Gastkommentar: Reformblockade am East River
30. Juni 2006Dass bei den Vereinten Nationen (noch) nicht die Lichter ausgehen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mit Blick auf die Reform der UN-Bürokratie weiterhin düster aussieht. In der deutschen UN-Debatte, bis vor kurzem noch allein auf das verzweifelte Streben nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat konzentriert und seitdem durch eine Ermattung der Geister gekennzeichnet, findet diese Krise zu wenig Beachtung. Zu Unrecht: Ob der Sicherheitsrat mit oder ohne Deutschland als ständigem Mitglied operieren wird, wird für das Wohlergehen der Vereinten Nationen und der Welt nur eine randständige Bedeutung haben.
Weit wichtiger wird sein, ob das UN-Sekretariat über die Fähigkeiten, das Personal und das Maß an Integrität verfügen wird, um die sich ihm stellenden Aufgaben erfolgreich anzugehen. Die Vereinten Nationen sind heute weit mehr als die Plattform für zwischenstaatliche Kooperation. Als zunehmend feldbasierte Organisation erfüllt sie immer komplexere und wichtigere Aufgaben, etwa im Bereich der humanitären Hilfe und der Friedenskonsolidierung. Ressourcenausstattung und Managementprozesse, Kooperations- und Koordinationsfähigkeit mit UN-Unterorganisationen und auch mit der Zivilgesellschaft und Unternehmen, die Mentalität der Mitarbeiter und vorherrschende Organisationskultur tragen dem jedoch noch nicht Rechnung.
Blockade jeglicher Reformbemühungen
Die von UN-Generalsekretär Kofi Annan im März vorgeschlagenen Reformen der UN-Verwaltung tragen dem Rechnung: eine größere Autonomie und Flexibilität des UN-Generalsekretärs bei Personal- und Budgetfragen, Abschaffung von überflüssigen Posten und Mandaten, mehr Transparenz und Rechenschaft nach innen und außen. Bislang jedoch blockieren die Mitgliedsstaaten der G77, welche in der Generalversammlung über eine klare Mehrheit verfügen, jegliche Reformbemühungen.
Deutschland und die EU sollten deutlicher als bisher machen, dass es nicht länger hinzunehmen ist, dass sich die G77 mit wohlfeiler Rhetorik als Sachwalter von Entwicklungsfragen präsentieren und mit ihrer Blockadepolitik die Leistungsfähigkeit der Organisation schwächen – nur um aus Finanz-, Patronage- und Prestigegründen lieb gewonnene, aber unnötige Posten und Programme zu sichern und den USA (schon aus Prinzip) die Stirn zu bieten. Eine solche Haltung befördert lediglich den Niedergang des Sekretariats. Die großen Beitragszahler - die USA etwa zahlen allein 22%, während die 128 niedrigsten Beitragszahler gemeinsam für weniger als 1% UN-Budgets aufkommen-, werden die Mittel für die Pfründe nicht endlos bereitstellen.
Fördern und Fordern
Gefragt ist ein Kompromiss zwischen den Reformbefürwortern und Reformgegnern: Große Beitragszahler wie die USA sollten von einer Rhetorik abrücken, bei der die UN lediglich als ein Anbieter im "Markt für globales Problemlösen" firmiert – ein Anbieter, den die USA je nach Gusto nutzen. Als Gegenleistung für die Unterstützung durchgreifender Reformen durch die G77 müssten sich die Hauptbeitragszahler zu regelmäßigen Zahlungen und signifikanten Investitionen in die institutionellen Kapazitäten der UN verpflichten.
Resultat dieses Kompromisses wäre eine Politik des "Förderns und Forderns" des UN-Sekretariats, einer Politik, die das Verhältnis Mitgliedsstaaten-Sekretariat neu justiert und gleichzeitig die Wiederbelebung der hehren Ideale des "Internationalen Öffentlichen Dienstes", die bei der Gründung der UN Pate standen, vorantreibt. Dazu gilt es auch, den im Herbst zu bestimmenden Nachfolger Annans gleich bei der Auswahl auf das Vorantreiben der Reformen des Sekretariats zu verpflichten. Nur so lässt sich verhindern, dass das UN-Sekretariat nach Annans Abgang als kranker Mann am East River zurückbleibt.
Thorsten Benner ist stellvertretender Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin. Als unabhängiger Think Tank erforscht und berät GPPi internationale Organisationen. Zu den Arbeitsschwerpunkten gehören die Reformen der Vereinten Nationen sowie öffentlich-private Partnerschaften.