20 Jahre mit dem "wohlwollenden Diktator"
16. April 2020Es ist kein Zufall, dass das erste Smartphone "made in Africa" aus Ruanda kommt: Das Mara Phone wird in einem Industriegebiet in Kigali hergestellt, wenige Schritte entfernt von einer Geschäftsstelle von Volkswagen. Der deutsche Autobauer ist einer von vielen Investoren in dem kleinen ostafrikanischen Land; VW bietet hier einen E-Mobilitätsservice an und schraubt Autos für den afrikanischen Markt zusammen.
Die wirtschaftliche Entwicklung Ruandas seit dem Trauma des Genozids mit 800.000 Toten gilt als Erfolgsgeschichte - und sie ist untrennbar mit Paul Kagame verbunden. Viele Ruander verehren ihren Präsidenten für den Fortschritt, den er in seinen 20 Amtsjahren über das Land gebracht hat. Wenn man sich im Land umhört, hört man früher oder später die Zuschreibung des "wohlwollenden Diktators" - der uneigennützige Ziele für die Entwicklung des Landes verfolgt, dabei jedoch keine anderen Meinungen zulässt. Ruanda verpflichtet seine Bürger sogar jeden letzten Samstag im Monat für ein paar Stunden zur Gemeindearbeit "Umuganda".
Mächtig seit 1994
"Paul Kagame ist ein Diktator, der Ruanda mit harter Hand regiert - und das nicht erst seit 2000, sondern eigentlich schon seit 1994", sagt der Dissident David Himbara. Nach dem Genozid und dem Bürgerkrieg 1994 wurde zunächst Pasteur Bizimungu Präsident Ruandas - aus Himbaras Sicht war dieser jedoch nur ein Platzhalter für Vizepräsident und Verteidigungsminister Kagame. "Tatsächlich hatte er aber von Anfang an die uneingeschränkte Macht in Ruanda inne", sagt Himbara im Gespräch mit der DW.
Himbara ist nicht irgendeiner, sondern ein ehemaliger Insider und einst "Oberster Privatsekretär" des Präsidenten. Als Paul Kagame im April 2000 an die Staatsspitze gelangte, berief er den politischen Ökonomen in seinen Beraterstab; sechs Jahre blieb Himbara in seinem engsten Umfeld. Dann überwarf er sich mit dem Präsidenten - wie viele andere ehemalige Weggefährten. Himbara flüchtete nach Kanada, wo er aufgewachsen war.
"Aggressiv, unbeherrscht, gewalttätig"
Kagame war mit seiner Tutsi-Miliz Rwandan Patriotic Front (RPF) als Befreier und Eroberer aus dem Nachbarland Uganda angekommen, während Ruanda im Gemetzel des Genozids der Hutu an den Tutsi versank. Seine militärische Vergangenheit sei bis heute sichtbar, findet David Himbara: "Kagame wurde im Krieg sozialisiert. Er ist ein sehr aggressiver Mensch, unbeherrscht und gewalttätig."
Auch Menschenrechtsorganisationen erheben schwere Vorwürfe: Seitdem Paul Kagame an der Macht ist, werde jeder verfolgt, der die offizielle Lesart anzweifelt, sagt zum Beispiel die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und listet eine lange Reihe von Morden, Vermisstenfällen, politisch motivierten Verhaftungen und ungesetzlichen Festnahmen auf. Kagame selbst äußerte sich mitunter unverhohlen zu solchen Vorwürfen, wie im Fall des früheren Geheimdienstchefs und Dissidenten Patrick Karageya, der in einem Hotelzimmer in Südafrika erdrosselt wurde: "Ruanda hat diese Person nicht getötet. Aber ich wünschte, Ruanda hätte es getan."
Lichtgestalt für ganz Afrika?
Als "Lichtgestalt für Ruanda, Afrika und die ganze Welt" beschreibt ihn hingegen Jean-Paul Kimonyo. Er ist derzeit einer der Top-Berater des ruandischen Präsidenten Paul Kagame und Autor des Buches "Transforming Rwanda: Challenges on the Road to Reconstruction".
Präsident Kagame sei ein Mensch, der bewiesen habe, dass er sich immer wieder neu erfinden könne. "Erst hat er sich als Militär durchgesetzt, dann wandelte er sich zum Staatsmann und Reformer, und schließlich errang er auch internationales Ansehen."
Tatsächlich ist Kagame über die Grenzen des kleinen Ruanda hinaus für seine stringente und effektive Politik bekannt. In den westlichen Ländern wird er vor allem mit drei politischen Projekten in Verbindung gebracht: Gleichstellung von Frauen, Förderung neuer Technologien und Umweltschutzmaßnahmen. Auch seine Wirtschaftspolitik wird im Westen immer wieder gelobt: Im "Doing Business"-Bericht 2019 der Weltbank, der beschreibt, wie wirtschaftsfreundlich die 190 Länder der Erde sind, erreichte Ruanda Rang 29 als zweitbeste afrikanische Nation hinter Mauritius.
Fortschritt oder Propaganda?
"Ruanda ist eines der Länder Afrikas mit der besten und preiswertesten Internet-Infrastruktur", sagt Kimonyo im DW-Interview. Das sei nicht zuletzt auf die Politik des Präsidenten zurückzuführen, für jedes Problem, "neben konventionelleren auch technologische Lösungen" anzubieten. Viele Bürgerservices sind digital, so kann jedermann unkompliziert ein Unternehmen am Smartphone gründen. Auch in punkto Umweltschutz habe Kagame Großes geleistet, findet Kimonyo.
Für David Himbara sind das "Lobgesänge", die er nicht gelten lassen will: "Alles nur Propaganda." Kagame habe Plastiktüten verbieten lassen, obwohl es in der Millionenstadt Kigali "noch nicht einmal ein Abwassersystem gibt und all der Dreck in die Flüsse gespült wird." Ein zentrales Abwassersystem in der Hauptstadt ist gerade in Bau; die Regierung plant, bis 2024 alle Haushalte daran anzuschließen.
Ebenso unsinnig sei es von Kagame, sich als Feminist zu geben. Zwar rühme er sich damit, dass von den Abgeordneten im nationalen Parlament sechzig Prozent Frauen seien - "allerdings ist keine einzige von ihnen demokratisch gewählt worden". Im Gegenteil seien seine mutigsten politischen Gegner Frauen.
Lebenslange Macht?
Zumindest rechtlich steht vielen weiteren Kagame-Jahren nichts im Wege: Vorausschauend ließ er 2015 die Verfassung ändern, um zwei weitere Amtszeiten bis 2034 absolvieren zu können. Das Volk segnete die Reform mit überwältigender Mehrheit ab, 98 Prozent haben in dem Referendum zugestimmt. Dissident David Himbara glaubt sogar, dass Kagame danach noch länger an der Macht bleiben will, "am liebsten bis zum Tod."
"Hier in Ruanda ist eine mögliche Verlängerung der Amtszeit unseres Präsidenten zurzeit kein Thema", betont Präsidentenberater Jean-Paul Kimonyo. Kagames laufendes Mandat ende erst in vier Jahren, also 2024. "Wir wollen mehr Wohlstand und dafür brauchen wir eine starke Führung. Und die Ruander sind zurzeit sehr zufrieden mit ihrer Führung."