Erdgas-Boom in den USA
17. Dezember 2012Der Weg zu Jenny Lisaks Farm im Nordwesten des Bundesstaates Pennsylvania führt über eine einspurige Landstraße durch hüglige Felder und Wälder. Marcellus Formation heißt diese Gesteinsmasse im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania, benannt nach Schiefergesteinen im Boden. Postkartenidylle. Doch unter der Erde brodelt es; denn dort liegen Rohstoffe, Erdgas vor allem, und davon erhoffen sich Investoren viel Geld. So wurden die Felder und Wälder in dieser Gegend bekannt als Investmentobjekte für multinationale Energiekonzerne.
Bio-Bäuerin Jenny Lisak steht am Rande ihres Blaubeerfelds; nur einige hundert Meter entfernt hat bis vor zwei Jahren ein Rohstoff-Konzern Erdgas abgebaut. Bald sollen die Bagger, Bohrer und Trucks wiederkommen. Denn auf der anderen Seite der Farm, in Sichtweite von Lisaks Küchenfenster, soll eine weitere Förderstelle eröffnet werden.
Spurensuche führt weg von Pennsylvania
Dabei ist der Preis für Erdgas im Keller; er beträgt nur ein Viertel des Preises von 2005. Warum werden trotzdem neue Quellen erschlossen? Die Spurensuche führt weit weg von den Feldern Pennsylvanias; sie führt nach Washington DC, an die Wall Street in New York, und schließlich nach Übersee und auch nach Europa.
Der nächste größere Ort in Jenny Lisaks Nachbarschaft ist die 8000-Seelen-Gemeinde DuBois. An der Einfahrtsstraße des Ortes reihen sich Fastfood-Restaurants an Anzeigentafeln, auf denen Versicherungen mit Angeboten für Fracking-Trucks werben. "In den Hotels hier wohnen viele Arbeiter, die wegen Fracking-Jobs gekommen sind", erzählt die Kellnerin in der Pizzeria auf der Hauptstraße. Dann lächelt sie, reibt augenzwinkernd Mittel- und Ringfinger an ihrem Daumen, "wir mögen die hier, die geben viel Trinkgeld."
Der Erdgasabbau gilt in den USA als Wirtschaftsmotor; das Land ist im Gasrausch. Dank einer neuen Technologie, dem Fracking – kurz für Hydraulic Fracturing – können mittlerweile auch schwer zugängliche Schiefergesteine in großer Tiefe auf wirtschaftlich lukrative Weise abgebaut werden. Die Methode ist höchst umstritten: Kritiker sagen, dass das Grundwasser durch Fracking auf lange Zeit verseucht würde. Außerdem könnten giftige Methangase entweichen; die Folgen für Menschen und Natur in den Abbaugebieten sind unklar.
Am Küchentisch erzählt Farmerin Lisak, wie sich das Wasser der Quelle auf ihrem Land verfärbte, als nebenan gefrackt wurde: "Das Gesundheitsministerium sagt, dass das Methan niemandem schadet, aber keiner weiß, welche anderen schädlichen Stoffe daran gebunden sind." Sie macht sich Sorgen, denn: "Wir duschen mit diesem Wasser, wir trinken es, wir gießen damit und essen das Obst und Gemüse von unserem Land."
Angst vor politischer Abhängigkeit
Rohstoffabbau hat eine lange Tradition in den USA; auf konventionelle Weise wurden hier soviel Erdöl und Erdgas abgebaut wie sonst in keinem Land der Welt. Auch in Pennsylvania sieht man überall auf dem Land Gasförderanlagen aus dem 19. Jahrhundert. "Anfang der 2000er Jahre ging die Erdgasproduktion jedoch rapide zurück. Die einzige Alternative schienen Importe von Erdgas", sagt Kevin Massy. Der Politikwissenschaftler forscht am liberalen Brookings-Institut in Washington DC zum Schiefergas. Weil importiertes Erdgas vom Weltmarkt an den Ölpreis gekoppelt ist und der Transport Kosten verursacht, ist internationales Gas deutlich teurer. "Die Märkte haben darauf reagiert", erklärt Massy, der Preis von Erdgas in den USA stieg auf ein Rekordhoch.
Doch dann tauchte das Fracking auf, und die Möglichkeit, Erdgas aus Böden wie der Marcellus-Formation abzubauen. "Die Vertreter der Energiewirtschaft haben hier allen erzählt, dass das Fracking Amerika helfen würde, energieunabhängig zu werden", brummelt Stephen Cleghorn. "Das haben sie denselben Familien erzählt, die ihre Kinder in den Krieg nach Irak und anderswohin geschickt haben; in Kriege, bei denen es auch um Rohstoffe ging." Seine Ziegenfarm liegt nur wenige Fahrminuten von Jenny Lisaks Blaubeerfeld entfernt.
Getrieben von der Aussicht auf Profit und einem Glauben an amerikanische Energieunabhängigkeit verpachteten zahlreiche Farmer und Landbesitzer die Gasrechte an ihrem Besitz, erzählt Cleghorn. Der Preis für die Bohrrechte stieg immer weiter, obwohl vielerorts gar nicht produziert wurde. Irgendwann sprachen die ersten Beobachter von einer Blase - die schließlich platzte: Die Märkte erkannten, dass all die neuen Gasfelder viel zu viel Gas für den amerikanischen Markt produzieren würden. Und der Gaspreis fiel auf ein Rekordtief.
Gründe in Übersee
Trotzdem wird der Abbau in Pennsylvania weiter betrieben, werden Gasquellen erschlossen; um Zeit zu gewinnen, heißt es. "Was man so hört, ist, dass sie nur Löcher bohren, um ihre Verträge zu halten", sagt Stephen Cleghorn. "Aber wirklich fracken, das heißt abbauen, tun sie noch nicht." Die Investoren spekulieren darauf, dass der Preis bald wieder steigen wird. Und in der Tat ist der Preis seit dem Platzen der Blase schon wieder ein bisschen gestiegen. Die Gründe dafür liegen in Übersee.
Seit der atomaren Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima im März 2011 ist Japan wie kaum ein anderes Land abhängig von Importen von flüssigem Erdgas. Der Preis dieser Importe ist gekoppelt an den Ölpreis; das legen die exportierenden Länder fest, in Japans Fall vor allem Katar und Australien. Deshalb beträgt der Preis von Erdgas in Japan momentan rund das Fünffache des Preises in den USA, wo der Erdgaspreis unabhängig ist vom Ölpreis. Ähnlich wie in Japan ist die Lage in Europa und in Deutschland. Die Importe kommen hier vor allem per Pipeline aus Russland; auch ihr Preis ist größtenteils an den Ölpreis gekoppelt.
Auswirkungen des US-Booms auf Deutschland
Und auch in Europa hatte der Unfall von Fukushima Konsequenzen: Rund zweieinhalb Monate nach der Katastrophe verkündete die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf öffentlichen Druck, dass Deutschland bis 2022 komplett auf Atomenergie verzichten würde. Damit stieg auch der Bedarf des Lands an Erdgas. Die Schlussfolgerung für viele Analysten: Die USA könnten ihr Erdgas in verflüssigter Form exportieren, vor allem in Regionen wie Japan, aber eben auch nach Europa und Deutschland.
Das würde bedeuten: Ein neuer, riesiger Player würde auf dem globalen Rohstoffmarkt entstehen. "So haben die Abnehmer von russischem Gas gemerkt, dass es eine Alternative gibt. Auf gewisse Art gibt ihnen das mehr Macht bei den Verhandlungen mit den Russen", sagt Politikwissenschaftler Massey . "Die deutschen Energieversorger EON und RWE zum Beispiel haben schon erfolgreich die Bedingungen ihrer Einkäufe vom russischen Erdgasförderer Gazprom neuverhandelt."
So hatte der Erdgasboom in den USA über Umwege bereits Auswirkungen auf den Gaspreis in Deutschland, ohne dass je Gas nach Europa gelangt ist. Und weil das System der Rohstoffpreise in Wechselwirkung funktioniert, hat der Bedarf in Europa und Asien auch Auswirkungen auf die USA: Dass rund um Jenny Lisaks und Stephen Cleghorns Farmen wieder gefrackt wird, liegt auch daran, dass das dort produzierte Erdgas irgendwann profitabel exportiert werden könnte.
Die USA als weltweit größter Erdgas-Exporteur?
Im Moment dürfen die USA Erdgas allerdings nur in Länder exportieren, mit denen sie ein Freihandelsabkommen haben. Wichtig wäre aber die Ausfuhr in andere Länder, unter anderem Deutschland und Japan. Ob die USA ihren Export auch dorthin öffnen, wird das amerikanische Energieministerium bis Ende des Jahres entscheiden. Wirtschaftsexperten in Washington halten es für wahrscheinlich. Laut der Internationalen Energieagentur IEA können die USA 2015 so Russland als den weltweit größten Gasexporteur ablösen.
Aber was würde dann passieren? "Verflüssigtes Erdgas aus den USA hat das Potential, den Handel von Erdgas sowohl in der Pazifik-, als auch in der Atlantik-Region grundlegend zu verändern", schätzt Kevin Massey. Zwar sei unwahrscheinlich, dass dadurch ein weltweit einheitlicher Gaspreis entstehen würde, sagt Massey, allerdings: "Das zusätzliche US-Erdgas auf dem Weltmarkt wird die Gewinnmargen verändern und wahrscheinlich die Position der Gaseinkäufer gegenüber den traditionellen Verkäufern stärken."
Im Westen Pennsylvanias, wo dieses Erdgas tief im Boden liegt, sitzt Farmerin Jenny Lisak in ihrer Küche. Deutschland, Japan, und auch Washington DC sind weit weg. Lisak ist der Weltmarkt egal, sie interessiere sich dafür, dass es ihrer Familie gut geht, sagt sie. Direkt vor ihrem Küchenfenster soll eine weitere Fracking-Abbaustelle eröffnet werden. Lisak hat Angst um ihre Gesundheit; deshalb hat sie Einspruch gegen den Bau eingelegt beim Umweltministerium ihres Bundesstaats. "Die USA sollen das Saudi-Arabien für Erdgas werden, habe ich gehört", sagt Jenny Lisak und schüttelt mit dem Kopf. Durch das Fenster dringt ein Motorengeräusch. Es ist ein Truck auf der Landstraße, der Wasser von einer nahgelegenen Fracking-Stelle abtransportiert. Es scheint, als ob in der Gegend so bald keine Ruhe einkehren wird.