Das Aussterben stoppen
4. Dezember 2016Papst Franziskus sorgt sich um die Entwicklung der Lebewesen und der Biodiversität: Vor der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften forderte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche "unverletzliche Normen zum Schutz des Ökosystems aufzustellen, bevor es zu spät ist".
Beim Great Barrier Reef könnte es zu spät sein. "Das größte Korallenriff liegt im Sterben." Diese Nachricht ging wie zuvor die päpstliche dieser Tage um die Welt. Doch neu ist sie nicht. Immer wieder weisen Wissenschaftler und Naturschützer auf den Schwund des Weltnaturwunders vor Australiens Küste hin. In dem äußerst empfindlichen Ökosystem, das aus Polypen, kleinen Tierchen, besteht, tummeln sich Tausende Fischarten, Würmer, Weich- und Krebstiere und Schwämme. Die Korallen ernähren sich von Algen. Doch da sich die Meere dauerhaft erwärmen, können die Algen nicht nachwachsen.
Biologische Vielfalt im Zentrum von Verhandlungen
Das Drama um das Korallenriff taugt dazu, bei der COP13, der 13. Vertragsstaatenkonferenz zur CBD (Convention on Biological Diversity) - dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt - als Negativbeispiel zitiert zu werden. Mehr als 190 Staaten diskutieren bis 17. Dezember 2016 im mexikanischen Cancún Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität.
Grundlage ist unter anderem der Strategische Plan für Biodiversität, der 2010 verabschiedet, ein ambitionierter Plan darstellt, den globalen Verlust der Artenvielfalt bis 2020 zu stoppen und die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme zu fördern. "Viele Wissenschaftler sind vor Ort, um der Frage nachzugehen, wie die Forschung gezielt Ergebnisse liefern kann, die dem amtlichen Naturschutz zugute kommen", sagt Cornelia Löhne, wissenschaftliche Leiterin des Botanischen Gartens in Bonn. Denn immer noch klaffen Zielvorstellungen und Realität weit auseinander.
Vielfältige Ursachen für Artensterben und Verlust von Lebensräumen
Nicht nur dem Korallenriff setzen neben dem Klimawandel auch Schifffahrt, Fischerei, Erosion, Stürme, Dünger und Pestiziden aus intensiver Landwirtschaft zu. Stickstoffeinträge aus der intensiven Landwirtschaft stellen auch in Deutschland ein großes Problem dar. "Die intensive Landwirtschaft trägt zu 70 Prozent zum Rückgang der Arten bei", sagt Magnus Wessel, Leiter Naturschutzpolitik beim BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland). "Die hohen Nährstoffbelastungen aus der Landwirtschaft sind die Hauptursache für den schlechten Zustand von Nord- und Ostsee, vieler Flüsse, Seen und unseres Grundwassers."
"Nährstoffeinträge im Boden führen zu gravierendem Verlust an biologischer Vielfalt, gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Schäden", beklagt auch die Deutsche Umwelthilfe. Diese negative Bilanz sei 25 Jahre nach dem Inkrafttreten der europäischen Nitratrichtlinie mehr als enttäuschend. Zu viele Exkremente von Schweinen und Rindern, stickstoffhaltige Gülle, wird als Dünger auf den Feldern ausgebracht. Die Stickstoffverbindung Nitrat versickert und verunreinigt das Trinkwasser.
Ein teurer Kreislauf, weil viele Gräser und Kräuter kein Übermaß an Stickstoff vertragen. Sie werden von anderen Pflanzenarten verdrängt, die gerade große Mengen an Stickstoff für ihr Wachstum benötigen. Hinzu kommt, dass Deutschland massenhaft Fleisch für den Export produziert. Die Flächen für die Futtermittelproduktion reichen hingegen nicht aus, sodass das Futter für die Tiere im Ausland angebaut und importiert wird.
"Dadurch trägt Deutschland direkt zur Abholzung von Tropenwäldern in Südamerika bei", kritisiert BUND-Waldexpertin Nicola Uhde. "Aber auch hierzulande führt die intensive Forstwirtschaft zum Verlust von Arten und Lebensräumen." Besonders in punkto Wildnis sei Deutschland Schlusslicht. "Wir sorgen uns um die Abholzung der Regenwälder und haben selbst nur noch 0,6 Prozent Wildnis." Daher fordert Uhde, dass bis 2020 mindestens zwei Prozent der Landfläche als großflächige Wildnisgebiete sich selbst überlassen werden sollten. Der Staat mit seinen großen Waldflächen sei hier gefragt, mit gutem Beispiel voranzugehen und Skeptiker mit ins Boot zu holen.
Mit Blick auf den G20-Vorsitz Deutschlands fordert BUND-Waldexpertin Uhde, "diesen zu nutzen, den Schutz der biologischen Vielfalt und damit den Erhalt unserer Lebensgrundlagen neben dem Klimaschutz ganz oben auf die Agenda zu stellen."
Für die Erreichung der Biodiversitäts-Ziele des Strategischen Plans bis 2020 gelte es, die Anstrengungen der Vertragsstaaten deutlich zu erhöhen. Zwar gebe es Fortschritte bei einigen Zielen - beispielsweise der Vergrößerung der Fläche, die weltweit unter Naturschutz steht. "Bei anderen Zielen jedoch, wie dem Stopp des Artensterbens, dem Schutz der Korallenriffe, dem Eintrag von überschüssigen Nährstoffen oder dem Abbau von umweltschädlichen Subventionen sieht es eher düster aus“, so Uhde.
Ressourcenverschwendung dauert an
Ein Drittel der 32.000 heimischen Tier-, Pflanzen- und Pilzbeständen in Deutschland sind gefährdet. Für 5,6 Prozent der Arten gibt es keine Rettung mehr.
Immerhin: vor neun Jahren hat die Bundesregierung 330 formulierte Handlungsziele festgelegt, die bis 2020 beziehungsweise 2050 umgesetzt werden sollen. Bei der Nationalen Biodiversitätsstrategie sollen alle gesellschaftlichen Gruppen einbezogen werden, um das Bewusstsein für die biologische Vielfalt zu schärfen. Eine Idee ist, Bürger, Unternehmen und Landwirte gleichermaßen zu sensibilisieren, kleinere Flächen mit Wildkräutern vor dem Haus oder an Feldrainen stehen zu lassen, da Insekten und andere Kleinlebewesen die selten gewordenen Pflanzen zum Überleben brauchen.
"Deutschland ist mit der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt international immer noch Vorreiter", lobt Magnus Wessel, "In der Praxis hakt es jedoch: Neben dem ungebremsten Verlust der Arten durch die industrielle Landwirtschaft, ist ein Ende der Flächenversiegelung nicht absehbar, und die Renaturierung von Gewässern stagniert." Europäisches Naturschutzrecht werde nicht korrekt umsetzt und der 2010 beschlossene Abbau der umweltschädlichen Subventionen sei ein Wunschtraum geblieben, so der BUND-Experte.
Hoffnung auf Stärkung der Umweltressorts
Zur COP13-Konferenz war auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) angereist.Gastgeber Mexiko kündigte an, die Basis schaffen zu wollen, dass die Biodiversität künftig in alle politischen Entscheidungen einbezogen werden soll. "Aus deutscher Sicht hätten die Botschaften der Cancún-Erklärung durchaus stärker und innovativer sein können", ist einer Vorab-Erklärung des Bundesumweltministeriums zu entnehmen. Weiter heißt es: "Es wird erwartet, dass die Erklärung eine Hilfestellung für Umweltministerien in aller Welt darstellen kann, die ihnen das tägliche schwierige Geschäft des Mainstreaming erleichtert."
Das Mainstreaming - die Integration des Schutzes der Biodiversität in andere Bereiche - wird ein Schwerpunkt in Cancún werden. "Ein großes Hemmnis beim Schutz von Arten und Lebensräumen ist die mangelnde Integration dieses Ziels in andere Politikfelder wie Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Fischerei und Verkehr", erläutert Nicola Uhde. "Hier werden nach wie vor Wirtschaftsweisen und Vorhaben praktiziert und gefördert, die die biologische Vielfalt und damit die Grundlagen unseres Lebens zerstören. Wir fordern, dass sich die Bundesregierung für einen wirksamen Beschluss zum Schutz der Biodiversität beim Thema Mainstreaming einsetzt."
Dazu gehören, laut Umweltverbänden, eine ökologisch verträgliche Nutzung der Waldflächen und der Umbau der Landwirtschaft zur ökologischen Landwirtschaft.
Furcht vor der Aussetzung gentechnisch veränderter Arten
Und noch ein Thema bereitet den Naturschützern im Vorfeld der Vertragsstaatenkonferenz Kopfzerbrechen: gentechnisch veränderte Organismen. Die Umweltverbände haben einen offenen Brief an Ministerin Hendricks geschrieben, deren unkontrollierte Ausbreitung zu stoppen. Es geht nicht nur um Baumwolle in Mexiko, Raps in Nordamerika, Japan, Australien und der Schweiz. Sorge bereitet den Naturschützern geplante Freisetzungen gentechnisch veränderter Bäume, Fische und Insekten. Denn sie befürchten, "dass sich die im Labor eingebaute DNA erheblich schneller in betroffenen Populationen ausbreiten kann als das natürlicherweise der Fall wäre."