Ausbruch ohne Chance
29. Mai 2018Es ist schon Mittag, als der mit palästinensischen Flaggen geschmückte Fischkutter - begleitet von mehreren kleineren Booten - aus dem Hafen in Gaza-Stadt ausläuft. An Bord, so die Organisatoren, sind Kranke und Arbeitslose, die die israelische Seeblockade durchbrechen wollen. Diese wird seit über zehn Jahren von der israelische Marine strikt durchgesetzt. Palästinensische Fischer dürfen nicht weiter als sechs Seemeilen (rund elf Kilometer) ins Meer hinausfahren. Wer sich weiter hinaus wagt, muss damit rechnen, beschossen zu werden.
An diesem Tag ist die Anspannung aber besonders hoch: Während die Boote ins offene Meer schippern, gibt es erste israelische Luftangriffe auf Ziele auf dem Festland - eine entschlossene Reaktion auf Raketen- und Mörserbeschuss aus dem Gazastreifen.
Unterdessen macht sich in Gaza niemand Illusionen darüber, dass die Boote den erklärten Zielhafen Limassol auf Zypern erreichen würden. "Ich wünsche mir, wir hätten eines Tages die Möglichkeit, über das Meer ins Ausland zu reisen”, sagt Mohammed Mutair, 21, Student in Gaza. "Aber die Israelis werden uns nicht durchlassen. Ich möchte heute kein weiteres Blutvergiessen. Aber die Situation hier wird immer unerträglicher. Wir wollen einfach nur unsere Freiheit.” Auch eine junge Frau ist zum Hafen gekommen, um die Protestaktion zu unterstützen. "Keiner hilft uns, hier ein normales Leben leben zu können", sagt die 38-jährige Sulaf Masry. "Es ist eine friedliche Aktion, und wenn ich mutig genug wäre, dann wäre ich wohl auch dabei.” Israels Armee sieht die Hamas als Drahtzieher der Aktion. Sie selbst nennt den Protest in einer Erklärung eine "zynische Show". Am späten Nachmittag wird diese "Show" von Israels Marine beendet, das Boot in den israelischen Hafen Ashdod geschleppt.
Aussichtslose Situation in Gaza
Mit der Aktion wolle man daran erinnern, so das Organisationskommitee des "Marschs der Rückkehr”, das Israel den Gazastreifen auch vom Meer aus abriegelt. Das Datum ist mit Bedacht gewählt: Vor acht Jahren wurde das Schiff Mavi Mamara beim Versuch, Gaza von der Türkei aus zu erreichen, von israelischen Eliteeinheiten gestürmt. Neun türkische Staatsbürger wurden dabei getötet. "Die Boote sind eine Botschaft, die Blockade aufzubrechen. Es ist ein symbolischer Akt. Auch wenn sich viele bewusst sind, dass die Boote von der israelischen Marine abgefangen werden. Aber allein die Aufmerksamkeit auf die Situation in Gaza zu lenken, ist wichtig genug”, sagt Usama Antar, Politikwissenschafter der Al Azhar-Universität, der DW.
Die Aktion ist Teil der der Massenproteste, die seit Ende März an Gazas Grenzgebiet zu Israel abgehalten werden. Dabei wurden über 100 Palästinenser von israelischen Scharfschützen erschossen, tausende verletzt. Israel beschuldigt Hamas, die Proteste als Vorwand für terroristische Angriffe zu nutzen – unter dem Deckmantel friedlicher Proteste. Den Organisatoren zufolge sollen die Demonstrationen auf das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge aufmerksam machen, die 1948 und 1967 fliehen mussten. Doch für viele ist die jahrzehntelange Abriegelung und die aussichtslose Situation in Gaza in den Vordergrund gerückt: chronischer Strommangel, hohe Arbeitslosigkeit, steigende Armut, fast unüberwindbare Grenzen - dies sind nur einige der Probleme. Ägypten, das auch seinen einzigen Grenzübergang in Rafah meist geschlossen hält, hat ihn zwar jetzt für die Dauer des Ramadans geöffnet, doch nur sehr wenige Busse passieren die Grenze täglich. Über 20 000 Menschen stehen auf einer Warteliste, um Gaza zu verlassen.
Sperranlage auch im Meer?
Die temporäre Grenzöffnung wird als Geste der Ägypter gedeutet, um die Situation zu beruhigen. Doch es ist unklar, wie es mit den Protesten weitergeht. Das sorgt auch in Gaza für viele Diskussionen, etwa in den sozialen Netzwerken. Einigen ist der Preis, den die Palästinenser mit ihren vielen Toten zahlen, schon jetzt zu hoch, andere sehen keine Alternative. "Die Frage wird gestellt: Werden hier mehr die Ziele der politischen Akteure in den Vordergrund gestellt, oder die der gesamten Gesellschaft”, sagt der Politologe Antar. Alle Schichten im Gazastreifen leiden unter der Blockadepolitik, trotzdem gebe es natürlich unterschiedliche Meinungen über die Proteste. "Nach über zehn Jahren der Abriegelung ist es für viele unvorstellbar, weiter in diesem Leben zu verharren. Viele leben am Existenzminimum, ohne Hoffnung, ohne Zukunft, insbesondere auch die junge Generation. Sie brauchen eine Perspektive.”
Doch diese schwindet zusehends. Am Montag hatte der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman angekündigt, nun auch mit dem Bau einer Sperranlage im Meer zu beginnen. Bereits seit einem Jahr baut Israel eine unterirdische Mauer an Land - unter der jetzigen Zaunanlage – um den Bau von Tunneln zu verhindern. Die zusätzliche Sperre im Meer soll bereits Ende des Jahres fertiggestellt sein.