Friedenspreis für Adonis weiter umstritten
18. Februar 2016In der Kontroverse geht es vor allem um das politische Denken von Adonis, weniger um seine Poesie. Denn die ist unumstritten: Ali Ahmad Said Esber, wie er mit eigentlichem Namen heißt, gilt als der bedeutendste lebende Dichter arabischer Sprache. Seit 30 Jahren lebt er im Pariser Exil. Immer wieder wird der 86-Jährige als Anwärter auf den Nobelpreis gehandelt, 2011 erhielt er den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt. Adonis hat zahlreiche Gedichtsammlungen herausgebracht, darunter "Einführung in die arabische Poesie", "Anthologie arabischer Poesie von den Ursprüngen bis heute" oder "Blätter im Wind". Auf Deutsch erschien unter anderem "Der Baum des Orients" (1989), "Leichenfeier für New York" (1995), "Gebet und Schwert" (1995). Seit wenigen Wochen liegt sein französischsprachiger Gesprächsband "Violoence et Islam" ("Gewalt und Islam") in den Buchhandlungen.
Die Kritik an Adonis will nicht abebben. Schon im vergangenen Jahr, als bekannt wurde, dass er den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis erhalten würde, meldeten sich arabische Intellektuelle zu Wort. Ihr Vorwurf: Adonis diskreditiere den"Arabischen Frühling" und damit die Widerstandsbewegungen im Nahen Osten. Vor allem aber ergreife er nicht ausreichend Partei gegen Machthaber Assad, der verantwortlich sei für das Massenmorden in Syrien. Der Publizist Navid Kermani, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, lehnte es ab, die Laudatio zu halten. Adonis deutscher Übersetzer Stefan Weidner erklärte die Entscheidung der Jury für falsch. Die Preisverleihung musste um drei Monate verschoben werden.
Osnabrücker Jury rechtfertigte sich
Die Stadt Osnabrück, die den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis seit 1991 alle zwei Jahre vergibt, sah sich genötigt, die Auszeichnung für Adonis zu rechtfertigen: Man habe beabsichtigt, "intensiv über die Problematik in Syrien ins Gespräch zu kommen, über Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren, die Frage nach der Verantwortlichkeit und Einflüssen anderer Staaten zu stellen", heißt es auf der städtischen Website. Und Oberbürgermeister Wolfgang Griesert – neben Rita Süssmuth und Heribert Prantl Mitglied der Jury - würdigte "Adonis' Eintreten für eine Trennung von Religion und Staat sowie die Gleichberechtigung der Frauen in der arabischen Welt", mithin sein "Engagement für eine aufgeklärte arabische Gesellschaft". Bisherige Preisträger in Osnabrück waren unter anderen Lew Kopelew (1991), Swetlana Alexijiwitsch (2001) und zuletzt Avi Primor und Abdallah Frangi (gleichrangig 2013).
Plattform für den Disput über den Preis für Adonis wurden die Feuilletons. So sah etwa Sonja Zekri in der "Süddeutsche Zeitung" Adonis "im Dilemma eines arabischen Intellektuellen, der sich hoffnungsfroh mal dieser, mal jener politischen Bewegung angeschlossen hat, stets mit guten Absichten. Aber immer musste er erleben, wie eine Hoffnung auf Freiheit und Selbstbestimmung nach der anderen verflog und die Revolutionäre von gestern zu den Unterdrückern von morgen wurden. "Der Nahe Osten lasse seinen Intellektuellen "nur die Wahl zwischen Opportunismus und Dissidententum".
Der Angegriffene wehrt sich
Zwar hält die Kontroverse um Adonis' politische Haltung an. Doch anders als vor vier Monaten setzt sich der Angegriffene inzwischen zur Wehr – und zwar wortgewaltig. Er sehe "keinen vernünftigen Grund", auf die Ehrung zu verzichten, sagte er dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Die Polemik um die Preisverleihung stütze sich auf Lügen. "Ich habe den Eindruck, dass meine Kritiker nicht lesen, was ich schreibe und nicht hören, was ich sage!" Der Konflikt in Syrien – laut Adonis ein Stellvertreterkrieg von Söldnern um die strategische und ökonomische Kontrolle des Nahen Ostens - habe nichts mehr mit der Befreiung der Völker zu tun.
"Ich kann nicht Partei ergreifen", so Adonis, "denn ich stehe mit beiden Seiten in Konflikt!" Seit Jahrzehnten befinde er sich im Widerstand gegen das Regime in Damaskus. Gerade deshalb könne er sich nicht einer Opposition anschließen, in der er nur dessen Kehrseite erkenne. "Nach fünf Jahren steht der Arabische Frühling vor dem absoluten Scheitern", bilanziert der Schriftsteller, "ein Frühling ohne Schwalben!" Religiöse Kräfte hätten sich an die Spitze der revolutionären Bewegung gesetzt, die Revolution sei zu einem schmutzigen Krieg verkommen. "Eine demokratische Revolution kann in der arabischen Welt nur gelingen, wenn Religion und Politik getrennt werden."
Für Trennung von Religion und Politik
Feierten viele Intellektuelle die arabischen Aufstände 2011 überschwänglich als Aufbruch in die Demokratie, so blieb Adonis skeptisch. Er könne keine Revolution unterstützen, die in einer Moschee beginnt oder endet, erklärte er. Religion als führende Institution bedeute Tyrannei, sagte der Lyriker, der 1930 in Nordsyrien bei Latakia zur Welt kam.
In seinem künstlerischen Schaffen spiegelt sich auch Adonis' Lebensweg: Als Ali Ahmad Said, wie er damals noch hieß, erlebte er den Prozess der Unabhängigkeit seines Landes. Er organisierte Demonstrationen gegen die in Syrien stationierten französischen Streitkräfte. Wegen politischer Aktivitäten verbrachte er elf Monate im Gefängnis. Im Jahr 1956 ging er ins liberalere Beirut und arbeitete als Lehrer, Journalist und Literaturkritiker. Anfang der 1960er Jahre gelang ihm der literarische Durchbruch. Sein Gedichtband "Die Gesänge Mihâyrs des Damaszeners" brachten ihm den Beinamen "arabischer Nietzsche" ein. In seiner Schrift "Plädoyer für eine Utopie" schreibt er: "Wenn es wahr ist, dass der Mensch in dem Maße Mensch ist, in dem er politisch handelt, in dem er sich frei betätigen kann, so müssen wir eingestehen, dass es diesen Menschen in der arabischen Gesellschaft nicht gibt."