Gerichtsurteil für "Hotel Ruanda"-Star erwartet
19. September 2021Paul Rusesabagina, ein langjähriger Kritiker des ruandischen Präsidenten Paul Kagame, erwartet am Montag, 20. September, das Urteil in seinem Gerichtsprozess wegen Terrorismus: Das Verfahren erregte internationales Aufsehen, weil er als Hotelmanager während des ruandischen Völkermordes an den Tutsi im Jahr 1994 Hunderte von Menschen gerettet hatte.
Präsident Kagame verteidigte Anfang September den Prozess gegen Rusesabagina: Der 67-jährige ehemalige Hotelier stehe nicht vor Gericht, weil er berühmt sei, sondern wegen seiner späteren Taten, sagte Ruandas Präsident. Rusesabagina ist wegen neun Straftaten angeklagt, darunter Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Finanzierung von Terrorismus, Mord und bewaffneter Raubüberfall.Die Anklage bezieht sich auf eine Reihe von Anschlägen, die von der bewaffneten Nationalen Befreiungsfront (FLN) im Südwesten Ruandas zwischen Juni und Dezember 2018 verübt und bei denen neun Zivilisten getötet wurden. Die FLN ist der militärische Flügel des Mouvement Rwandais pour le Changement Democratique, dessen Co-Vorsitzender Rusesabagina ist.
In einer Anhörung im September 2020 gab er zu, an der Gründung der FLN beteiligt gewesen zu sein. Er und seine Familie bestreiten jedoch, die FLN unterstützt zu haben oder an Gewalttaten oder Morden beteiligt gewesen zu sein. Im Falle einer Verurteilung droht Rusesabagina eine lebenslange Haftstrafe.
Nach der Veröffentlichung des Hollywood-Films "Hotel Ruanda" im Jahr 2004 hatte Paul Rusesabagina Berühmtheit erlangt. Der für einen Oscar nominierte Film schildert, wie er während des Völkermords in Ruanda im Jahr 1994 mehr als 1200 Tutsis das Leben rettete. Damals lieferten sich Hutu-Milizen und Tutsi-Rebellen blutige Gefechte. In der Hauptstadt Kigali stellte sich Rusesabagina gegen das Massensterben und gewährte - obwohl selbst unter Lebensgefahr - den Flüchtlingen Zuflucht im Hotel.
Rätsel um Rusesabaginas Verhaftung
Während des Prozesses argumentierte sein Anwalt, das Gericht sei nicht befugt, den belgischen Staatsbürger Rusesabagina zu verurteilen. Dieser behauptet, er sei Opfer einer illegalen Überstellung geworden.
Rusesabagina war im August 2020 von seinem Wohnort in den Vereinigten Staaten nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten gereist. Dort verschwand er für mehrere Tage und tauchte dann in Handschellen vor einem Gericht in Kigali wieder auf. Der ehemalige ruandische Justizminister Johnston Busingye sagte in einem Interview mit dem Nachrichtensender Al Jazeera, dass die Regierung für den Flug bezahlt habe, der Rusesabagina nach Ruanda brachte.
"Wenn ein belgischer Staatsbürger legal nach Ruanda abgeschoben wird, kann er vor Ort vor ein Gericht gestellt werden. Aber ist das wirklich so passiert? Wir müssen untersuchen, wie er verhaftet wurde, denn das entsprach nicht den Gesetzen", sagte sein Anwalt Gatera Gashabana laut AFP.
Druck von EU und USA
Der US-Kongress hat Ende letzten Jahres ein Schreiben an die ruandische Regierung veröffentlicht. Darin wurde diese aufgefordert, Rusesabagina aus humanitären Gründen die Rückkehr in sein Haus in Texas zu gestatten, da der 66-Jährige an Krebs erkrankt war. Man äußerte auch "große Besorgnis" über die Art und Weise, wie die ruandische Regierung "Herrn Rusesabagina außergerichtlich von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Ruanda überführt" habe. Das EU-Parlament forderte in einer gemeinsamen Entschließung ebenfalls die Freilassung Rusesabaginas und verurteilte sein "erzwungenes Verschwinden, die illegale Überstellung und die Isolationshaft".
Im Gegenzug kritisierten ruandische Parlamentarier die EU-Resolution als "imperialistisch", wie die Online-Nachrichtenseite "The East African" berichtet. Die EU-Resolution greife in die Souveränität Ruandas ein und untergrabe das unabhängige Justizwesen des Landes. Die EU habe sich "auf Paul Rusesabagina konzentriert und die Opfer seiner Verbrechen ignoriert, die ebenfalls Gerechtigkeit fordern", berichtete The East African.
Rusesabagina - eine umstrittene Figur
"Ich denke, dass die Anschuldigungen [gegen Rusesabagina] eine gewisse Glaubwürdigkeit haben", sagte der politische Analyst Phil Clark von der SOAS (School of Oriental and African Studies) der Universität London der DW. "Er ist zu einer kleinen YouTube-Sensation geworden, vor allem in der ruandischen Diaspora, wo er oft Videos von sich veröffentlicht, in denen er zum bewaffneten Sturz des Regimes in Kigali aufruft", sagte Clark.
In Ruanda hat Rusesabagina, ein ethnischer Hutu, bereits früher für Empörung gesorgt, nachdem er vor einem weiteren Völkermord gewarnt hatte - dieses Mal von Tutsis gegen Hutus. Er behauptete auch, dass voreingenommene traditionelle Gerichte Kriegsverbrechen der Tutsi während des Völkermords von 1994 nicht verfolgen würden.
"Viele begrüßten seine Verhaftung als gute Nachricht und sagten, dass auf diese Weise einige Teile des Landes nicht erneut destabilisiert werden könnten", so DW-Korrespondent Alex Ngarambe. "Andere sagen, er sei ein Politiker und würde als solcher nur Politik machen. Einige der Überlebenden [des Genozids von 1994] und die Regierung sagen, dass er sie nicht selbstlos gerettet habe, sondern sogar Geld von ihnen verlangt habe, um sie im Hotel in Sicherheit zu bringen", so Ngarambe.
Dies bestätigt Ruanda-Experte Phil Clark. Einige der Überlebenden hätten ihm berichtet, dass sie für ihren Schutz hätten bezahlen müssen, während andere von dem ehemaligen Hotelier an ihre Mörder ausgeliefert worden seien, erzählt Clark. "Die Geschehnisse sind viel komplexer, als der Film "Hotel Ruanda" vermuten lässt", meint Clark. "Aus Gesprächen mit Überlebenden weiß ich, dass viele von ihnen sehr wütend darüber sind, dass es Rusesabagina im Grunde gelungen ist, die Geschichte der Ereignisse im Hotel des Mille Collines durch den Film und die internationale Bekanntheit, die er danach erlangte, für sich zu vereinnahmen."
"Ruanda hält viele westliche Diplomaten nachts wach"
Die ruandische Opposition hingegen sieht in der Verhaftung und dem Prozess gegen Rusesabagina ein weiteres Beispiel für die gut dokumentierten Versuche von Präsident Kagame, Andersdenkende zu unterdrücken. Kagame regiert Ruanda seit dem Ende des Völkermords und hat die letzten Wahlen 2017 mit fast 99 Prozent der Stimmen gewonnen. "Auf der einen Seite gibt es eine Gesellschaft, die Hilfsgelder äußerst effektiv einsetzt", sagt Phil Clark; Ruanda sei einer der am besten funktionierenden Wohlfahrtsstaaten in der Region, habe das Wirtschaftswachstum angekurbelt und "große Fortschritte" in Bezug auf Frieden und Versöhnung gemacht.
Andererseits sei Ruanda ein autoritärer Staat, in dem es "keine lebensfähige politische Opposition gibt und in dem Dissidenten in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren routinemäßig getötet oder schikaniert wurden", so Clark.
Dies macht den Prozess um Rusesabagina zu einem weiteren Problem in einem Land, das den Westen ohnehin schon in ein echtes Dilemma stürzt. "Ruanda", sagt Clark, "hält viele westliche Diplomaten nachts wach, einfach weil das Land so komplex ist."
Mitarbeit: Etienne Gatanazi