Kommentar: Deutsche Afrikapolitik - uneinig und inkohärent
23. März 2014Zunächst waren die Kommentatoren schnell bereit, der deutschen Beteiligung an der Intervention in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) zuzustimmen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen machte sich umgehend zu einem Besuch nach Afrika auf. Denn - so die Verlautbarung der Ministerin - Afrika sei bedroht, Deutschland müsse jetzt handeln. Andere Minister blieben vorsichtiger, zu Recht. Denn die Fallstricke eines größeren Engagements sind erheblich. Aufgewühlt durch die Ereignisse werden gegenwärtig eher Schnellschüsse abgegeben, die dann ebenso schnell wieder verpuffen. Erforderlich wäre aber eigentlich eine Antizipation der Entwicklungen in Afrika. Dafür bedarf es geeigneter Foren und des Meinungsaustausches von Experten mit Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit.
Eine erste Aufgabe besteht darin, die Afrikarealitäten zu reflektieren. Zwei wichtige Entwicklungen sind besonders zu betrachten. Krisen und Konflikte sind noch weit verbreitet. Mit erneuten Spannungen muss gerechnet werden, denn der Kontinent befindet sich in einem gigantischen Umbruch. In Afrika gibt es Kriege, und es wird noch mehr Kriege geben. Die Demokratien sind nicht gefestigt, die Staaten sind teilweise äußerst fragil. In mindestens zehn afrikanischen Ländern sind die alten Männer bereits seit Jahrzehnten an der Macht. Ein baldiger Machtwechsel wird kaum ohne Spannungen vonstattengehen.
Auch der seit Jahren anhaltende wirtschaftliche Aufschwung vieler Länder Afrikas kann sehr schnell wieder beendet sein. Es fällt zunehmend schwerer, Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen. Eine enorme soziale Frage zeichnet sich vor dem Hintergrund des hohen Bevölkerungswachstums ab. Die absolute Zahl der Armen steigt weiter und jährlich wären eigentlich acht Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die deutsche Afrikapolitik muss sich dieser Themen annehmen, denn sie können nicht mit den traditionellen Mitteln der Entwicklungskooperation gelöst werden.
Die Rolle Frankreichs
Die zweite Aufgabe besteht darin, die bisherige Afrikapolitik der EU und vor allem Frankreichs zu reflektieren. Frankreich ist der wichtigste strategische Akteur in Afrika. Es sieht sich dabei immer noch als Sachwalter afrikanischer Interessen und pflegt durch wirtschaftliches Agieren, durch Stützpunkte, durch ihre Eingreiftruppen und durch Kooperation mit den Eliten in den frankophonen Staaten eine neo-postkoloniale Dominanz.
Frankreich ist deshalb deutlich mitverantwortlich für die vergangenen und gegenwärtigen Krisen in West- und Zentralafrika. Nicht von ungefähr ist Frankreich seit vielen Jahren ein weitgehend ungeliebter Akteur in Afrika. Deutsche Politik muss sich einerseits verstärkt mit dieser negativen Wahrnehmung Frankreichs in Afrika auseinandersetzen und anderseits eigene Ziele formulieren, um zu einem gleichberechtigten Partner in Afrika zu werden. Frankreichs Aktionen zu folgen, ist kein Ausweis von eigenständiger und schon gar nicht europäischer Politik.
Wie sollte sich Deutschland positionieren?
Deutsche Außenpolitik in Afrika während der letzten Jahre wirft zahlreiche Kohärenzfragen auf. Wir benötigen erstens eine umfassende Debatte über deutsche und europäische Afrikapolitik, um aus dem Stillstand herauszukommen. Dringend erforderlich ist ein Nachdenken über eine umfassende Afrika-Strategie. Wir brauchen zweitens eine Neubewertung unserer Interessen in Afrika. Afrika ist unser Nachbarkontinent, Europa hat dort eine unheilvolle koloniale Vergangenheit, die bis heute zurückwirkt. Europa muss sich neu positionieren.
Drittens benötigen wir die Überprüfung der europäischen Handelspolitik. Hier herrscht seit vielen Jahren Stillstand. Viertens sollten wir endlich ernsthaft unsere Entwicklungskooperation überprüfen. Die Armutskonzepte greifen nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Und nun auf die Landwirtschaft zu setzen, scheint auch nicht wirklich durchdacht zu sein. Armut kann nur beseitigt werden, wenn die Wirtschaften wachsen. Das aber tun sie nur, wenn afrikanische und internationale Unternehmen Arbeitsplätze schaffen.
Fünftens benötigen wir eine Neuaufstellung der Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei gilt es grundlegend, Frieden und Stabilität herbeizuführen. Wie kann das am besten geschehen? Nicht durch ad hoc Interventionen, sondern durch die Unterstützung für eine von Afrikanern erarbeitete Sicherheitsstruktur. Alle zur Verfügung gestellten Mittel sollen dem Aufbau von afrikanischen Institutionen dienen. Nur Afrika kann sich helfen und Frieden schaffen. Militärische Interventionen müssen die absolute Ausnahme bleiben. Wir haben ein Interesse an einem stabilen und demokratischen Afrika, an weniger Kriegen, weniger internen Konflikten und an verantwortungsvollen Institutionen und Regierungen. Sechstens: Es ist das Auswärtige Amt, das die Aufgabe hat, eine kohärente Außenpolitik herbeizuführen. Dafür benötigt es entsprechende Führungsqualitäten und entsprechende Mittel.
Deutschland will eine Gestaltungsmacht werden, aber dann muss Berlin auch wissen, was es eigentlich gestalten kann und will. An der Kooperation mit Afrika lässt sich zeigen, welchen Gestaltungswillen Deutschland tatsächlich hat.
Prof. Dr. Robert Kappel ist seit 2011 Präsident Emeritus und Senior Research Fellow am German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg und war zuvor sieben Jahre lang dessen Präsident. An den Universitäten Leipzig und Hamburg war er zudem als Professor tätig. Er forscht und publiziert zu Fragen von Macht, Normen und Governance in den Internationalen Beziehungen sowie zu sozioökonomischer Entwicklung in der Globalisierung.