Friede sei mit Dir, Kolumbien
16. Juni 2015"Wenn wir es schaffen, uns nicht mehr gegenseitig umzubringen, hat sich meine politische Mission gelohnt", erklärte Präsident Santos bei einem Friedensgipfel in Oslo am Dienstag (16. Juni 2015). "Wenn nicht, steige ich zumindest mit Frieden im Herzen ins Grab, denn ich habe mich für die richtige Sache eingesetzt."
Seit November 2012 verhandeln die kolumbianische Regierung und die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) über ein Ende des bereits 60 Jahre andauernden Bürgerkrieges. Die Gespräche finden unter der Schirmherrschaft Norwegens und Kubas in Havanna statt und werden von den lateinamerikanischen Nachbarländern Venezuela und Chile begleitet.
Vor dem Besuch in Norwegen versicherte sich Santos der Rückendeckung lateinamerikanischer Staatschefs, die am 10. Juni zum Gipfeltreffen mit der EU in Brüssel zusammenkamen. Fünf Tage danach empfing ihn Papst Franziskus in einer Privataudienz im Vatikan und versicherte ihm seine Bereitschaft, "alles zu tun, was notwendig sei, um den ältesten Konflikt Lateinamerikas zu beenden".
Stoßgebete aus dem Vatikan
"Du bist die Person, für die ich in jüngster Zeit am meisten gebetet habe", ließ ihn der Pontifex wissen. Kolumbien sei ein Land, in dem man Vergebung lernen könne, denn erstmals stünden dort bei den Friedensverhandlungen die Opfer des Bürgerkriegs und ihre Rechte im Zentrum.
Kolumbiens Präsident Santos hat die internationale und geistig-moralische Unterstützung dringend nötig. Denn während außerhalb Kolumbiens die Fortschritte bei den Friedensverhandlungen gefeiert werden, ist die Stimmung im Land selbst angespannt.
Nach in der Presse veröffentlichten Meinungsumfragen glauben fast 70 Prozent der Kolumbianer, dass die aktuellen Verhandlungen nicht zu einem Friedensabkommen führen werden. Dennoch sprachen sich nur 27 Prozent der Befragten dafür aus, die Verhandlungen abzubrechen und den Konflikt militärisch zu lösen.
Für den politischen Beobachter Hubert Gehring, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bogotá, sind dies Zeichen der allgemeinen "Ermüdung und Zermürbung". "Wenn die Kolumbianer nicht bald greifbare Resultate sehen, wird die Legitimation des Prozesses weiter abnehmen", warnt er. Die FARC wisse um den starken Erfolgsdruck von Santos und ginge deshalb mit ihren Forderungen bis an die Grenze.
Die Waffen ruhen nicht
Die Verhandlungen in Havanna werden immer wieder von Gewalt und Terror überschattet. Anfang Juni erschossen die FARC-Rebellen fünf Polizisten. Zugleich verrichteten sie in der Nähe der Küstenstadt Buenaventura Anschläge auf elektrische Einrichtungen und sprengten Strommasten. Resultat: Mehr als 400.000 Menschen waren tagelang ohne Strom.
Dabei hatte die FARC im Dezember 2014 eine einseitige Waffenruhe erklärt. Doch im April dieses Jahres töteten Rebellen aus einem Hinterhalt heraus elf Soldaten. Präsident Santos ordnete daraufhin eine Wiederaufnahme der Luftangriffe auf die Rebellen an. Dies führte zum Tod von 40 Rebellen im Mai, woraufhin die FARC ihren Waffenstillstand aufkündigte.
Trotz der Gefechte und gegenseitigen Schuldzuweisungen laufen die Gespräche in Havanna weiter. Am 5. Juni einigten sich beide Parteien auf die Gründung einer sogenannten Wahrheitskommission. Die Kommission soll die Gräueltaten des Bürgerkrieges aufarbeiten, einen Ausgleich zwischen Opfern und Tätern ermöglichen und Versöhnung anbahnen.
Bisher sind drei Punkte der Friedensverhandlungen abgearbeitet. Konsens besteht über die Umsetzung einer Agrarreform, die politische Repräsentation der FARC sowie deren Rückzug aus dem Anbau illegaler Drogen. An diesem Mittwoch (17.6.2015) soll der Dialog in Havanna in seine letzte und entscheidende Runde gehen.
Die Feindbilder bleiben
Die beiden letzten Punkte auf der Agenda sind miteinander verknüpft. Dazu gehört der Umgang mit den Opfern, die juristische Aufarbeitung der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen sowie die Demobilisierung und Reintegration der ehemaligen FARC-Kämpfer in die Gesellschaft.
"Soweit sind wir bei Verhandlungen mit der FARC noch nie gekommen", erklärte Präsident Santos beim Gipfel in Oslo. Kolumbien sei dabei, einen Präzedenzfall zu schaffen. Denn normalerweise würden Fragen der Gerechtigkeit erst nach einem Friedensvertrag behandelt. "Wir machen beides gleichzeitig", so Santos.
Auch die FARC-Rebellen geben sich verbal versöhnlich. Der Oberkommandierende Timoleón Jiménez ließ auf einer Internet-Plattform verbreiten, dass "die aufständische Bewegung den Frieden will" und der Glaube an eine endgültige Einigung mit der aktuellen Regierung unveränderbar existiere. Jiménez: "Es ist eine Herkulesaufgabe, zwei diametral verschiedene Ansichten zum Frieden zu vereinen."