Schattenbanken
19. März 2012In ihrer einfachsten Form verfolgen normale Banken ein simples Geschäftsmodell: Den Menschen, die ihnen ihr Geld anvertrauen, zahlen sie niedrige Zinsen. Und von jenen, die sich Geld leihen wollen, verlangen sie höhere Zinsen. Der Unterschied zwischen den Zinssätzen ist ihr Gewinn, und Jahrhunderte lang haben Banker davon gut gelebt. Im Lauf der Zeit kamen weitere Aufgaben hinzu: etwa die Vermögensverwaltung, der Handel mit Wertpapieren oder die Begleitung von Fusionen und Übernahmen.
In den USA wurde bis 1999 strikt zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken unterschieden, in Deutschland gab es eine solche Trennung nicht. Unter Bankern galt der Investmentbereich lange als spannender als das normale Bankgeschäft. Die Regulierung durch die Aufsichtsbehörden war weniger streng, das Risiko größer und die Gewinne auch.
Freiheitsdrang der Banker
Doch die Banker drängten nach noch weniger Regulierung, noch höherem Risiko und noch größeren Gewinnen. Seit den 1970er Jahren entstanden immer neue, hochkomplexe Finanzprodukte, die Jahre später entscheidend zur großen Finanzkrise beigetragen haben. Plötzlich konnten Schulden aufgekauft, umgeschichtet und weiterverkauft werden. Plötzlich ließ sich das Risiko von Kreditausfällen oder Zinsschwankungen von der eigentlichen Kreditvergabe abspalten und separat handeln. Plötzlich konnte man sogar Wetten abschließen auf das Wetter im nächsten Jahr.
Was klingt wie Fieberträume verrückter Finanzmathematiker, hatte allerdings einen wirtschaftlichen Sinn, sagt Perry Mehrling, Wirtschaftswissenschaftler an der New Yorker Columbia University, gegenüber dem US-Magazin "The Atlantic". Die Idee dahinter sei, die Finanzmärkte perfekter zu machen. "Dadurch sinkt der Preis für diese Risiken, und der Preis für Kredite sinkt ebenfalls."
Es schien, als erfüllten die neuen Finanzprodukte eine grundlegende Aufgabe des Bankgewerbes hervorragend: die Welt mit Geld zu versorgen. Für jeden Finanzierungswunsch gab es plötzlich das passende Produkt.
Lange keine Einwände
Das erklärt, warum die Aufsichtsbehörden weltweit lange keine Einwände hatten gegen die oft obskuren Aktivitäten der Finanzbranche. Und es erklärt auch, warum sie nicht einschritten, als diese Aktivitäten zunehmend in Einrichtungen ausgelagert wurden, die offiziell gar keine Banken waren: die Schattenbanken. Sie nennen sich Zweckgesellschaften, Conduits, strukturierte Investment-Vehikel oder Hedgefonds, und das sind nur die geläufigsten Namen.
Die Grenze zwischen Geschäftsbanken, Investmentbanken und Schattenbanken ist dabei fließend. Während der Finanzkrise gründete selbst die biedere deutsche Mittelstandsbank IKB Zweckgesellschaften, um im großen Casino mitspielen zu können. Der Vorteil: Die riskanten Engagements tauchten so nicht in der Bilanz auf.
So unterschiedlich Schattenbanken und ihre Aktivitäten im Detail sind, haben sie eines gemeinsam: Sie müssen sich nicht an die Regeln halten, die für normale Banken gelten. "Die klassische Bankenaufsicht hat eigentlich keinen Überblick über diesen Markt der Schattenbanken", sagt Martin Faust, Professor für Bankenwesen an der Frankfurt School of Finance, gegenüber der DW. "Hier fehlen bisher die regulatorischen Instrumente, um eingreifen zu können und um überhaupt zu sehen, welche Volumina auf diesen Märkten gespielt werden."
Riesiges Volumen
Immerhin gibt es Schätzungen. Das Financial Stability Board (FSB), eine internationale Organisation zur Überwachung des globalen Finanzsystems, bezifferte das weltweite Volumen des Schattenbank-Sektors im Oktober 2011 auf 60 Billionen US-Dollar. Das entspricht in etwa dem weltweiten Bruttosozialprodukt. Laut FSB machen die Geschäfte der Schattenbanken mehr als ein Viertel der weltweiten Finanzgeschäfte aus.
Damit ist der Umfang von Schattenbank-Geschäften heute größer als zu Beginn der Finanzkrise – mit allen Risiken, die das für das Finanzsystem bedeutet. "Schattenbanken spekulieren, es gibt also das Risiko einer Fehlspekulation", sagt Bankenprofessor Martin Faust. Die meisten Geschäfte der Schattenbanken seien allerdings Arbitragegeschäfte. Dabei werde durch den Kauf und Verkauf von Wertpapieren eine oft minimale Marge erwirtschaftet. "Damit man trotzdem hohe Gewinne erwirtschaften kann, muss man sehr viel Geld aufwenden."
Für diese Geschäfte leihen sich Schattenbanken meist wesentlich mehr Geld, als normalen Banken erlaubt wäre. Durch den sogenannten Hebel ist es möglich, mit relativ kleinem Kapitaleinsatz große Gewinne zu machen. Und, wenn es schief läuft, auch große Verluste. "Die große Gefahr bei diesen Geschäften ist, dass die jeweiligen Partner pleite gehen können, wie wir es etwa bei der Investmentbank Lehman Brothers gesehen haben", so Martin Faust. "Dann droht das ganze Gebilde zusammenzustürzen, es entsteht ein Domino-Effekt."
Flucht in die Schattenbanken
Seit der Finanzkrise wurden die Regeln für Geschäftsbanken in vielen Ländern verschärft. Das könnte ein Grund sein für die wieder wachsende Bedeutung der Schattenbanken. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier glaubt, dass viele Akteure an den Finanzmärkten ihre Geschäfte in Schattenbanken ausgelagert haben, weil sie vor den strengeren Vorschriften in der Europäischen Union fliehen wollen. Es sei daher nötig, die Bankenregulierung in der EU auch auf die Schattenbanken auszuweiten.
Allerdings können sich Schattenbanken den nationalen Aufsichtsbehörden leicht entziehen, sagt Martin Faust. "Diese Schattenbanken operieren weltweit. Ihren Sitz haben sie teilweise in London und New York, teilweise aber auch auf Offshore-Märkten wie den Cayman Islands oder den Bahamas." Eine erfolgreiche Regulierung sei daher nur möglich, wenn die Aufsichtsbehörden international stärker zusammenarbeiteten.
Auch der Chef der britischen Finanzaufsicht FSA, Adair Turner, fordert eine stärkere Regulierung der Schattenbanken. Allerdings warnte er davor, dass das kompliziert werden könnte. "Ein so komplexes System kann nicht komplett verstanden werden", so Turner am Mittwoch (14.03.2012) bei einem Vortrag in London. Für eine Regulierung müsse zudem genau definiert werden, was Schattenbanken eigentlich seien. Der Sektor existiere jedenfalls nicht "parallel und getrennt vom eigentlichen Bankensystem", vielmehr sei er mit diesem "tief verstrickt".