oder sogar ihren Tod billigend in Kauf nehmen.
Die Kommission ist Mitglied im griechischen Antirassismus-Netzwerk, das am Mittwoch (24.04.2013) seinen Jahresbericht veröffentlicht hat. Darin sind 154 rassistisch motivierte Gewalttaten im Jahr 2012 dokumentiert. Die tatsächliche Zahl der Vorfälle dürfte noch sehr viel höher liegen, da das Netzwerk in seine Statistik nur Gewalttaten aufnimmt, die von den Opfern selbst angezeigt werden. Die Gewaltdelikte richten sich vorwiegend gegen Migranten und Flüchtlinge aus Pakistan, Afghanistan und dem Irak; unter den Opfern befinden sich auch zwei EU-Ausländer, sowie ein griechischer Staatsbürger.
"Struktureller Rassismus"
Insgesamt 30 Gruppen und Organisationen engagieren sich im Netzwerk - von Amnesty International über die Kommission für Menschen- und Bürgerrechte bis hin zur Vereinigung der HIV-Infizierten. Seit 2011 wird ein gemeinsamer Jahresbericht zu rassistischer Gewalttaten veröffentlicht, da die offiziellen Statistiken der griechischen Behörden als unzuverlässig gelten.
Papaioannou spricht von "strukturellem Rassismus" im Land. Das bedeutet, dass rassistisch motivierte Gewalt sich zunehmend auch in Staatsstrukturen widerspiegelt, glaubt der Historiker und Publizist: Polizei- und Justizbehörden zeigten sich häufig zu schwach und gelegentlich sogar unwillig, die Täter zu verfolgen. Übergriffe gegen Ausländer habe es auch schon früher gegeben, doch die zunehmende Wirtschaftskrise der letzten Jahre verschärfte das Problem, erläutert der 47-Jährige.
Gezwungen zur Obdachlosigkeit
Durch die Krise sei rassistisch motivierte Gewalt intensiver und auch sichtbarer geworden. Viel schlimmer sei aber, dass sich krisenbedingt in der Bevölkerung ein Gefühl der Angst, Unsicherheit und Überforderung verbreite. Dadurch würde die Schwelle zur Gewalt im Alltag sinken, warnt der Athener Menschenrechtsaktivist. "Das geht manchmal so weit, dass der eine oder andere droht, die rechten Schläger zu holen, wenn er sich im Unrecht fühlt gegenüber seinem Nachbarn oder seinem Mieter. So etwas muss verboten werden", empört sich Papaioannou. "Wer solche Drohungen ausspricht, der muss mit juristischen Konsequenzen rechnen."
Reza Golami, Vorsitzender des "Vereins Vereinter Afghanen" in Athen, klagt über zunehmende ausländerfeindliche Übergriffe und auch darüber, dass das griechische Asylrecht im Jahr 2010 deutlich verschärft wurde. Dadurch hätten seine Landsleute mittlerweile kaum noch Möglichkeiten, legal Asyl in Griechenland zu beantragen, bedauert Golami, der selbst als Asylbewerber in Athen lebt. Vielen Afghanen, die neu ins Land kommen und am Rande, wenn nicht sogar unterhalb des Existenzminimums leben, bliebe heute nichts anderes übrig, als im Freien zu übernachten. Dadurch seien diese Menschen rassistischen Angriffen besonders stark ausgesetzt.
Hohe Dunkelziffer
In letzter Zeit käme es fast täglich zu Übergriffen, berichtet Golami. Vor zwei Monaten seien am zentral gelegenen Attikis-Platz drei Familien in nur einer Nacht angegriffen und geschlagen worden. Mittlerweile hätten viele Flüchtlinge aus Afghanistan Angst, aus dem Haus zu gehen. "Das erste, was Landsleute von uns zu hören bekommen, ist, dass sie aufpassen und bestimmte Stadtteile nach Sonnenuntergang meiden müssen", sagt der Mann aus Afghanistan.
Flüchtlingsorganisationen weisen darauf hin, dass viele Vorfälle rassistischer Gewalt überhaupt nicht gemeldet würden, weder bei den zuständigen Behörden noch bei staatlichen Krankenhäusern. Der Grund: Die allermeisten Opfer leben ohne gültige Papiere in Griechenland und müssten mit Abschiebehaft rechnen, falls sie die Polizei einschalten.
Untätige Justiz
Menschenrechtsaktivisten fordern eine Aufenthaltserlaubnis für Opfer rassistischer Gewalt und kritisieren die derzeitige Polizeipraxis, die aus ihrer Sicht Opfer wie Täter behandelt. Naim Elghandour, Vorsitzender der "Muslim Association of Greece", geht in seiner Kritik an den zuständigen Behörden sogar noch einen Schritt weiter: Rassistische Vorfälle würden in vielen Fällen quasi vertuscht, glaubt der 44-Jährige aus Ägypten, der die griechische Staatsangehörigkeit besitzt.
Bei so vielen Übergriffen würde bisher noch niemand verurteilt, empört sich Elghandour und nennt gleich zwei Beispiele: Vor sechs Monaten sei ein ägyptischer Bäckereiangestellter im Ort Salamis von drei Männern stundenlang misshandelt worden. "Im vergangenen Sommer wurden ägyptische Einwanderer in Piräus von Unbekannten angegriffen. Dabei erlitt ein Mann schwere Verletzungen, wird heute noch künstlich ernährt und wurde im Übrigen des Krankenhauses verwiesen, weil er keine Krankenversicherung hat. In beiden Fällen kamen die Täter bisher ungestraft davon."