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Führungloses Belgien

3. Dezember 2007

In Belgien spitzt sich die politische Krise dramatisch zu: Sechs Monate nach der Parlamentswahl gibt der designierte Ministerpräsident Leterme seine Suche nach Koalitionspartnern auf.

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Der designierte belgische Yves Leterme, Foto: AP
Yves Leterme gibt aufBild: AP
Belgisches Parlamentsgebäude, Foto: dpa
Leterme allein zu Haus - Wer regiert mit dem Wahlsieger?Bild: picture-alliance/ dpa

"Ich habe mein Möglichstes getan", sagte Yves Leterme, als er am Wochenende den Bettel hinwarf. Fast sechs Monate lang hat der belgische Christdemokrat mit nur wenigen Unterbrechungen an der Bildung einer neuen Regierung gearbeitet, "Tag und Nacht", wie er in seinen wenigen öffentlichen Einlassungen wiederholt bekundete. Erst 174 Tage nach der Parlamentswahl gab er nun auf - mangelnde Beharrlichkeit muss sich der 47-Jährige also nicht vorwerfen lassen. Die Einheit des zweisprachigen Staats Belgien wird damit jedoch auf eine harte Probe gestellt: Leterme scheiterte in erster Linie an Meinungsverschiedenheiten zwischen den Politikern aus dem französischsprachigen Wallonien und aus dem niederländischsprachigen Flandern.

Zwar ging der Christdemokrat aus der Parlamentswahl am 10. Juni als strahlender Sieger hervor. Aber während der ehemalige Ministerpräsident Flanderns in der niederländischsprachigen Nordhälfte Belgiens begeistert gefeiert wurde, sahen die französischsprachigen Belgier das in ein Meer aus flämischen Flaggen gehüllte Schauspiel mit Unbehagen.

Undiplomatische Fehltritte

Leterme hatte sich in Wallonien, dem frankophonen Süden Belgiens, bis zur Wahl vor allem bekannt gemacht durch ein umstrittenes Interview mit der französischen Zeitung "Libération". Dort hatte er 2006 erklärt, die frankophonen Belgier seien "intellektuell offenbar nicht im Stande, Niederländisch zu lernen". Natürlich wollte Leterme, dessen eigener Vater Wallone ist, seinen frankophonen Landsleuten nicht ernsthaft Dummheit unterstellen. Vielmehr machte er auf recht undiplomatische Weise dem unter Flamen verbreiteten Ärger darüber Luft, dass selbst in Flandern lebende Wallonen oft kaum Flämisch sprechen.

Die Empörung in Wallonien jedenfalls war groß. Und Leterme tat auch nach seinem Wahlsieg wenig dafür, sein Image im Süden des Landes zu verbessern: Von einem Fernsehjournalisten nach dem Text der französischsprachigen Version der belgischen Nationalhymne befragt, stimmte er die "Marseillaise" an - die Nationalhymne Frankreichs also. Für die Panne entschuldigte er sich mit sichtlichem Widerwillen erst Tage später, und zwar ausschließlich auf Niederländisch.

Schlechte Vorzeichen

Unter diesen Vorzeichen ging Leterme in die Verhandlungen zur Regierungsbildung. Neben seinen flämischen Christdemokraten ("Christen Democratisch en Vlaams", CD&V) und den flämischen Liberalen ("Vlaamse Liberalen en Democraten", VLD) saßen auch die beiden frankophonen Schwesterparteien "Centre Démocrate Humaniste" (CDH) und "Mouvement Réformateur" (MR) mit am Tisch.

Die flämischen Christdemokraten sind jedoch durch eine Wahlallianz an die separatistische flämische Partei, die "Nieuw-Vlaamse Alliantie" (N-VA) gebunden. Umgekehrt haben die frankophonen Liberalen von der MR eine nationalistisch angehauchte wallonische Formation mit im Boot, den "Front démocratique des Francophones" (FDF). Diese Extreme unter einen Hut zu bringen, wäre selbst einem weniger vorbelasteten Chefunterhändler als Leterme schwergefallen. Am 23. August zog sich dieser erstmals aus den Verhandlungen zurück. Nach Vermittlung durch Parlamentspräsident Herman van Rompuy kamen die designierten Koalitionspartner jedoch Anfang Oktober wieder unter dem Vorsitz Letermes zusammen.

Rückkehr nicht ausgeschlossen

Auch jetzt scheint eine Rückkehr von "Monsieur 800.000 Stimmen", wie die französischsprachige Presse Leterme wegen seines starken Wahlergebnisses in Flandern nennt, nicht vollkommen ausgeschlossen. Der 47-Jährige selbst ließ sich jedenfalls eine Hintertür offen: Er stehe "weiterhin zur Verfügung", um an Reformen für das Land mitzuarbeiten, sagte Leterme und sein Parteivorsitzender Jo Vandeurzen zeigte sich überzeugt: "Yves Leterme wird Ministerpräsident." Andernfalls werde die CD&V sich an der nächsten Regierung nicht beteiligen, erklärte Vandeurzen. Rein rechnerisch wäre eine Regierung zwar auch ohne die flämischen Christdemokraten möglich, wenn sich nämlich die Liberalen mit Sozialisten und Grünen zu einer so genannten Regenbogenkoalition zusammenrauften. Diese Formation regierte bereits in den Jahren 1999 bis 2003. In diesem Fall könnte theoretisch sogar der amtierende Ministerpräsident Guy Verhofstadt, ein Liberaler, seinen Job behalten.

Problem: Verhofstadts flämische Liberale von der VLD haben die letzte Parlamentswahl mit Sang und Klang verloren, die Parteifamilie verdankt ihre gegenwärtige Stärke einzig dem guten Abschneiden der frankophonen Liberalen (MR). Deren Vorsitzender Didier Reynders wäre sicher mehr als willens, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Das wiederum aber wäre der flämischen Bevölkerungsmehrheit nur schwer zu vermitteln. (ina)

Belgiens Premierminister Guy Verhofstadt, Foto: AP
Würde auch gerne weiter regieren: Guy VerhofstadtBild: AP
Wahlplakate im belgischen Wahlkampf, Foto: AP
Auch ein halbes Jahr nach den Wahlen ist keine Regierung gefundenBild: AP
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