Geplantes Großkonzert sorgt für Aufregung
11. August 2020Reihenweise wurden die großen Musikfestivals weltweit wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Nach Shows im Netz oder Autokino- und Picknickkonzerten im Freien wagen sich die ersten Veranstalter in kleinem Rahmen auch wieder an Auftritte vor Publikum - unter strengen Regeln zum Schutz vor Corona-Infektionen, versteht sich.
In dieser Phase des behutsamen Einstiegs sorgt der Plan von Konzertveranstalter Marek Lieberberg für Aufregung. Seine Agentur, Live Nation Germany, hat das erste Großkonzert in Deutschland mit 13.000 Zuschauern in der "Merkur Arena" in Düsseldorf für den 4. September angekündigt. Erwartet werden unter anderem der kanadische Sänger Bryan Adams, die deutsche Sängerin Sarah Connor und der irische Sänger und Gitarrist Rea Garvey. Der Kartenverkauf für das zweieinhalbstündige Konzert beginnt am 11. August.
Mit 54.600 Plätzen ist die Düsseldorfer Arena das achtgrößte Stadion Deutschlands. Bei 13.000 Zuschauern wäre die Arena zu circa 23 Prozent ausgelastet. Mit örtlichen Behörden ist Lieberbergs Konzept mit strengen Abstands- und Hygieneregeln wegen der Corona-Pandemie bereits abgesprochen.
"Give Live a Chance"
Mit dem Event "Give Live a Chance" will der Veranstalter Marek Lieberberg ein Zeichen setzen. "Es ist ganz wichtig, dass die Menschen ein Signal der Hoffnung bekommen, dass auch die Branche, die Fans, die Künstler und die vielen Dienstleister wieder einen Grund zur Hoffnung haben", sagte er im Gespräch mit der DW. Anders als staatlich geförderte Kulturbranchen wie Oper oder Theater werde die private Eventbranche nur mit einem Bruchteil der Corona-Fördergelder bedacht.
Marek Lieberberg ist einer der größten Konzertveranstalter in Deutschland. Er organisiert unter anderem das Festival "Rock am Ring", das 2019 rund 85.000 Zuschauer anlockte und in diesem Jahr - wie viele andere Events - wegen Corona ausfallen musste.
Infektionsanstieg beim Massenansammlungen
Kaum hatte Lieberberg seine Pläne öffentlich auf den Tisch gelegt, kam Gegenwind vom nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister. Karl-Josef Laumann zweifelt die rechtliche Grundlage für das Konzert an und warnte, dass es zum Ende der Reisesaison eine komplexe Infektionslage gebe. "In dieser Situation Menschen aus ganz Deutschland zu animieren, quer durch das Land nach Düsseldorf zu reisen und zu Tausenden zusammen zu kommen, halte ich schlicht für verantwortungslos", erklärte er gegenüber der Deutschen Presseagentur.
Weil die Stadt Düsseldorf ausführlich geprüft hat, ob das Konzert alle Regelungen der Corona-Schutzverordnung einhalten kann, sieht der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel keine rechtlichen Bedenken.
Auch für Marek Lieberberg sind die Reaktionen aus der Landespolitik unverständlich. Lieberberg führt die Auseinandersetzungen nicht zuletzt auf Interessenkonflikte im Wahlkampf für die bevorstehenden Kommunalwahlen zurück. Die jeweiligen Befürworter und Gegner des Konzepts kommen aus unterschiedlichen politischen Lagern.
Strenge Sicherheitsauflagen
Zu den vielen Maßnahmen im Rahmen des Hygiene- und Sicherheitskonzepts gehören ein personalisierter Einlass in Gruppen in verschiedenen Zeitfenstern sowie Maskenpflicht auch auf den Sitzplätzen. "Jeder Platz ist so konzipiert, dass er eineinhalb Meter soziale Distanz nach vorne, nach hinten und zur Seite hat", sagt Marek Lieberberg. Das Dach des Stadions bleibt geöffnet.
Auch wenn Fans der Pop- und Rockmusik nicht gerade dafür bekannt sind, während eines Konzertes ruhig auf ihren Stühlen zu sitzen, ist Lieberberg doch fest vom Verantwortungsbewusstsein seines Publikums überzeugt. "Wir haben es nicht mit Hooligans zu tun und nicht mit Leuten, die während einer Veranstaltung gegeneinander agieren. Alle kommen mit einem Ziel, nämlich Musik zu erleben." Damit alles friedlich bleibt, soll Alkohol verboten werden, die Auftritte der Musiker finden teilweise unplugged, also ohne elektrische Verstärkung der Instrumente statt.
Keine Begegnung im öffentlichen Raum ist sicher
Sein Vorstoß, so sagt Lieberberg, habe weltweit bereits für Aufmerksamkeit gesorgt, besonders in Europa und den USA, wo derzeit in vielen Regionen wegen der Corona-Lage gar nicht an Großkonzerte zu denken sei. "Das Ganze hat sehr große Wellen geschlagen. Es ist doch klar, die Menschen sehnen sich nach ihrer Kultur, sie sehnen sich nach Konzerten."
Natürlich sei keine Begegnung im öffentlichen Bereich risikolos, aber das gelte für alle Situationen, in denen Menschen aufeinandertreffen, meint Lieberberg. Damit spielt er auf Massenversammlungen, Demonstrationen auf öffentlichen Plätzen und Zusammenkünfte an beliebten Stränden an, bei denen die Abstandsregeln vor allem an den Wochenenden nicht mehr zu kontrollieren waren. "Wir haben eine weit bessere Situation hier in Düsseldorf im Stadion als auf allen begehrten Plätzen dieser Republik am Wochenende."
Angst um die Branche
Ohne Großevents fürchtet Lieberberg um den Fortbestand der Branche. Er vermisst einen Plan der Regierung, Großveranstaltungen schrittweise wieder möglich zu machen. In der Kölner Lanxess-Arena hat man bereits mit kleineren Konzerten begonnen, die Obergrenze liegt bislang bei 2400 Zuschauern. Für Lieberberg ist das keine Option, auch aus finanziellen Gründen: "Wir können kein Konzert, das für 10.000 konzipiert ist, für 1000 organisieren. Wir brauchen für diese Veranstaltungen gewisse Verkaufskapazitäten."
Immerhin beschäftigen sich Wissenschaftler bereits mit dem Thema Großveranstaltungen. An der Universitätsklinik Halle in Sachsen-Anhalt läuft ein "Coronavirus-Experiment" mit dem Singer-Songwriter Tim Bendzko. Rund 4000 Probanden sollen bei seinem Konzert in der Leipzig Arena am 22. August im Rahmen des Projekts "Restart-19" mit Tracking-Gadgets, einer Art Bewegungsmelder, und Flaschen mit fluoreszierendem Desinfektionsmittel ausgestattet werden, um eine mögliche Verbreitung des Coronavirus zu ermitteln. Die Forscher wollen ein mathematisches Modell entwickeln, mit dem das Risiko eines Corona-Ausbruchs nach Großveranstaltungen in Hallen berechnet werden kann.
"Give Live a Chance" ist derweil für Marek Lieberberg ein erster Versuch, zumindest im Open-Air-Bereich etwas zu bewegen. Am 3. September will auch die Berliner Waldbühne unter dem Motto "Back to Live" wieder mit Open-Air-Konzerten starten. Von 22.290 Plätze werden maximal 5000 besetzt. Prozentual entspricht das in etwa der Belegung in der Düsseldorfer Merkur Arena.