G7 wollen Ukraine "so lange wie nötig" unterstützen
27. Juni 2022Die sieben führenden Industriestaaten des Westens (G7) haben der Ukraine ihre zeitlich unbefristete Hilfe im Krieg gegen Russland zugesagt. "Wir werden die Ukraine unterstützen, solange es nötig ist", heißt es in einer Erklärung der Staatengruppe nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dieser war beim Gipfel auf Schloss Elmau per Video zugeschaltet.
Man habe der Ukraine in diesem Jahr Hilfen von 29,5 Milliarden Dollar (28 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt. Die Finanzminister würden beauftragt, den weiteren Finanzbedarf zu ermitteln, hieß es. Die Handelsminister sollten den Abbau der Zölle auf ukrainische Waren prüfen. Für den nötigen Wiederaufbau der Ukraine prüften die G7-Staaten, ob dazu beschlagnahmte russische Vermögenswerte genutzt werden könnten.
"Kein Zurück" im Verhältnis zu Russland
Die G7-Chefs zeigten sich in der Erklärung zudem "ernsthaft besorgt" über die Absicht Russlands, atomwaffenfähige Raketen an seinen Verbündeten Belarus zu liefern. Sie riefen Russland zu "verantwortungsvollem Handeln" und zur "Zurückhaltung" in dieser Angelegenheit auf.
Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte: "Im Verhältnis zu Russland kann es kein Zurück geben in die Zeit vor dem russischen Überfall auf die Ukraine."
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Wochenende angekündigt, sein Land werde "in den kommenden Monaten" das Raketensystem Iskander-M an Belarus liefern. Dieses System kann auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden. Belarus grenzt an Russland wie auch an die Ukraine.
Die G7 sagten der Ukraine Sicherheitsgarantien nach dem Krieg gegen Russland zu. Man sei bereit, gemeinsam mit Kiew "Vereinbarungen über nachhaltige Sicherheitsverpflichtungen zu treffen, um der Ukraine zu helfen, sich selbst zu verteidigen", heißt es in der Erklärung. Die Ukraine entscheide über eine künftige Friedensregelung, "die frei von äußerem Druck oder Einfluss ist".
Der ukrainische Präsident hofft auf ein Ende des Krieges noch in diesem Jahr. Teilnehmerkreisen zufolge verwies er auf die Härte des Winters, die Gefechte erschwere. Konkret habe Selenskyj die Vertreter der sieben Industrienationen um Luftabwehrsysteme gebeten.
Später hieß in Konferenzkreisen, die USA stellten der Ukraine weitere moderne Abwehrsysteme zur Verfügung. Die Ankündigung zum Kauf von "modernen Boden-Luft-Raketenabwehrsystemen" mittlerer bis langer Reichweite sei noch "in dieser Woche" zusammen mit anderen Waffenzusagen wahrscheinlich.
Militärische Produktions- und Lieferketten im Visier
Wegen des Angriffskriegs wollen die USA und die anderen G7-Staaten nach Angaben aus Washington auch weitere Strafmaßnahmen gegen Russland verhängen. Die Maßnahmen richteten sich unter anderem gegen militärische Produktions- und Lieferketten, teilten Vertreter des Weißen Hauses am Rande des Gipfeltreffens in Süddeutschland mit. Die USA würden in Abstimmung mit den G7-Staaten Sanktionen gegen Hunderte weitere Personen und Institutionen erlassen sowie Strafzölle auf zahlreiche russische Produkte erheben.
Preisdeckel für Öl oder Importzölle?
Zudem könnten die russischen Staatseinnahmen durch einen Preisdeckel für Öl aus Russland begrenzt werden. Die G7-Staats- und Regierungschefs würden ihre zuständigen Minister beauftragen, "intensiv" mit Partnerländern und Privatfirmen zu sprechen, um einen Preisdeckel umzusetzen.
Die Bundesregierung hatte zuvor darauf verwiesen, dass ein Preisdeckel nur effektiv sein kann, wenn viele Einkaufsländer weltweit - wie Indien oder China - sich beteiligten. Beide Staaten haben seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ihre Ölimporte aus Russland deutlich erhöht. Die USA haben bereits die Öleinkäufe aus Russland eingestellt, die EU will dies bis spätestens Jahresende tun.
Das Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW) plädiert inzwischen für Importzölle auf russisches Öl und Gas. Sie seien dem US-Vorschlag einer Preisobergrenze vorzuziehen, erklärte Handelsforscher Alexander Sandkamp. "Ein Zoll mindert die Einnahmen Russlands und erhöht die Einnahmen der G7, womit die Belastungen der Bürgerinnen und Bürger durch die hohen Energiepreise abgefedert werden können." Die von den USA vorgeschlagene Preisobergrenze unterhalb des Weltmarktpreises würde dagegen die Nachfrage nach Energie weiter anheizen, weil diese dadurch billiger und die reale Energieknappheit verschleiert würde.
Klimakrise, Energie, Hungersnöte
Am zweiten Tag des Treffens standen auch die Themen Klimakrise, Energie und Gesundheit auf der Agenda. Dazu ergänzten die Staats- und Regierungschefs von Indonesien, Südafrika, Indien, Senegal und Argentinien die Runde. In einer gemeinsamen Erklärung bekannten sich die G7 und deren Gäste dazu, "einen sauberen und gerechten Übergang zur Klimaneutralität zu beschleunigen und gleichzeitig die Energiesicherheit zu gewährleisten". Optionen zu einem "schnellen Ausbau sauberer und erneuerbarer Energiequellen sowie der Energieeffizienz" würden "geprüft".
Die Staaten bekräftigten ihre Unterstützung für das bei der Klimakonferenz 2015 in Paris vereinbarte Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten - und möglichst unter 1,5 Grad. Dabei wollen die Unterzeichner auf Energiepartnerschaften setzen.
Vorbild ist Südafrika, das von Deutschland und anderen Ländern Geld erhält, um den Einsatz neuer sauberer Technologien, einschließlich grünen Wasserstoffs, zu fördern. Kanzler Scholz als Gastgeber des Gipfels strebt einen internationalen Klimaklub mit den G7-Staaten als Kern an. In diesem soll die internationale Klimapolitik stärker abgestimmt werden, um zu verhindern, dass Wettbewerbsnachteile für Länder entstehen, die sich an strengere Vorgaben halten.
Drängendes Thema des erweiterten G7-Kreises waren auch die wegen des Ukraine-Kriegs drohenden Nahrungsmittel-Engpässe. Laut dem Welternährungsprogramm stehen 50 Millionen Menschen weltweit kurz vor einer Hungersnot. Als katastrophal schätzt die UN-Organisation die Lage in Äthiopien, Nigeria, dem Südsudan, dem Jemen, Afghanistan und Somalia ein.
Die Ukraine und Russland sind die größten Weizenexporteure weltweit. Normalerweise decken sie knapp ein Drittel des globalen Bedarfs. Wegen des Krieges können große Mengen an Getreide jedoch nicht exportiert werden. Zu den Beratungen über die weltweite Nahrungssicherheit wurde auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres zugeschaltet.
Zu den G7 gehören neben Deutschland und den USA auch Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan. Zudem nehmen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Gipfel teil.
jj/sti/AR (afp, dpa, rtr, epd)