Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin sorgt wieder einmal für internationale Schlagzeilen. Dieses Mal ist es ein Video, das sie auf einer privaten Party beim Tanzen mit Freunden zeigt. Daraus ergibt sich ein ganz klassischer "finnischer Skandal", der eigentlich gar kein Skandal ist. Aber weil Finnlands Politik so verklemmt und ein bisschen langweilig ist, zeigt man eben Kreativität, um die Dinge hin und wieder etwas aufzumischen.
Gleichzeitig gilt das als Zeichen für die sehr hohen moralischen Standards, die an Politiker gestellt werden und denen sie gerecht werden müssen. Folglich ist die Hemmschwelle für finnische Politiker sehr niedrig, wegen scheinbar eher unbedeutender Vorfälle zurückzutreten. Im Jahr 2008 wurde beispielsweise der damalige Außenminister Ilkka Kanerva wegen eines SMS-Skandals entlassen: Er hatte einer Erotik-Tänzerin Textnachrichten von seinem Dienst-Handy geschickt. Sanna Marin selbst wurde Premierministerin, nachdem ihr Vorgänger Antti Rinne wegen eines Skandals im Zusammenhang mit einem Poststreik zurückgetreten war.
Sexistische Kritik
Marin und ihre mehrheitlich von Frauen geführte Regierung stehen seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2019 im Zentrum einer ungewöhnlichen internationalen Aufmerksamkeit. Eine Studie des NATO Strategic Communications Centre of Excellence aus dem Jahr 2021 ergab, dass die weiblichen Minister der Regierung Marin unverhältnismäßig viele beleidigende Nachrichten erhalten.
Auch Marin selbst war häufig Gegenstand innenpolitischer "Skandale": Das Posten privater Selfies auf Instagram oder Bilder ihrer Besuche von Partys oder Musik-Events brachten ihr in der Presse den Spitznamen "Party-Sanna" ein. Zwei der besonders denkwürdigen "Skandale" von Sanna waren "breakfastgate" über die Kosten ihres Frühstücks oder die Enthüllung, dass sie sogar in ihrem offiziellen Amtssitz gerne selbst putzt.
Viele dieser eher absurden innenpolitischen Kontroversen haben einen Beigeschmack von Frauenfeindlichkeit. Denn Marin hat Finnland unbeirrt durch mehrere außerordentlich schwierige Situationen geführt: angefangen bei der Corona-Pandemie und bis hin zum aktuellen NATO-Beitrittsprozess. Es ist für einige - vor allem wohl Männer - ganz offensichtlich nur schwer zu glauben, dass eine 36-jährige Frau eine kompetente Ministerpräsidentin und Mutter eines kleinen Kindes sein kann. Und die trotz eines der härtesten Jobs im Lande auch noch ein ganz normales Privatleben führt, auf Festivals geht und sogar gelegentlich feiert!
Die angebliche "Mehlbande"
Normalerweise machen diese heimischen "Skandale" keine internationalen Schlagzeilen. Diesmal war es anders: Die Regierungschefin hätte möglicherweise Drogen genommen, wurde behauptet. Dies stützte sich auf einen Satz in dem veröffentlichten Partyvideo, der als "jauhojengi" ("Mehlbande") missverstanden und als "Drogen" interpretiert wurde. In Wirklichkeit scheinen Marin und ihre Freunde den Text eines finnischen Popsongs mitzusingen, in dem "jallu", ein finnisches alkoholisches Getränk, erwähnt wird. In Finnland würde ohnehin niemand Drogen (nicht einmal Kokain) als "Mehl" bezeichnen, was die ganze Sache noch alberner macht.
Dennoch griffen die internationalen Medien das Thema in einer noch nie dagewesenen Weise auf. In einer Vielzahl von Beiträgen mit ungeprüften Fakten behaupteten ausländische Medien sogar, dass im Hintergrund das Wort "Kokain" gebrüllt worden sei.
Nachdem ein Abgeordneter einer der Koalitionsparteien vorgeschlagen hatte, sie solle sich einem Drogentest unterziehen, erklärte Sanna Marin am Freitag gegenüber Reportern, dass sie dies getan habe, um alle möglich Missverständnisse auszuräumen - obwohl die Beweislast eigentlich nie bei den Beschuldigten liegen sollte.
Falschinformationen verbreiten sich wie ein Lauffeuer
Obwohl Marin auch international starke Rückendeckung erhielt, zeigt der Fall, dass sich Falschinformationen wie ein Lauffeuer verbreiten können. Es braucht so wenig, um Schaden anzurichten, aber so viel Arbeit, um die Dinge wieder richtig zu stellen.
Es ist immer die Aufgabe eines Pioniers (und das ist Sanna Marin in vielerlei Hinsicht), das Image einer Institution zu reformieren. Zum Beispiel, wer Premierminister sein und wie das Amt ausgefüllt werden kann. Dies wird gewiss nicht der letzte sehr finnische Skandal um die Ministerpräsidentin Sanna Marin sein. Aber das ist vielleicht auch gut so.
Minna Alander ist eine finnische Analystin für Außen- und Sicherheitspolitik. Sie hat für die Deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin gearbeitet und ist nun als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Finnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten in ihr Heimatland zurückgekehrt.