Gute Gründe für Bolsonaro
Brasilien hat einen neuen Präsidenten, er ist mit einer satten Mehrheit von 55 Prozent im zweiten Wahlgang bestätigt worden. Die meisten internationalen Kommentatoren ficht das nicht an: Sie überbieten sich in Wiederholungen von verbalen Entgleisungen, die Jair Bolsonaro in den vergangenen Jahren von sich gegeben hat. Richtig, da ist sehr, sehr Unappetitliches dabei. Das alles hat aber die Mehrheit der brasilianischen Wähler nicht davon abgehalten, ihn zu wählen: Sind das alles Rassisten, Frauenfeinde, Schwulenhasser oder Diktaturfreunde?
Und dann erst die brasilianische Wirtschaft - und gar die internationalen Märkte: Da hat man einhellig positiv reagiert auf den Wahlausgang im fünftgrößten Land der Welt, das mit einem Bruttoinlandprodukt von 2,1 Billionen Dollar auf dem neunten Platz der Volkswirtschaften dieser Erde steht: Brasilianische Aktien legten um bis zu fünf Prozent zu. Die Landeswährung Real stieg auf den höchsten Stand seit Mai. Dabei hatte sie - in Erwartung eines Bolsonaro-Sieges - schon in den zurückliegenden Wochen um rund zehn Prozent im Verhältnis zum Dollar zugelegt.
Ein Mann, der nicht in Korruption verstrickt ist
Was ist also los in Brasilien? Muss man wirklich Zweifel haben an der "Demokratie-Reife" der Mehrheit der Brasilianer, wie man das in deutschen Zeitungen liest? Die Wahrheit ist wohl differenzierter: Die große Mehrheit hat nach Jahren der heftigsten Rezession aller Zeiten und kolossaler Korruptionsfälle einen Mann gewählt, der eben nicht in diese verwickelt war. Denn auch das gehört zum politischen Gesamttableau: Bolsonaro sitzt seit langem schon als Hinterbänkler im Kongress, aber trotz intensivster Suche hat man ihn nicht in Verbindung bringen können mit den Mega-Korruptionsfällen, die unter dem Namen Operation "Lava Jato" (was mit "Hochdruckreiniger" oder "Waschstraße" übersetzt werden kann) zusammengefasst werden.
Das ist anders bei der überwältigenden Mehrheit der politischen Klasse. Sie ist bis zur Halskrause verstrickt in den Korruptionssumpf "Lava Jato". Seinen Ausgang fand dieser irgendwo im politischen Hinterland Südbrasiliens. Sehr bald aber ergaben sich unglaubliche Verästelungen hinein in die Politik und zu großen brasilianischen Firmen, wie etwa dem international tätigen Bauriesen Odebrecht und vor allem dem halbstaatlichen Ölgiganten Petrobras.
Dabei ist erstaunlich, dass die brasilianische Justiz zu einer so konsequenten Aufarbeitung dieses Korruptionsknäuels überhaupt bereit und in der Lage war. Längst haben seine Verästelungen auch die lateinamerikanischen Nachbarländer erreicht, wo im Falle Perus sogar ein Präsident darüber gestürzt ist.
Der Wahlsieg Bolsonaros ist also weniger als Bekenntnis zu sehen zu seinen teils skandalösen politischen und gesellschaftspolitischen Meinungen, sondern vielmehr als ein aus dem Protest geborener Denkzettel an die politischen Eliten und die mit dieser verwobenen wirtschaftlichen Klasse.
Keine Lust auf sozialistische Experimente
Und natürlich ist er auch und vielleicht vor allem eine Abrechnung mit der brasilianischen Arbeiterpartei (PT): Die Angst vor ihr war eben größer als vor einem rechtsextremen Populisten. Auch verfehlen die katastrophalen Zustände im Nachbarland Venezuela ihre Wirkung nicht: Jeder Brasilianer kann sehen, wohin sozialistische Experimente führen. Deshalb war der Kandidat der Arbeiterpartei, Fernando Haddad, sicher nicht gut beraten, die Verhältnisse dort erst spät und dann nur zögerlich zu kritisieren. Das weckte bei vielen zweifelhafte Erinnerungen an den politischen Schmusekurs, den der ehemalige Präsident Lula da Silva dem Regime in Caracas stets angedeihen ließ.
Und nicht zuletzt hat ein Teil der älteren Brasilianer nicht nur negative Erinnerungen an die Zeit der Militärherrschaft von 1964 bis 1985. So brachte etwa das damals praktizierte "brasilianische Wirtschaftsmodell" des "Desenvolvimento" als eine vom Staat mitgelenkte und geförderte Entwicklung dem Lande viele Jahre rasanten Wachstums. Auch waren es Zeiten von mehr Sicherheit. So hatte die Drogenmafia noch keinen Einfluss in den Favelas, und die Armenviertel waren noch keine "No-go-Areas".
Das führt zu einer letzten Erklärung für den Wahlsieg Bolsonaros: Die ausufernde Kriminalität und der wachsende Einfluss international agierender Verbrecherkartelle in Brasilien. Bolsonaro will hier hart durchgreifen. Das kommt eben gut an in einem Land mit einer noch höheren Mordrate als Mexiko.
Hildegard Stausberg war als Südamerika-Korrespondentin und Redakteurin für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sowie als Ressortleiterin Außenpolitik für "Die Welt" tätig. Von 1994 bis 1999 war sie Chefredakteurin der Fremdsprachenprogramme Hörfunk der Deutschen Welle.